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Notiz 020: Zukunftsfähigkeit#

von Martin Krusche

In der Notiz zum Auftakt unseres neuen Projektes („Am Fluß“) hab ich gefragt: „Was meint heute also der Begriff Zukunftsfähigkeit?“ (Quelle) Es ist mit der liebere Begriff gegenüber dem Wort Nachhaltigkeit. Vielleicht, weil der Nachhall das Gegebene betont und das Wort Zukunft auf die Utopie verweist. Apropos Zukunft! Gestern wurden wir wohl viele, die einander erzählt haben, woran wir uns erinnern.

Ein Sammelstück aus meinen Kindertagen. (Foto: Archiv Martin Krusche)
Ein Sammelstück aus meinen Kindertagen. (Foto: Archiv Martin Krusche)

Ich war gerade 13, als ich ein spezielles Gefühl für „Zukunft“ bekam. Am 21. Juli 1969 stand der erste Mensch auf dem Mond. Die amerikanischen Briefmarken zu diesem Ereignis habe ich noch, weil mir die Alben aus meinen Kindertagen erhalten geblieben sind. (Die Postkarte mit der geriffelten Plastikbeschichtung, ein 3D-Bild der Mondlandefähre, ist dagegen verlorengegangen.)

Ich konnte als Dreizehnjähriger noch nicht wissen, daß ich zu eigenartigen Glückskindern der Menschheitsgeschichte gehöre. Davor war es noch keiner Generation beschieden, in einem vergleichbar reichen Gefüge an Sicherheit, Wohlstand und Freiheit zu leben, auch wenn der Kalte Krieg ein erhebliches Bedrohungspotential hatte. (Aber der Rückblick belegt, das hat uns nicht getroffen.)

Es ist heute eine völlig andere Situation, nach den Zuständen hinter dem nächsten Horizont zu fragen. Daran erscheint mir derzeit am auffälligsten, daß sich ein Boom entfaltet hat, in dem die bedeutendste Frage lautet: „Was wird aus mir?“ Diese Spielart der Selbstbezogenheit läßt nicht einmal mehr einen Tunnelblick zu, der Blick bricht in sich zusammen.

Es erscheint wie eine Paraphrase jener klassischen Situation, die ich kürzlich in „Markierung am Fluß“ beschrieben hab. Jenes Gelächter der thrakischen Magd, als sie sieht, wie Thales von Milet in einen Brunnen fällt, weil er in die Betrachtung des Himmels versunken war und nicht beachtet hat, wo er hintritt. (Quelle)

Auf die Art wurde beschrieben, wie in der abendländischen Kultur die Theoriebildung begann, denn, so die klassische Auffassung, wenn wir mit der Realität kollidieren, brauchen wir Theorie. Theoriebildung, das heißt: Annahmen entwickeln, die wir schließlich an der Realität überprüfen wollen. (Das hat auch viel mit kulturellem Engagement zu tun.)

Zukunftsfähigkeit. Das ist ein Zustand, in dem man angesichts grundlegend neuer Situationen nicht ratlos in Starre verfällt, sondern handlungsunfähig bleibt. So eine Verfassung gewinnt man übrigens kaum, indem man sich zu singulärer Exzellenz aufrafft, als ein Held hervortut, der sich mit großer Geste in das Rad der Geschichte wirft. Kultur ist vor allem eine kollektive Leistung, wobei freilich einzelne in ihrem Tun gelegentlich auffallen.

Helden, das sind problematische Posen. Entlang von Devianztheorien möchte ich annehmen, nicht das eigene Verhalten konstituiert den Helden, sondern die Zuschreibung durch Andere. Ich denke, was uns alte Epen an Heldenfiguren anbieten, sind keine Role Models, sondern Denkanstöße. Freilich liegt es oft an einzelnen Personen, bedeutende Akzente zu setzen. Das ändert an der Grundsituation nichts, zumal wir Nutznießende ungezählter Kulturleistungen sind, deren Akteurinnen und Akteure uns namentlich unbekannt blieben.