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Mini Clubman mit Graffiti von Paul Busk
Mini Clubman mit Graffiti von Paul Busk

Episode XXI: Kompakt. Komplex.#

(Ein Moment in der Stadt)#

Von Martin Krusche#

Meine erste Episode im Jahr 2023 ist auf Gleisdorf bezogen. Einerseits auf die Stadt, das Zentrum und vor allem auf den Wandel, der eine permanente Eigenschaft des Urbanen ist. Andrerseits knüpfe ich an eine der Fragen an, die mich nun seit Jahrzehnten beschäftigt: Wer darf die Außenhaut der Innenstadt mit welchen Inhalten bespielen?

Das verweist auf ein stets neu zu klärendes Verhältnis zwischen privatem und öffentlichem Raum entlang meiner Annahme, daß erst leibliche Anwesenheit den öffentlichen Raum zu einem politischen Raum macht. Dabei stellt uns das Automobil vor ein spezielles Problem. Es ist (mobiler) privater Raum im öffentlichen Raum. Daraus ergeben sich laufend Kollisionen völlig verschiedener, oft konträrer Verhaltenskonzepte.

Außerdem sind Automobile nicht bloß Vehikel, sie sind auch Statements, sind Teile eines Codesystems, über das wir uns gegenseitig Mitteilungen machen. So bündelt sich nun ein Ensemble von Themen in diesem Moment, da ich den Umbau im Bereich einer alten Bäckerei beobachtet hab und eines Tages davor ein spezielles Fahrzeug entdeckte.

Der Mini Clubman, ein Kleintransporter, mit dem BMW einen britischen Klassiker zitiert hat, gehört zur Firmenflotte der Bäckerei Auer. Die ist in Gleisdorf nun an einem Platz etabliert, wo über hunderte Jahre nicht bloß gebacken wurde. Das Haus ist eine traditionsreiche Produktionsstätte. Der Wagen fiel mir auf, weil er seinerseits eine markant bespielte Außenhaut hat, die – wie man leicht bemerken kann – ein Statement ist, ein Kommunikationsakt.

Bild 'fh.re039b'
Bild 'fh.re039c'

Der kompakte Clubman wurde von Künstler Paul Busk beschriftet. Er ist überdies Kommunikationsdesigner und befaßt sich unter anderem mit Typographie, entwirft zum Beispiel Schriftfonts, aber auch Logos. Es kommt noch besser. Busk startete 2001 gemeinsam mit Michael Kuhn das Projekt CMOD (Citymodification). Die Veränderung der Stadt...

Das nehme ich unter anderem als Querverweis auf einen Klassiker der Architekturtheorie: „Learning from Las Vegas“ (Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour). Darin geht es wesentlich um die Rezeption von Architektur und Zeichensystemen aus dem fahrenden Auto heraus. (Na klar lande ich dann gleich auch bei Paul Virilio.)

Diese meine Betrachtungen schließen an einen Prozeß an, in dem jener Gleisdorfer Einbahnring, über den auch die hier gegenständliche Bäckerei Auer erreichbar ist, grundlegend umgebaut, umgestaltet wurde. Daß ich also eines Tages ein kurioses Auto entdeckt habe und davon Fotos mitnahm (ich bin ein versierter Automobil-Paparazzo), steht für ein sehr komplexes Themenpaket.

Übrigens hatte ich am Straßenrand im Bauschutt einen metallenen Buchstaben entdeckt, der offenbar von der Fassade des Hauses stammt und auf die alte Bäckerei Waitzl hinwies. Damit ist ein Stück Typographie erhalten, ein wettergegerbtes San Serif-e, formal im harten Kontrast zu den Schriften, die Busk entwirft.

So faßt diese Episode zum Auftakt von 2023 eine ganze Reihe von Themen zusammen, die ich derzeit in einem größeren Ausmaß im „milden Leviathan“ bearbeite. Die Stadt, die Region, der Raum und die Raumüberwindung nach dem Ende der Dampfmaschinenmoderne, in dieser neuen Ära, die schon Faktum ist, aber erst begriffen und definiert werden muß...