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Michael W. Weithmann: Die Bayerischen Alpen#

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Michael W. Weithmann: Die Bayerischen Alpen. Landschaft, Geschichte und Kultur zwischen Salzach und Lech. Verlag Friedrich Pustet Regensburg. 408 S., ill., € 39,95

Die Nähe zum Tirolischen ! Sie begleitet diese Gebirgsregion bis heute, schreibt Michael W. Weithmann in der Einleitung seines Buches über die Bayerischen Alpen. Diese Region umfasst die Gebirge zwischen Salzach und Lech, die Ammergauer Berge, den Wetterstein mit der Zugspitze, das Karwendel und die Berchtesgadener Alpen mit Watzmann und Königssee. Im 10. Jahrhundert umfasste Bayern den Ostalpenraum bis zur Adria, später traten die Gegenspieler Salzburg, Tirol und das Haus Habsburg auf. Immer wieder kam es zu Grenzverschiebungen, bis sich im 19. Jahrhundert die tirolisch-bayerische Grenze verfestigte. 1887 veröffentlichte der Wiener Geograph August Böhm eine Geschichte der "Eintheilung der Ost-Alpen" und betonte darin die Dreiteilung in die Allgäuer, die Oberbayerischen und die Salzburger Alpen.

Die Oberbayerischen Alpen hat nun Michael W. Weithmann, Historiker der Universität Passau und Autor zahlreicher Publikationen zur europäischen Geschichte, zum Thema eines großartigen Buches gemacht. Er schreibt: Die auf diese Weise zwischen Lech und Saalach eingegrenzten Bayerischen Alpen stoßen im Süden auf das österreichische Bundesland Tirol und im Osten auf das Bundesland Salzburg. Die gegenwärtigen Grenzlinien folgen dabei nicht den Tälern, sondern den Graten und Bergkämmen, welche die Berggipfel verbinden. Die modernen Staatsgrenzen sind das Ergebnis einer fast 1000-jährigen Entwicklung. Daher behandelt das Buch auch die Tiroler Bergwelt, das Kaisergebirge und die Salzburger Alpen. Innsbruck und Salzburg werden häufig genannt. Das historische Einflussgebiet Bayerns reichte schließlich über den Reschenpass und den Brennerpass weit nach Süden hinaus und bezog auch die Salzburger Berge mit ein. Bis ins 16. Jahrhundert zählten das Kaisergebirge, Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg am Inn zum bayerischen "Land im Gebürg". Die Alpenländischen Nachbarschaften bilden quer durch die Jahrhunderte ein Leitmotiv des neuen Standardwerks, das zugleich eine äußerst anregende Lektüre über die westlichen Landesteile Österreichs darstellt.

Es ist eine Landeskunde at ist best - zugleich informativ und unterhaltsam, detailreich und im großen europäischen Kontext. Auf 400 Seiten zeichnet Michael W. Weithmann das umfassende Bild einer Region. Er ergänzt seine fundierten, ausgewogenen Texte mit aussagekräftigen Illustrationen. Der Zeithorizont reicht über Jahrmillionen hinweg von der Erdgeschichte bis zur Pandemie der Jahre 2020 und 2021, als Massen von Erholungsuchenden "in die Berge" strömten und die Probleme des Übertourismus dramatisch sichtbar machten. Der Vielschichtigkeit des Themas kommt die Gliederung in sieben große Abschnitte entgegen, die der Autor in überschaubare Kapitel teilt. Innerhalb der Kapitel ergeben sich Schwerpunkte zu einzelnen Aspekten. Die Zwischentitel machen neugierig, beim ersten Abschnitt z.B. Im Flug über die Bayerischen Alpen.

Der zweite Abschnitt umfasst die Geschichte von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert. Etappen auf dem Weg durch die Zeit sind u. a. der Auftritt der Bajuwaren und die Rivalen an der Südgrenze, wobei die alpine Großmacht Habsburg, Kaiser Maximilian, Salzburg und das Salz von Bedeutung sind. Doch nicht nur historische Ereignisse, auch die Alltagskultur, bis hin zur Kriminalgeschichte, werden gewürdigt. In der Folge zeichnen sich Drei große überzeitliche Themen ab, nämlich Wald, Jagd und Alm. Ein Exkurs führt zu Haushalt, Speis und Trank. Man lernt Höfe, Häuser und Hütten kennen und erfährt, dass bei der Mehrheit ihrer Bewohner nur zu den fünf heiligen Zeiten des Jahres - Fasching, Ostern, Pfingsten, Kirchweih und Weihnachten - frisches Fleisch auf den Tisch kam. Wichtig waren die katholischen Fastenzeiten, in denen nicht nur der Verzehr von Fischen, sondern auch der im Wasser lebenden Biber und Otter erlaubt war. Bei den Genussmitteln übertraf Bier den importierten Wein. Branntwein galt lange Zeit als medizinische Tinktur. Das änderte sich erst im 19. Jahrhundert. Damals wurden auch Schnupftabak und Pfeifenrauchen populär. Glaubt man zeitgenössischen Schilderungen, so hatten die Mannsbilder auch auf Bergbauernhöfen und Almhütten den gesamten Tag ihre Pfeifen im Mund.

Dem langen 19. Jahrhundert sind der vierte und fünfte Abschnitt gewidmet. In umfassender Weise geht es u. a. um Wirtschaft, Politik, Fremdenverkehr, Bergverklärung der Romantik, Erkundung und Erschließung der Hochalpen. Dabei erwiesen sich Bayerns Könige als Pioniere in den Bergen. Breiten Raum nehmen die Stein gewordenen Träume des Märchenkini Ludwig II. ein - die königliche Villa Linderhof als "neues Versailles", Schloss Herrenchiemsee und das "mittelalterliche Theaterschloss Neuschwanstein". Gekonnt verschränkt der Autor die einzelnen Themenbereiche. So fügt er vor der Ereignisgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts den Abschnitt Mit fremden Augen: Ethnografie, Literatur und Kunst ein. Die Ethnografischen Beschreibungen von Land und Leuten umfassen Völkerkundliche Merkwürdigkeiten, deren pseudobayerische Folkloristik sich bis in die Gegenwart gut vermarkten lässt. Stichworte z. B. Volkstrachten, Dirndl und Lederhosen, Zither und Hackbrett Sprache und historische Alpensagen. Sehr interessant ist auch, wie Literaten und bildende Künstler die Gegend sahen und ihre Eindrücke publikumswirksam vermittelten.

Das 20. Jahrhundert in den bayerischen Alpen beginnt mit Musik, Malerei, Literatur - und Elektrizität!. Die Bewohner erlebten Kriege, Revolution und Reaktion, die technische Erschließung ihres Lebensraums durch Berg- und Seilbahnen. Auch das "Dritte Reich" hinterließ hier Spuren, markant war die NS-Reichskanzlei in den Bergen auf dem Obersalzberg. Die Nachkriegsjahre gingen als die schlechte Zeit in die Chronik ein. Doch Bereits 1948 rollten wieder die ersten Sonderzüge mit Urlaubern aus dem Norden nach Ruhpolding … das Sinnbild für Almenrausch und Edelweiß. Ein rühriges Verkehrsbüro empfing und verabschiedete die Gäste … und lud zu Heimatabenden mit Schuhplattlern und Bauernkomödien ein. In der Folgezeit veränderte sich der ländliche Bereich nachhaltig. Hatte man schon in den 1960er Jahren mit dem Slogan "Mit dem Auto in die Berge" geworben, so entwickelte sich die Alpenwelt immer mehr zum Spielplatz des Alpinsports, die Berge wurden zum Geschäftsmodell und Freizeitpark. Michael W. Weithmann nennt Tourismus, Almwirtschaft und die Staatsgrenze als historisch relevante Erscheinungen in der Geschichte der Bayerischen Alpen. Die kaum mehr bewusste Staatsgrenze erwies sich im Zuge der Covid-Pandemie mit Kontrollen und Einreiseverboten als unheimlicher Wiedergänger.

Was lässt sich zum Verhältnis der Oberbayern und ihren südlichen Nachbarn in Österreich sagen?, fragt der Autor. Grundsätzlich bilden sie eine sprachliche, ethnische, kulturelle und auch mentale Einheit. … Das Denken über "Gott und die Welt" ist sehr ähnlich. Bösartige oder ehrverletzende Vorurteile gibt es daher nicht. Ein bisschen verwundert das schon, jedenfalls, was Oberbayern und Tiroler betrifft. Es gibt nämlich nur wenige Völkerstämme in Europa, die (in den Napoleonischen Kriegen) mit derartiger Inbrunst und auch Brutalität aufeinander eingeschlagen haben. ... Im Juni 2021 äußerte sich der Innsbrucker Landeshauptmann über das Verhältnis der Tiroler zu den Bayern sehr treffend: "Wir sind ja eigentlich aus dem gleichen Holz geschnitzt."

hmw