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Mario Döberl: 100 Jahre Wagenburg in Schönbrunn#

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Mario DÖBERL: 100 Jahre Wagenburg in Schönbrunn. Die Geschichte des Wiener Marstallmuseums. Böhlau Verlag Wien. 256 S., ill., € 40,-

"Die k. u. k. Hofwagenburg erfüllte bis zum Ende der Monarchie 1918 ihren Hauptzweck als Fuhrpark. Sie blieb ein lebendiger Organismus. Der Wiener Wagenbau und das Sattlerhandwerk waren berühmt und zählten zu den angesehensten Wirtschaftszweigen Österreichs", schreibt Sabine Haag im Vorwort. Der Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums untersteht auch die Wagenburg in der Schönbrunner Winterreitschule. Die seit 1922 dort untergebrachte Sammlung zählt zu den bedeutendsten höfischer Prunk- und Gebrauchsfahrzeuge. Ihr Kurator Mario Döberl hat zum 100-Jahr-Jubiläum die erste umfassende Darstellung geschrieben. In dem reich illustrierten, grafisch ansprechenden Werk beleuchtet er die Geschichte der Institution ebenso wie die Akteure der Wagenburg und deren Arbeit, BesucherInnen - 12 Millionen in einem Jahrhundert -, Gebäude, Depots, Objekte und Präsentationsweise. In einem multiperspektivischen Zugang konzentriert sich der Kunsthistoriker, der sich seit seiner Studienzeit mit dem Thema Wiener Hofwagenbau beschäftigt, auf mehr als 50 Themen.

Den Anfang macht eine Schilderung der Museumseröffnung am 9. September 1922. Großes Medienecho blieb ihr versagt, weil die Buchdrucker streikten. Der kaiserliche Hofmarstall war an vier Tagen der Woche zu besichtigen, der Eintrittspreis kostete etwas weniger als ein Kilo Paradeiser. Bemerkenswert war die Rolle der Aufseher, die als Führer fungierten. Handwerker - und keine RestauratorInnen - betreuten die Objekte. Zu Zeiten der Monarchie konnten vor allem Ehrengäste das Marstallgebäude besuchen. Die Bevölkerung erblickte den kaiserlichen Fuhrpark bei seinen Ausfahrten. Dieser war bei seiner Auflösung beachtlich: Rund 600 Fahrzeuge, 350 Pferde, zahlreiche Automobile. Das meiste wurde von der jungen Republik weiter verwendet bzw. verkauft. Nur rund 100 historisch oder künstlerisch wertvolle Fahrzeuge sollten museal bewahrt werden. Eine Verwendungsmöglichkeit war die Vermietung als Filmrequisiten. Bekannte (nicht mehr erhaltene) Produktionen waren anno 1920 "Der Herzog von Reichstadt" und "Der Graf von Cagliostro". Pro Drehtag wurden Beträge verrechnet, die zwischen einem halben und zwei Prozent des Schätzwertes der Fahrzeuge bzw. Pferde lagen. Das betreuende Personal konnte sich als livrierte Statisten, einen Zusatzverdienst erwirtschaften.

Für die museale Unterbringung der Marstallobjekte wurden unterschiedliche Standorte diskutiert. Obwohl baulich wenig geeignet, fiel die Wahl auf die Winterreitschule in Schönbrunn. "Wagenburg mag vielen als ungewöhnlicher Name für ein Museum erscheinen, weckt er doch gemeinhin nicht nur positive Assoziationen. … Es bezeichnete eine militärische Verteidigungsformation von ringförmig angeordneten Planwagen, hinter denen sich Soldaten und der Tross verschanzten." In Wien nannte man schon zu Zeiten des Staatskanzlers Metternich den kaiserlichen Fuhrpark Hofwagenburg. 2013 wurde die Wagenburg zur "Kaiserlichen Wagenburg Wien" bzw. "Imperial Carriage Museum Vienna", wozu auch das Monturdepot zählt.

Zwischen den beiden Weltkriegen war die Wagenburg nur ein Annex der Waffensammlung. In der NS-Zeit erhielt sie Zuwachs, manche Objekte hatten jüdische Vorbesitzer, mit denen tragische Schicksale von Enteignung und Vertreibung verbunden sind. Dazu zählt Theodor Schmidt (1891-1973) aus der Gründerfamilie von Victor Schmidt und Söhne, die in der Branche von Süßwaren und Schokolade Marktführer in der Donaumonarchie war. Von den Industriellen Gutmann, den größten Kohle-Unternehmern des Habsburgerreiches, wurden zwei Reisewagen aus der Werkstätte Sebastian Armbrusters angekauft. Die an die Wagentüren gemalten Wappen erinnert an die Ringstraßenbarone. Das Bombardement vom 21. Februar 1945 fügte einigen der kostbarsten Objekte verheerende Schäden zu, wie dem Imperialwagen, einem Karussellwagen Maria Theresias oder dem Krönungswagen Franz I. Im April 1945 waren Plünderungen und Sachbeschädigungen zu beklagen.

Im "schwierigen Neubeginn" nach dem zweiten Weltkrieg war Erwin Auer, der Gründervater der Wagenburg als wissenschaftliche Einrichtung, die prägende Persönlichkeit, "was sich als außerordentlicher Glücksfall für das Museum herausstellen sollte." Der spätere Erste Direktor des Kunsthistorischen Museums fungierte ab 1947 als Leiter und bis 1972 Direktor der Wagenburg. Seine erste Aufgabe war es, sie nach den Kriegszerstörungen wieder zugänglich zu machen. Ende der 1960er Jahre erfolgte die seit langem geplante Generalsanierung. Direktor Auer inventarisierte, publizierte, forschte und etablierte die Pressearbeit. "Seine profunden historischen Kenntnisse, seine sozialen Kompetenzen, sein Arbeitseifer und seine systematische und konsequente Herangehensweise bei der Lösung anstehender Probleme blieben im Lauf der Jahre natürlich auch an anderen Stellen nicht unbemerkt, weshalb mehrfach Versuche unternommen wurden, ihn abzuwerben." Auer lehnte jedoch zu Gunsten seiner Wagenburg alle lukrativeren und prestigeträchtigen Angebote ab.

Sein Nachfolger, der Jurist und Historiker Georg Kugler, charakterisierte Erwin Auer als "unvergleichlich, korrekt, freundlich und gewissenhaft". Geradezu lächerlich erschien Kugler, dass Auers Ehefrau, die Sekretariatsarbeiten erledigen musste, für den Besuch der Schausammlung Eintritt zahlen sollte. Georg Kugler kam 1959 als Volontär in die Wagenburg, und war 1973 bis 2000 deren Direktor. Von Anfang an legte er einen Schwerpunkt auf die Kunstvermittlung, hielt hunderte Führungen und sorgte für Kataloge, auch in Fremdsprachen. 1977 verfasste er die Monographie "Die Wagenburg in Schönbrunn". Ebenso führte er organisatorische Änderungen durch und war in die mehrjährige Generalsanierung involviert.

Seit 2001 ist Monica Kurzel-Runtscheiner Direktorin der Wagenburg. Die erste Frau an der Spitze "arbeitete bereits seit 1993 als Kuratorin der Wagenburg und des Monturdepots und hatte in den ersten Jahren ihres Wirkens am Museum durch das Anlegen elektronischer Inventar- und Forschungsdatenbanken erste Digitalisierungsschritte in der Sammlungsverwaltung gesetzt." Sie verfolgt, Kooperationen und Projekte, wie die Digitalisierung des Lohner-Archivs, eines der wenigen weltweit erhaltenen Firmenarchive eines Wagenbauunternehmens. Neben der intensiven Forschungstätigkeit bilden, meist von ihr kuratierte, Sonderausstellungen einen Schwerpunkt in der Arbeit der Direktorin. Eine Neuaufstellung wurde geplant und 2018 realisiert, wobei auch Dauerleihgaben einbezogen wurden. Dazu zählen ein Rennwagen aus dem Besitz von Ferdinand Zvonimir Habsburg, dem Urenkel von Kaiser Karl I., und siebzehn Fahrzeuge aus dem Regensburger Marstall der Familie Thurn und Taxis.

So wie viele Pläne für die Zukunft der Wagenburg bestehen, gibt es zahlreiche Themen, die noch im Buch behandelt werden. Dazu zählen ungewöhnliche und kuriose, wie etwa Hochzeiten im Museumsraum, Legenden um Hofwagen, der Geruch des Museums, prominente Gäste, die Krönungskutsche des Schahs von Persien oder ein Betrugsskandal. Die ebenso wissenschaftlich korrekte wie angenehm lesbare Darstellung ergänzt der Autor durch Interviews und Überblicke. Diese erste umfassende Geschichte der Wagenburg erscheint fast ein halbes Jahrhundert nach der ersten Monographie. Auf die nächsten Publikationen darf man sich schon freuen - und inzwischen das Wiener Marstallmuseum mit neuem Blick entdecken.

hmw