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Technikerin Mirjana Peitler (Foto: Martin Krusche)
Technikerin Mirjana Peitler (Foto: Martin Krusche)

Paradigmenwechsel#

(Zu „Der milde Leviathan“)#

Von Martin Krusche#

Mein Nachdenken über Neudau bezieht sich im Kern auf jenen Prozeß, der aus einer agrarischen Gesellschaft eine Industriegesellschaft werden ließ. Dieser gewaltige Umbruch, der den Menschen einen hohen Preis abverlangte, dabei unser aller Leben permanent beschleunigte, hat den Umgang mit Gütern grundlegend verändert und tausend andere Konsequenzen ausgelöst.

Das zeigte in der Oststeiermark eine spezielle Prägung, weil hier ursprünglich kleine Selbstversorgerwirtschaften dominiert haben, aus denen kein allgemeiner Wohlstand erwirtschaftet werden konnte. Das gibt der vormaligen Neudauer Textilfabrik eine spezielle Bedeutung. Ihre Geschichte beginnt in den Jahren der Ersten Industriellen Revolution und endet mit der dritten, mit der Digitalen Revolution.

Aber stimmt diese Zuordnung? Ich hab das schon mit Wissenschafter Hermann Maurer erörtert. Maurer ist mit der Geschichte der Dritten Industriellen Revolution vertraut, seit er Mitte der 1950er Jahre im Team von Heinz Zemanek („Mailüfterl“) gearbeitet hat. Maurer hat mir bestätigt, daß es aktuell einige Technologiesprünge rechtfertigen, von einer nächsten Automatisierungswelle zu sprechen. Die könne man durchaus als nächste industrielle Revolution bezeichnen.

Das hat nicht nur mit der Technik, sondern auch auch mit so manchem Paradigmenwechsel zu tun. Mirjana Peitler ist Technikerin, und zwar Senior Expert Functional Safety bei Infineon Technologies. Für Laien: sie hat eine leitende Position in der Hableiterentwicklung. Peitler erzählte mir von einem solchen Paradigmenwechsel im Versuchsbereich. Da mußte erst geklärt werden, ob ein Team diesen Weg gehen darf.

Paradigmenwechsel#

Als Maurer bei Zemanek gearbeitet hat und der erste transistorgesteuerte Computer Europas entstand (das „Mailüfterl“), waren diese Transistoren kleine Knöpfe in verschiedenen Formen, die Füßchen hatten, an denen sie verlötet wurden. Heute sind Transistoren eine Unzahl bestimmter chemischer Verbindungen in einem Chip, die identifiziert und adressiert werden müssen. Allein zur Auflistung von dieser Vielfalt, zum Überblick, brauchen Menschen die Unterstützung durch Maschinenintelligenz.

Der alte Modus in einer Chipentwicklung steht unter dem Stichwort Requierement, also Erfordernis. Befehle definieren und ausführen. Das ergibt einen Befehlskatalog. Eine Liste yon „You shall!-Anweisungen“. Im Chipdesign werden Anforderungen (bezüglich der Funktion) über Anweisungen abgearbeitet. Peitler meint, diese Verfahrensweise käme aus einer einstmals zu engen Spezialisierung, die man heute aufbrechen müsse. Sie sagt: „Ein guter Designer muß mir den Chip erzählen können.“ Der neue Ansatz ist auf die Möglichkeit ausgerichtet, enorme Komplexität zu bewältigen, indem man eine Erzählung entwickelt, durch die man einen Flow erreicht. Um mit diesen größeren Zusammenhängen fertigzuwerden, müßten die zuständigen Leute ihr Selbstverständnis und ihr Berufsbild verändern.

Hier klingt einerseits die Flow-Theorie von Mihály Csíkszentmihályi an, obwohl natürlich der Begriff Flow im Softwarebereich eine andere Bedeutung hat. Hier taucht anderseits ein kulturelles Motiv auf, das auch literarisch gedeutet werden kann. Eine Erzählung, statt eine Liste von Befehlen.

Fragment aus Neudau (Foto: Martin Krusche)
Fragment aus Neudau (Foto: Martin Krusche)

Nützliche Analogien#

Meine Sachkenntnis reicht nicht aus, um mit den Fragen tiefer in den Bereich der Chipentwicklung zu gehen. Das ist aber auch für unsere Thema unerheblich. Es sind nützliche Analogien. Im Fokus steht meine Überlegung, daß die Geschichte der inzwischen liquidierten Borckenstein GmbH begann, als die Patentverleihung an James Watt gerade erst 20 Jahre zurücklag, daß sie endete, als sich die Vierte Indurtielle Revolution etabliert hatte.

Bei aller Schwierigkeit, in der Geschichtsschreibung eine Ära zu definieren, also zeitlich möglichst genau einzugrenzen und plausibel zu benennen, ist das für mein Nachdenken über Neudau eine völlig hinreichende Art, um diese Aspekte zu sortieren.

Die Borckenstein GmbH steht exemplarisch für die Dampfmaschinenmoderne und fand ihr Ende, als sich ein ganzes Bündel technischer Neuerungen durchgesetzt hatte. Ich meine damit selbstlernende Systeme, ein Internet der Dinge, in dem Gegenstände nach eigenen Regeln miteinander kommunizieren, diverse Paradigmenwechsel und insgesamt massive Automatisierungsschübe, in denen sich das Verhältnis Mensch-Maschine einmal mehr völlig verändert.

Ich were in einer nächsten Glosse noch detaillierer auf das Thema Team eingehen, wie es hier bei Maurer („Mailüfterl“) und Peitler (Infineon) angeklungen ist. Das hat ein paar interessante Entsprechungen, wenn man mit Fabriksarbeitern spricht, die dann die Jobs in der Bude machen. (Zu meinem Gespräch mit Hermann Maurer siehe: „Hintergrundfolie: Technik“!)