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Notiz 052: Viel Gefühltes#

KIP: Kulturpolitik #2#

von Martin Krusche

Ich nehme zur Kenntnis, daß wir eine durchgängige Ökonomisierung all unserer Lebensbereiche selbst in Nischen kaum zu vermeiden oder abzuwenden vermochten. Die Bewertung von allem nach der Nützlichkeit schlägt dieses „man muß doch auch einmal scheitern dürfen“. Du scheiterst besser nicht. Nie! In keinem Bereich!

SPLITTERWERK, Graz
SPLITTERWERK, Graz

Falls doch, wirst Du auch in Deinem privaten Umfeld höchstwahrscheinlich ein paar interessante Erfahrungen machen. Zur „Leistungsgesellschaft“ zählen gewöhnlich auch jene, die sich offen gegen Leistungsdruck aussprechen. Unglück steht im Rang eines ansteckenden Übels und wird notfalls sogar zu einem persönlichen Versagen umgedeutet.

Außerdem mindert es den Konkurrenzdruck, wenn jemand scheitert. Die Kultur-Budgets sind knapp, die Strukturen oft an der Grenze zur Überlastung, jeder Kreative, der zusammenbricht, nimmt Druck aus dem System. Was? Aber doch nicht wir Kulturschaffenden! So sind wir nicht! So sind doch jene, gegen die wir einst antraten! In all dem regiert viel Gefühltes, das nicht rational überprüft werden möchte.

Blödsinn! Der ganze Kulturbetrieb wimmelt naturgemäß auch von Lemuren, Trittbrettfahrern, Trickbetrügern und Heuchlern. So gesehen ist das eine Branche wie jede andere. Da wir aber im Kern vielfach mit immateriellen Gütern handeln, dürfte der Anteil an Heuchlern hier größer sein als sonstwo.

Das kommt zum Beispiel, weil man seine Ansprüche ja mit Posen und Behauptungen zu legitimieren sucht, die nur mit klaren Kriterien auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden können. Wer das lieber diffus hält, sichert sich Spielraum. Außerdem eignen sich Kulturbudgets genau deshalb auch als Manövriermasse, die man für andere Zwecke kapern kann. Das weckt Begehrlichkeiten in verschiedenen Lagern.

Es ist eine völlig nutzlose Übung, solche Umstände zu beklagen. Wo die durchgängige Ökonomisierung all unserer Lebensbereiche gebremst, womöglich ausgeschlossen werden soll, braucht es klare Befunde und Strategien. Polemik bewirkt daran gar nichts.

Als freischaffender Künstler bin ich Professional. Das ist mein Beruf. Für eine nächste Kulturpolitik müßte darüber gesprochen werden, daß Künstler zu sein keine Priesterschaft ist, sondern sich in einem breiten Fächer sehr unterschiedlicher Lebenskonzepte zeigt.

Wir sollten ganz unaufgeregt über diese unterschiedlichen Lebenskonzepte sprechen können, um besser herauszufinden, was der Profession, dem gesamten Metier, nützt, was eher schadet. Ich ziehe eine rationale Debatte den Bittgebeten und Privatmythologien vor.

Brüche#

Ich halte einige zu diesem Thema populäre Begriffe wie „Berufung“ oder „Selbstausbeutung“ für den Ausdruck von Obskurantismus. Es erscheint mir als sehr katholisch, daß man einen Lebensweg beschreiten möchte, der aufgrund gesellschaftlicher Rahmenbedingungen so schmerzensreich sei, daß man zum Märtyrer würde.

Niemand hat mich mit vorgehaltener Knarre gezwungen zu einem Künstlerdasein. Diese Entscheidung lag bei mir und sie hat, wie jede Entscheidung, für erwachsene Menschen deutliche Konsequenzen.

Selbst parlierende Bildungsbürger beteuern gerne, daß es ohne Scheitern keinen Erfolg geben könne. (Erfolg? Was ist Erfolg?) Ich ahne inzwischen, bei solchen angenehm temperierten Plaudereien weiß längst niemand mehr, wovon da überhaupt die Rede ist. Hauptsache, man fühlt sich wohl und es geht nichts schief.

Mit all dem kann ich mich nicht befassen. Ich rudere kurz zurück. In der Antike hieß es, Erkenntnis solle sich nicht bezahlt machen, sondern erweisen. Vor der Renaissance und dem Frühkapitalismus galt Muße als hochkarätiges kulturelles Gut, bevor sie als „Müßiggang“ denunziert und herabgewürdigt wurde.

Ich rudere kurz zurück an eine Stelle, wo Wissenserwerb auch Mühe sein durfte, die nicht als Bürde empfunden wurde. Das ist mein Ding: Erkenntnis solle sich nicht bezahlt machen, sondern erweisen. Freilich muß auch ich Rechnungen begleichen, Geld rausrücken. Aber das ist ein anderer Teil der Geschichte.

Ich verdanke einem aufstrebenden Bürgertum des 19. Jahrhunderts jene Arbeits- und Leistungsbegriffe, dank derer jemand fulminant untergehen kann, selbst wenn man fleißig und diszipliniert arbeitet.

Ich kollidiere auch in meinem eigenen Milieu, in nächster Nähe, gelegentlich mit Menschen, die über antiquierte Denkschemata nicht hinauskommen, weil sie es bisher kaum für nötig hielten, sich wenigstens einen Hauch Geschichtskenntnis zu erarbeiten und unseren Status quo tauglich zu analysieren.

Der Lockdown in dieser Corona-Pandemie ist vielleicht ein hilfreicher Anstoß, eine Neuorientierung für nötig zu halten. Ich bin gespannt, was in meinem Metier sichtbar und hörbar wird, wenn das erste Klagen einmal verebbt.