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Die „Weltmaschine“ des Bauern Franz Gsellmann steht symbolisch auf einer Schnittstelle zwischen agrarischer und industrieller Welt, ruht real zum Teil auf den Resten eines Ochsenfuhrwerks, wie mir seine Schwiegertochter erzählte. (Foto: Martin Krusche)
Die „Weltmaschine“ des Bauern Franz Gsellmann steht symbolisch auf einer Schnittstelle zwischen agrarischer und industrieller Welt, ruht real zum Teil auf den Resten eines Ochsenfuhrwerks, wie mir seine Schwiegertochter erzählte. (Foto: Martin Krusche)

Umbrüche#

(Die Industrialisierung von Agrarstaaten)#

Von Martin Krusche#

Das Österreich der Spätphase der Habsburgermonarchie ist auf charakteristische Art ein industrialisierter Agrarstaat gewesen. Im Jahr 1910 waren auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich 39,5 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, 31 Prozent in Gewerbe und Industrie, 29,5 Prozent im Dienstleistungsbereich. (Resch/Hofer)

Der Raum Gleisdorf und der Bezirk Weiz haben bis heute nennenswerte Anteile des primären Sektors, sind von Agrarstandorten mitbestimmt. Industrialisierung und urbanes Leben haben sich damit verzahnt. Das ist eine relativ junge Geschichte; und zwar eine Erfolgsgeschichte im Entkommen aus dem kargen Leben der bäuerlichen Kultur.

Drei Sektoren#

Zur Beschreibung grundlegender Veränderungen einer Volkswirtschaft hat sich eine grobe Einteilung in drei Sektoren bewährt. Der primäre Sektor meint die „Urproduktion“, zum Beispiel Land- und Forstwirtschaft, Fischerei etc., der sekundäre Sektor ist ein rohstoffverarbeitender Sektor, also etwa Handwerksbetriebe und Industrie. Der tertiäre Sektor ist der Dienstleistungssektor, was Handel, Verkehrswesen, Bankwesen, Bildungseinrichtungen etc. meint, ebenso Gastronomie, die Tourismusbranche und vieles mehr.

Die Industrialisierung drängt die Urproduktion zurück, der tertiäre Sektor hat eine rauchende und rußende Dampfmaschinenmoderne gewandelt, Kohle und Stahl sind nicht mehr Hauptereignisse unserer Wirtschaft. Aber jene Ära, deren Ende ich zu begreifen versuche, hatte erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts begonnen.

Industrialisierung#

Welche enormen Innovations- und Entwicklungsschübe das verlangt hat, auch einen astronomischen Einsatz von Geld, macht ein Blick nach Rußland anschaulich. Dort waren von einem 74 Millionen-Volk um 1860 nur rund 860.000 Arbeiterinnen und Arbeiter in Manufakturen, Fabriken und Hüttenwerken tätig. (Pierenkemper) Ein Hauch mehr als 1,2 Prozent der Bevölkerung. Es war ein quälend langsamer Prozeß, in dem sich der „Bauern- und Arbeiterstaat“ Richtung Höhe der Zeit bewegte.

Ich habe hier zum Vergleich einige Zahlen von 1850. In Österreich waren damals rund 24 Prozent im sekundären Sektor tätig. Großbritannien führte mit 48 Prozent. In Deutschland waren es 24, in den USA 21 Prozent. (Klamminger) Diese Zahlen erzählen freilich nichts davon, wie unerbittlich hart das Leben jener Menschen war, die in den Fabriken gebraucht wurden. Sie lebten kaum besser als Arbeitssklaven.

Freilich hatte es das ländliche Proletariat nicht viel komfortabler, zumal in der Oststeiermark mit ihren hauptsächlich Selbstversorgerwirtschaften, von denen nicht für den Markt produziert wurde. Man kann sich bei uns heute noch von vormaligen Keuschler- oder Dienstbotenkindern erzählen lassen, wie sehr der Mangel Alltag gewesen ist und oft in Not umgeschlagen hat.

Um noch kurz nach Neudau und dem „milden Leviathan“ zu verweisen, die Textilindustrie erscheint in manchen Debatten als die „Mutter aller Industrien“. Das wird einerseits mit dem Bedarf begründet, der gleich nach der Nahrungsbeschaffung komme, das hängt andererseits mit der enormen Entwicklung früher Spinnmaschinen und mechanischer Webstühle zusammen.

Nach meinem Wissenstand war „Borckenstein“ in Neudau die älteste Textilfabrik auf dem Kontinent. Ihre Geschichte beginnt schon 20 Jahre nachdem James Watt sein Patent für die optimierte Dampfmaschine erhielt, nämlich 1789.