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Thomas Hofmann - Beppo Beyerl: Die Stadt von gestern#

Bild 'Beyerl-Hofmann'

Thomas Hofmann - Beppo Beyerl: Die Stadt von gestern. Entdeckungsreise durch das verschwundene Wien. Styria Verlag Wien - Graz. 240 S., ill. € 27,-

Vor 160 Jahren begann der unaufhaltsame Aufstieg Wiens zur Großstadt. Stadtmauer und Basteien machten der Ringstraße Platz. "Vom langen Fall der Mauer" und der Geschichte der Stadtbefestigung handelt das erste Kapitel der Entdeckungsreise. Die bewährten Autoren Thomas Hofmann und Beppo Beyerl (die für dieses Buch den Verlag gewechselt haben) gestalten sie kenntnisreich und unterhaltsam. Sie wollten, so schreiben sie zur Einstimmung, "kein Lexikon des Untergangs verfassen, sondern einen bunten Reigen der lebendigen Wiener Welt von gestern zeigen." Das ist ihnen hervorragend gelungen, zumal sie auch erläutern, was an Stelle des Verschwundenen entstanden ist. Zahlreiche historische Fotos, Ansichtskarten und ausführliche Originalzitate geben den Texten zusätzlich Farbe.

24 Artikel in fünf Kapiteln erzählen über die "Verschwindungen". Ein prominentes Beispiel ist die Rotunde. Mit der damals größten Kuppel der Welt - äußerer Durchmesser 107,83 m, Höhe 84,1 m - war sie 1873 die Attraktion der Wiener Weltausstellung im Prater. 1937 brannte das Wahrzeichen, ein Werk des englischen Schiffsbauingenieurs Scott Russel und des Wien Ringstraßenarchitekten Carl Hasenauer aufgrund "mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen" ab. Kaum ein Jahrzehnt später vernichteten Flammen den Heinrichhof. "Das schönste Zinshaus von Wien", das der "Ziegelbaron" Heinrich Drasche um 1861 gegenüber der Oper erbauen ließ, und in dem prominente Mieter, wie der Opernsänger Leo Slezak wohnten, wurde am 12. März 1945 von drei Bomben getroffen. Am selben Tag zerstörte ein Bombenhagel den nahen Philipphof. 300 Menschen waren in den Keller geflüchtet, der ihnen keinen Schutz bot. Nachdem sie verschüttet wurden, konnte man nicht einmal alle Toten bergen. Reste des Heinrichshofes standen bis 1954, dann ersetzte man ihn durch den sachlichen Wiederaufbau-Block des Opernringhofes. Die Autoren erinnern an die ehemalige Filiale des Verkehrsbüros darin, die Hans Hollein mit Architekturdetails, die auf Fernreisen anspielten, inszenierte. Der Platz des Philipphofes bei der Albertina blieb aus Pietätsgründen unverbaut. Seit 1988 befindet sich auf dem, später nach Bürgermeister Helmut Zilk benannten, Platz das "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus" von Alfred Hrdlicka.

Eine andere Katastrophe war der Brand des Ringtheaters 1881, nur acht Jahre nach seiner Eröffnung. Die Verkettung unglücklicher Umstände, und ein "verwirrendes Zuständigkeits- und Kompetenzgeflecht" kosteten 400 Besucher das Leben. Danach wurden die Sicherheitsvorkehrungen für Theater drastisch verschärft und die Wiener Rettungsgesellschaft gegründet. Kaiser Franz Joseph ließ aus Privatmitteln an Stelle der Brandruine das "Sühnhaus" errichten, dessen Mieteinnahmen wohltätigen Projekten dienten. Folgt man der Spurensuche der Lokalchronisten, fiel im Berichtszeitraum in weiteren sechs Bühnen der Vorhang zum letzten Mal: Das Carltheater in der Leopoldstadt war untrennbar mit dem Wirken Johann Nestroys verbunden. Statt des Johann-Strauß-Theaters (Scala-Kino) auf der Wieden entstand ein Gemeindebau. Das Apollo-Theater in Mariahilf lebt als Apollo-Kino weiter. Das Wiener Bürger-Theater musste dem Bankgebäude der Zentralsparkasse weichen. Heute befindet sich dort die Zeitungsredaktion des "Standard". Das Neue Wiener Stadttheater widmete sich der leichten Muse. Im Nachfolgebau ist die Zentrale der städtischen Musikschulen untergebracht. Anstelle des billigsten Theaters Wiens, des 1922 eröffneten Philadelphia-Theaters in Meidling, erhebt sich ein Einkaufszentrum.

Bis 1938 bestanden in Wien 95 jüdische Andachtsstätten, von denen mehr als die Hälfte beim Novemberpogrom zerstört wurde. Ein Kapitel des Buches widmet sich eingehend den Synagogen und Bethäusern. Von der "großen Zeit großer Bahnhöfe" im gründerzeitlichen Wien ist nichts geblieben. Damals gab es sieben Linien im Besitz privater Gesellschaften: Südbahn, Ostbahn, Westbahn, Nordbahn, Nordwestbahn, Franz-Josefs-Bahn und Aspangbahn. In den vergangenen Jahren hat man einige dieser Areale völlig neu konzipiert, der Vorgang dauert noch an. Süd- und Ostbahnhof wurden zum Hauptbahnhof, statt Nordbahn und Nordwestbahn entstehen neue Stadtviertel, ähnliches ist mit dem Franz-Josefs-Bahnhof geplant. Beim Westbahnhof ist die 1951 errichtete denkmalgeschützte Halle in die Bahnhofcity integriert.

Beppo Beyerl und Thomas Hofmann vergessen auch nicht auf andere verschwundene Transportmittel zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft war Ende des 19. Jahrhunderts die größte Binnenreederei der Welt. Sie betrieb 20 Linien mit einer Gesamtlänge von 5250 km, besaß 154 Raddampfer, 25 Schraubenschiffe, acht Kettenschiffe und zwei Werften. Ihre 31 Agenturen befanden sich in Hafenstädten wie Jaffa, Beirut oder auf griechischen Inseln. Die DDSG wurde ebenso aufgelöst wie der Flughafen Aspern, der 1912 bis 1977 bestand. Die an seiner Stelle im Entstehen begriffene Seestadt Aspern "gehört zu den größten Stadtentwicklungsgebieten Europas und zu den Vorzeigeprojekten Wiens". Verschwunden ist auch die erste Zahnradbahn der Monarchie, die 1874 bis 1921 auf den Kahlenberg dampfte. Nach halbstündiger Fahrt oben angekommen, konnten die Passagiere die Aussicht genießen - besonders 1910, als sie das Kommen des Halley'schen Kometen samt Weltuntergang erwarteten - oder zu einer Wienerwaldwanderung aufbrechen. Für sportliche Aktivitäten boten sich weitere Areale am Stadtrand an, wie die Hohe-Wand-Wiese in Hadersdorf zum Skifahren oder die Strombäder an der Donau, die sich u. a. in Jedlesee und Nussdorf befanden.

Der Fußballsport wird nicht vergessen. Im letzten Kapitel "Aus dem Alltag von gestern" posiert der Autor Beppo Beyerl mit violett-weißem Schal und Ball vor dem Wohnhaus des legendären Matthias Sindelar. Dieser entstammte, ebenso wie sein Pendant Pepi Bican einer Familie von "Ziegelbehm". Die Arbeiter kamen aus strukturschwachen Gebieten von Böhmen, Mähren und der Slowakei nach Wien. Sie hofften, bei den Lehmgruben auf dem Wienerberg ein besseres Auskommen zu finden, doch Viktor Adler bezeichnete sie als die ärmsten Sklaven. "Rote Reminiszenzen" nennt sich ein weiteres Kapitel im letzten Abschnitt, der sich auch den Molkereien und der Liesinger Brauerei widmet. Dieser Zeitreise durch die Wienerstadt sollte man sich unbedingt anschließen. Auch wer schon vieles weiß, kann bei der Lektüre neue Details und Zusammenhänge entdecken.