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Wojciech Czaja: Wien Museum/Neu#

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Wojciech CZAJA: Wien Museum/Neu, mit Textbeiträgen von Barbara Feller, Andreas Nierhaus, Maik Novotny, Eva-Maria Orosz. Verlag Müry Salzmann, Salzburg. 206 S., ill., € 35,-.

Das Buch ist ein Spiegelbild des Gebäudes. Das "alte" Wien-Museum erhielt einen charakteristischen Aufbau aus Sichtbeton. Dadurch erhöhte sich die Fläche für die Dauerausstellung um ein Drittel - von 2.000 auf 3.000 m² - und die Gebäudehöhe von 16 auf 25 m. Ebenso präsentiert sich das Buch als "haptisch anregendes Objekt, das berührt, geöffnet und Raum für Raum durchschritten werden möchte." Das geprägte Cover aus 4 mm starkem grauem Karton greift die Struktur des Ergänzungsbaues auf und zeigt ein zartes Streifenmuster. Eigentlich sind es drei Bücher, übertitelt "Sichtweise", "Bauweise" und "Denkweise". Mit dokumentarischen und stimmungsvollen Fotos, klugen Texten, persönlichen Aussagen und einem kreativen Layout - wie es dem neuen Wien Museum entspricht. Ein Katalog als viertes Buch bleibt ein Desiderat.

Seit 1888 verfügt die Stadt Wien über ein "Historisches Museum". Es befand sich im fünf Jahre zuvor eröffneten Rathaus. Die Unterbringung sollte ein Provisorium sein, denn schon nach wenigen Jahren beschloss der Stadtsenat die Übersiedlung - auf den Bauplatz, auf dem sich die Secession erhebt. Der Karlsplatz erlebte in der Ringstraßenepoche einen massiven Umgestaltungsprozess (Künstlerhaus 1868, Musikverein 1870). Seit der Barockzeit dominierte die Karlskirche den Ort, die Wien floss über den Platz. 1854 bis 1897 wurde sie von der steinernen Elisabethbrücke überspannt. Um die Jahrhundertwende entwickelte sich die "Gegend" zu einem "Experimentierfeld der Moderne". Der geniale Architekt Otto Wagner - von ihm stammt der Ausspruch "Der Karlsplatz ist kein Platz, sondern eine Gegend" - engagierte sich für ein Gesamtkunstwerk im Jugendstil. Er ließ sogar ein 22 Meter hohes Fassadenmodell des Museums in Originalgröße aufstellen. Konservative Kreise fürchteten die optische Beeinträchtigung der Karlskirche durch den Neubau. Schon im Vorfeld sammelten sie 6.000 Unterschriften gegen das Projekt. An seiner Stelle entstand als östlicher Abschluss eine Verkaufshalle für Luxusgüter. Nach wenigen Jahren wurde sie demoliert.

Hatte der Erste Weltkrieg den auf dem Areal der Stadthalle begonnenen Museumsbau gestoppt, so nahm man nach dem Zweiten seine Realisierung energisch in Angriff. Die bis 2003 "Historisches Museum der Stadt Wien" genannte Institution war der erste Museumsbau der Zweiten Republik. 1959 eröffnet, gilt er heute als bedeutendes Denkmal der österreichischen Nachkriegsmoderne. Treibende Kraft war der 1949 zum Direktor bestellte Kunsthistoriker Franz Glück (1899-1981), der ein modernes Konzept nach internationalem Stand der Museologie verfolgte. Er wollte keine historische Wunderkammer, sondern ein Volksbildungsinstitut. Die Planungsphase verlief nicht problemlos. Der Neubau sollte "ein einfaches und zweckmäßiges Gefäß" werden, das sich "frei von Eitelkeit und Ehrgeiz" bescheiden in die Umgebung einfügt. Ein Architektenwettbewerb mit 84 Einreichungen ergab keinen ersten Preis. Der Juryvorsitzende Franz Schuster (1892-1972) legte daraufhin ein eigenes Projekt in Abstimmung mit dem Direktor vor. Schließlich entschieden sie sich für den Entwurf des - mit einem Ankauf bedachten - Architekten Oswald Haerdtl (1899-1945). "Haerdtls mehrfach modifizierte Ausführungsentwürfe bildeten einen Kompromiss zwischen den Wünschen der Museumsleute und den städtebaulichen und architektonischen Forderungen Schusters. … Bei der Eröffnung des Hauses 1959 sorgten vor allem die Flexibilität der Schauräume und die ausgeklügelte Haustechnik für Aufsehen" (Alexander Nierhaus, Eva-Maria Orosz). Auch die Innenausstattung des damals modernsten Museums Europas stammte vom Architekten und Designer Haerdtl, dem qualitätvolle Materialien wichtig waren.

Ein halbes Jahrhundert erfüllte das Historische Museum seinen Zweck anstandslos. Doch kam es zu Um- und Zubauten. Der Bedarf an Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Depoträumen führte 1998-2000 zur Überdachung des Hofes. Ein Glasdach gab dem ehemaligen Skulpturengarten neue Funktionen als Saal und Museumscafé. 2003 wurde der Historiker und Kulturjournalist Wolfgang Kos Direktor und blieb es bis 2015. In seine Zeit fallen u.a. die Umbenennung in "Wien Museum" und der Umbau des Foyers (2005). 2012 wurde er als Österreicher des Jahres in der Kategorie Kulturmanagement und mit dem Theodor-Körner-Preis der Stadt Wien gewürdigt. Der von ihm gewünschte Umbau blieb seinem Nachfolger Matti Bunzl vorbehalten. Der Wiener Kulturwissenschaftler kam nach fast einem Vierteljahrhundert in den USA in seine Heimatstadt zurück. Im Sommer 2019 erfuhr das alte Wien Museum seine letzte Veränderung. Mehr als 30 Graffiti- und Street Art-KünstlerInnen wurden eingeladen, sich das Haus auf ihre Weise anzueignen. In 36 Tagen sahen 55.000 BesucherInnen den "Takeover" des Wien Museums.

Bald danach begann die Entkernung. Ein anonymer, offener Architekturwettbewerb hatte schon 2015 stattgefunden. Namhafte internationale Büros beteiligten sich. Von Einreichungen aus 26 Ländern kamen 14 in die engere Wahl. Gewinner waren die Klagenfurter ArchitektInnen Certov, Winkler + Ruck. Der Spatenstich erfolgte 2020. Knapp zwei Jahre später war der Rohbau fertig, die Eröffnung fand im Dezember 2023 statt. In den ersten Wochen kamen täglich rund 3.000 BesucherInnen. Besonders bemerkenswert ist, dass nicht nur der Zeitplan, sondern auch das Budget (trotz massiver Preissteigerungen) eingehalten werden konnten. Für das Projekt standen 108 Millionen € (plus 6 % Reserve) zur Verfügung. Die Nutzfläche erweiterte sich von 6.900 auf 12.100 m², auf Energieeffizienz und modernste technische Infrastruktur wurde größter Wert gelegt. Das neue Wien Museum ist das erste in Österreich, das kostenlosen Eintritt in die Dauerausstellung ermöglicht. Nur für die Sonderausstellungen muss man Karten kaufen.

Der Bau referenziert auf Oswald Haerdtl und den Karlsplatz. Der Eingangsbereich wurde 800 m² in den Platz hinausgerückt und bietet Raum für einen Schanigarten. Ein 10 m hoher Vorbau bildet einen multifunktionalen Pavillon als Pufferzone. Die Dauerausstellung beginnt mit einem Blick zurück in 8.000 Jahre Siedlungsgeschichte, die ein digitales Modell verdeutlicht. Chronologisch folgen Mittelalter und Renaissance, mit den Steinfiguren des Stephansdoms und einem Arsenal von Ritterrüstungen als Highlights. Das Herzstück der Präsentation bildet die große Halle. Über den Originalfiguren des Donner-Brunnens auf dem Neuen Markt schweben u. a. der "Dienstwagen" des Wiener Bürgermeisters und der Praterwal "Poldi". Auch ein 5 m hohes Modell des Stephansdoms und das "Waldheim"-Holzpferd sind in der Halle zu sehen. Stationen in nächsten Stock thematisieren Barock, Aufklärung und Ringstraßenzeit. In der Abteilung "Wien um 1900" kontrastieren Gemälde von Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Carl Moll mit Gegenständen der Alltagskultur. Hier hat auch das Stadtmodell von 1852 einen neuen Platz gefunden. Es wurde, wie alle der 1.700 Exponate, grundlegend restauriert, in diesem Fall mit Hilfe einer Patenschaftsaktion.

"Das größte und öffentlichste Exponat des Wien Museums offenbart sich beim Betreten des rund 400 m² großen Stadtbalkons. Es spannt sich als ein Panoramabild des Karlsplatzes auf, die Karlskirche zu Linken." Darüber erhebt sich das Schwebegeschoß, despektierlich als "fette Matratze" bezeichnet, und nun doch auch von früheren Kritikern gelobt. "Das Wien Museum ist ein Haus, das die Geschichte Wiens erzählt. … Und nun mutiert es als seine eigene Erzählung selbst zum Exponat, umgeben von omnipräsenter Stadtgeschichte", sagen die ArchitektInnen. "Denn das Haus ist, was es ist - ein gebauter Dialog mit der Stadt und ihrer Geschichte, letztendlich auch mit sich selbst."

hmw