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Peter Ahorner: Vergessene Wörter#

Bild 'Ahorner'

Peter AHORNER: Vergessene Wörter. Carl Ueberreuter Verlag Wien. 124 S., € 16,-

Von "Aarl" (kleines Ei) bis "zuwehuscherln" (sich anschmiegen) reicht dieses österreichische Alphabet. Der Schwerpunkt liegt auf dem Wienerischen, das vor mehr als hundert Jahren ein Spiegelbild seiner Bewohner des Vielvölkerstaates abgab und auch sonst viele Einflüsse aus anderen Sprachen aufnahm, etwa aus dem Tschechischen "barabern" (paroba - schuften), Italienischen "Fierant" (fiera - Jahrmarkt), Ungarischen "Maschekseite" (Rückseite, másik - der andere), Polnischen "Pinsch" (Piec - fünf), Jiddischen "Schmonzes" (leeres Gerede), Lateinischen, Mittelhochdeutschen, der Beamten- und Militärsprache. Besonders gut vertreten sind französisch-stämmige Vokabel, beispielsweise "Lawur" (lavior - Waschbecken) oder "Trottoir" (Gehsteig) - Relikte der einstigen Nobelsprache der oberen Gesellschaftsschichten.

Der Wiener Werbetexter, Liedtexter, Kabarett- und Musicalautor Peter Ahorner hat schon von Berufs wegen ein besonderes Verhältnis zur Sprache. Im Ueberreuter-Verlag veröffentlichte er einige Wörterbücher zum österreichischen Deutsch. Auf den ersten Blick fällt auf, dass er hier auf ordinäre Ausdrücke - die sonst in Dialekt-Lexika sehr gefragt sind - fast verzichtet hat. (Er widmete ihnen ein eigenes "Handbuch der österreichischen Schimpfwörter".) Das übersichtliche Layout und das handliche Format wecken gleich Sympathie für das Wörter-Buch. Zum Konzept zählen ausführliche Beschreibungen, die leider nicht immer stimmen. So gab es in den 1950er Jahren noch lange keinen ORF. Beim "Zeiserlwagen" sind so gut wie alle Fakten und die Zeichnung unrichtig. Trotzdem lohnt sich die Lektüre - hier einige Kostproben:

"Amtskappl: 1. Dienstmütze, 2. engstirniger Beamter. Der Hut als Symbol der Herrschaft des Staates und seiner Diener (Briefträger, Polizisten, Schaffner, Zöllner, Militärs, Signal für das Post- , Steuer und Gewaltmonopol. (Ein Privileg des Kaisers war es, von niemandem und nirgends den Hut abnehmen zu müssen)."

"Blaue: letzter Kurs einer Wiener Straßenbahnlinie. An den Triebwagenscheinwerfern wurde eine blaue Plexiglasscheibe über das Zielschild geschoben. Die Kennzeichnung wurde 1995 letztmalig verwendet. …"

" Fisimatenten: 1. Faxen, 2. Scherereien, 3. Launen, 4. Ausflüchte, 5. Umstände (machen). Der Begriff stammt aus der Heraldik (lat. visae patente) die bestimmt, wie ein Wappenschild aussieht. Als die Gestaltung immer komplizierter wurde, entstand aus 'Visamente' und 'visae patentes' das Wort Fisimatenten. 'Mach keine Fisimatenten' galt früher als elterliche Warnung. …"

"Howagas: Habergeiß (Haber: Ziegenbock, Geiß: Ziege) 1. Brauchtumssymbol beim Erntedankfest 2. mageres Einspänner-Pferd, 3. Weberknecht (aufgrund seiner langen Beine), 4. Mädchen mit allzu langen Beinen, 5 Schreckgespenst für Kinder."

"Kracherl: kohlensäurehaltige Limonade, mit Fruchtsaft vermengt. Der Name kommt von der Konstruktion der ersten Limo-Flaschen. Als Verschluss diente eine Glaskugel, die durch den Druck der Kohlensäure in den Flaschenhals gepresst wurde. Zum Öffnen drückte man die Kugel mit dem Daumen ein: das typisch krachende Geräusch."

"Liachtbratl: Braten bei einem kleinen Festmahl, das zu Herbstbeginn für Handwerker, als sie wieder bei künstlichem Licht arbeiten mussten, gegeben wurde."

"Messeprogramm: In den 50er-, 60-er und 70er-Jahren hatten Frühjahrs- und Herbstmessen Volksfestcharakter. Der ORF strahlte damals ein ganztägiges 'Messeprogramm' aus."

"Paternoster: (lat. pater noster - unser Vater) Personenaufzug. An zwei zueinander angeordneten Umlauf-Ketten hängend befestigte Kabinen im ständigen Umlaufbetrieb. Die Kabinen wurden am oberen und unteren Wendepunkt über große Scheiben in den jeweils anderen Aufzugsschacht umgesetzt. …"

"Schlurf: männlicher jugendlicher Herumtreiber. In der NS-Zeit repräsentierten Schlurfs rund um den Jazz eine Subkultur der Arbeiterjugendlichen; nach Kriegsende verstand man in den Fünfzigerjahren unter einem Schlurf wieder einen Herumtreiber. …"

"Tschapperlwasser: Limonade. Tschapperl - unbeholfenes Wesen, sowohl meliorativ (Kleinkind) als auch pejorativ (unbedarfte, weltfremde Erwachsene) verwendet."

"Unaussprechlichen: Hose (veraltend, scherzhaft) Bis ins 19. Jahrhundert trugen Frauen nur lange Unterhemden oder Unterröcke, bei Kälte auch mehrere übereinander. …"

"Vierteltelefon: Gemeinsame Leitung für vier Teilnehmer, womit ein günstiger Anschluss geboten werden konnte. Betuchtere hatten einen Einzelanschluss (ganzes Telefon). Ab 1905 wurden in Österreich die ersten Gesellschaftsleitungen für zwei oder vier Teilnehmer eingerichtet. Im Raum Linz gab es sogar Achtelanschlüsse. Dauertelefonierer (jene mit 'Telefonitis' konnten durch wiederholt rhythmisches Niederdrücken der Gabel aus der Leitung geworfen werden. Am Weihnachtstag 1999 endete mit der Umstellung auf das digitale Telefonsystem die Ära der Vierteltelefone."

Die Zitate sollen Appetit machen, auch die andere Vokabel kennen zu lernen. Nach dem Motto "Damit es nicht verloren geht" (M. Mitterauer) bekommt man zahlreiche Anregungen, die "vergessenen Wörter" wieder in den alltäglichen Sprachgebrauch aufzunehmen. Um viele wäre wirklich schade. Aber Hilfe naht: Kürzlich ist ein neuer Band, "Noch mehr vergessene Wörter" erschienen.

hmw