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Notiz 039: Vom trinkbaren Duft#

(Eine kleine Weihnachtsgeschichte)#

von Martin Krusche

Ich hab dieser Tage ein schlankes Fläschchen mit der Aufschrift „Chai-Sirup“ geschenkt bekommen, das ein besonderes Gebräu enthielt. Es stammt passend aus einem Gleisdorfer Teehaus, zu dem mir im Ort bloß noch ein Gewürzladen fehlen würde. Das sind Plätze, an denen die Sinne Weltreisen unternehmen können.

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Was wir riechen, ist immer gesellschaftlichen Konventionen ausgesetzt. Wer meiner Generation angehört, wird sich vermutlich erinnern, daß in unseren Kindertagen „Küchengeruch“ als eine Art Kulturschande galt, gegen die uns von der Industrie allerhand verläßliche Mittelchen angedient wurden.

Ich halte es eher für eine kulturelle Fehlleistung, unsere Geruchswelten so rigoros mit allerhand Merkwürdigkeiten zu überschreiben, wodurch dann etwa Zitronen mit Frische und daher mit Sauberkeit assoziiert werden. (Wer kennt noch den Geruch von nüchterner Kernseife?)

Gewürzläden sind bei uns aus dem Gebrauch gekommen. Sucht man Geruchsabenteuer, wird man sich in der Provinz nach Parfümerien vergeblich umsehen. Dieses Terrain wurde von Drogeriekette okkupiert. Aber ein Teehaus! Ich trinke übrigens Tee nicht wegen seiner belebenden oder womöglich gesundheitsfördernden Wirkungen, sondern wegen der außergewöhnlichen Geschmackserlebnisse.

So gehört für mich Earl Gray standardgemäß zum Haushalt, Bergamotte ist ein Stoff aus einer anderen Welt, zu der ich so Kontakt halte. Ich möchte kein Leben ohne Muskatnüsse, kann aber auf Macis gut verzichten. Ich halte es für skurril, daß Knoblauch verpönt ist. Fenchelsamen erscheint mir märchenhaft.

Geschmackserlebnisse sind zum überwiegenden Teil Geruchserlebnisse. Tee und Gewürze sind daher paradiesische Stoffe. Salz kann ich nicht riechen. Aber die Geschmacksveränderung, die es bei übrigen Dingen bewirkt, bleibt einem nicht verborgen. Kräuter wirken ganz anders. Sie teilen sich auch direkt mit, bevor sie zu Speisen kommen. Pilze sind darin auch eigenwillig. Wenn ich einen Berg Gemüse zerkleinert hab, weil ich Eintopf auf Vorrat mache, haftet meinen Händen der Geruch davon noch über Stunden an. Es fiele mir nicht ein, deshalb die Hände zu waschen.

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Ich hab lange nicht gewußt, wie wesentlich der Geschmack einer Speise sich auch aus dem bezieht, was wir riechen. Eine Faustregel besagt, daß die Nase mehr schmeckt als die Zunge. Das macht überdies klar, wie bedeutend Düfte sind, um die Welt wahrzunehmen, um Vergnügen zu finden. Das hat seine intimsten Varianten in der Nähe zu Menschen. Das macht uns störanfällig, wo ein Geruch Ekel auslöst, was meist bedeutet, daß er irgendeine Gefahr signalisiert.

Doch dieses Fläschchen mit dem „Chai-Sirup“ zählt eher zur Abteilung „trinkbare Bonbonniere“, ist auf Vergnügen abgestellt. Es ist eine Mixtur, die geschmacklich in jene Richtung geht, welche ich im Tee-Reich als Weihnachtsmischung oder mit ähnlichen Bezeichnungen kenne. Nichts für Tee-Puristen. Üppigkeit pur.

Solcher Geschmack, in Hitze gewickelt, das ist die eine Möglichkeit. Sie bekommt hier einen schönen Kontrast, weil sich der Sirup zum Beispiel gut mit kalter Milch verträgt. Wer mich kennt, ahnt, das sind Optionen, die auch mit Bourbon sehr gut zusammengehen. (Nein, nicht die Bourbon-Vanille, sondern das Getreidezeugs aus Kentucky.) Sowas muß nicht argumentiert werden. Es kommt wie von selbst, zumindest auf meinem Planeten, aus einem sozialen und kulturellen Pragmatismus. Gerade im Advent, wo mir allerhand politisches und sonstiges Personal was über Besinnlichkeit schwafelt und die Straßen von unerheblicher Weihnachtsmusik erfüllt sind.

Eine Geschmacksexplosion im Mund plus die Trägheit leichter Trunkenheit ergeben einen vorzüglichen Einwand gegenüber diesem gehobenen Tempo, diesen Anflügen von Besinnungslosigkeit, wovon ich dieser Tage vor der Haustür zu viel erlebe. Nein, ich stoße mich nicht eigentlich an diesem Adventtrubel, denn jeder Mensch hat das Recht auf sein individuelles Unglück. Ich finde es bloß vergnüglich, mit einiger Heiterkeit, mit sensationellen Geschmäckern im Mund und etwas Trunkenheit im Leib durch solche Stunden zu treiben. Oder auch ganz nüchtern, aber eben von solche Überraschungen erfreut, die man im Atmen einsaugt.

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Das ist freilich auch eine Frage der Zutaten, genauer, der Qualität von Zutaten. So habe ich kürzlich in einem Gasthaus eine Duftkerze ausgedämpft, weil ich entsetzlich fand, was diesem Ding entströmte. Duftkerze. Das klingt für sich schon beunruhigend. Nein, da gibt es erfreulichere Stoffe. Stoffe mit Geschichte. Vanille. Kardamom. Oder holen Sie sich einmal Koriander nach Hause, allein schon, um dieses seidige Pulver einmal zwischen den Fingern zu haben.

Der Handel mit Gewürzen war einst so bedeutend, daß er für Kriege sorgen und Imperien erschüttern konnte. Ein anderer Aspekt solcher Substanzen sind die Rauscherfahrungen, die Grenzüberschreitungen. Nun wird man weder Wein noch indischen Hanf als Gewürze deuten, aber Zimt und Schokolade konnten Menschen einst ein wenig um den Verstand bringen.

Was immer unsere Geschmackssinne erreicht und unsere Wahrnehmung glitzern läßt, ist einerseits Teil der Conditio humana und andrerseits Elementarteilchen in einer gigantischen Kulturgeschichte. Wir sollten eventuell im aktuellen Kulturbetrieb auch diese Zusammenhänge beachten. (Alle Fotos: Martin Krusche)