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Die kropferten Steirer#

Jahrhundertelang galt der Kropf als das wahre Kennzeichen der Steirer. In Reiseberichten und Lexika wurde immer wieder betont, wie groß und schrecklich diese Ungetüme waren, wobei sich Wahrheit und Dichtung stark vermischten.#


Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung


Julius Wagner Jauregg
Julius Wagner Jauregg
kk

"So ansprechend das Land in seiner Rauheit ist, so wild, entstellt und monströs sind die Bewohner in ihrer Erscheinung. Sehr viele von ihnen haben hässliche geschwollene Hälse. Kretins und Taubstumme tummeln sich in jedem Dorf herum. Der allgemeine Anblick der Leute ist der schockierendste, den ich jemals gesehen habe“, schrieb der schottische Philosoph und Diplomat David Hume 1748 aus Knittelfeld in seine Heimat, als er auf seiner Reise von Wien nach Turin ein paar Tage im oberen Murtal verbrachte. „Man könnte meinen, dass dies die große Heeresstraße war, über die all die Barbarenvölker in das Römische Reich einfielen, und sie hätten hier immer den Ausschluss ihrer Armeen zurückgelassen, bevor sie ins Feindesland einmarschierten. Davon könnten die gegenwärtigen Bewohner abstammen. Ihre Kleidung ist kaum europäisch, so wie ihr Aussehen kaum menschlich ist.“

Das schrieb der Philosoph aber nicht aus reiner Bosheit über die Steirer. Dieses Bild der kropferten, hässlichen Steiermärker hat eine viel längere Tradition, berichten Walter Brunner in seiner „Geschichte und Topographie des Bezirks Judenburg“ und der emeritierte Grazer Anglistik-Professor F. K. Stanzel in „Telegonie - Fernzeugung. Macht und Magie der Imagination“: Schon in der römischen Antike war es anscheinend allgemein bekannt, dass den Alpenländlern am Hals häufig Kröpfe baumelten, so dass der römische Satiriker Juvenal um 100 n. Chr. ganz selbstverständlich sagen konnte „Wen wundert der angeschwollene Kropf in den Alpen?“ Auch Plinius Secundus und der römische Baumeister Vitruv berichteten über die Kröpfe der Alpenbewohner und dass vor allem die Frauen dort äußerst unglücklich darüber wären. Die erste überlieferte bildhafte Darstellung eines kropferten Steirers, an dessen Hals sogar drei Kröpfe baumeln, finden wir - so ein Zufall - im Reiner Musterbuch aus dem frühen 15. Jahrhundert. Hier finden wir auch den ersten Hinweis auf den tölpelhaften Geisteszustand dieses Mannes - und die Verknüpfung Kropf und Kretin wird den Steirern künftig im allgemeinen Vorurteil bleiben!

Vor allem Johannes Boemus zementierte 1520 in seinem lateinisch geschriebenen Werk „Sitten, Gesetze und Gebräuche aller Völker“ das Vorurteil über die kropferten Steirer ein, indem er schrieb, sie hätten Mords-Kröpfe von solchen Ausmaßen, dass sie dadurch gar in der Sprache behindert seien, und wenn eine Frau aus der Steiermark ihr Kind stillen wolle, müsse sie zuerst ihren Kropf wie einen Sack über die Schulter nach rückwärts schleudern, um dem Säugling überhaupt das Trinken zu ermöglichen - wenn das Gerücht wahr ist. Dieses Werk erlebte mehr als 40 Neuauflagen sowie Übersetzungen ins Englische, Französische und Italienische und wird als Beginn der Volks- und Völkerkunde bezeichnet. Es scheint auch eines der wichtigsten ethnographischen Quellenwerke der frühen Neuzeit gewesen zu sein, betont Stanzel - bloß der Zusatz des Boemus „wenn das Gerücht wahr ist“ wurde meistens ausgelassen. Er hätte wahrscheinlich das schaurig-monströse Gruseln der Leser zu sehr eingebremst. Und so verbreitete sich - zum Glück der anderen Alpenvölker - das Vorurteil der kropferten und debilen Steirer jahrhundertelang weiter und wurde in bester wissenschaftlicher Tradition immer wieder neu abgeschrieben.

So erschien 1620 im „Atlas minor“ des Gerhard Mercator eine handkolorierte Kupferstichkarte der Steiermark, auf deren Rückseite eine Beschreibung der Bewohner folgendes mitteilt: „... haben mehrer theils vornen an den Hälsen Kröpfe herab hängen/welche etwan so groß werden/ daß sie sie an der Spraach verhindern/vnd von den Weibern so etwan kleine Kindlin haben/ vnd dieselbiege wollen an die Brüste legen/ vber die Achßlen zurück gehenckt.“

David Humes erschütternder Reisebericht ist also in bester Gesellschaft: Der Reisende sieht, was er aus der Literatur schon zu wissen glaubt und findet es durch die Realität eindeutig bestätigt. Auch der neapolitanische Botaniker Michele Tenore berichtete 1824 auf seiner Reise durchs Mürz- und Murtal ähnliches. „Doch die Steiermark blieb ihm wegen des dort geschauten Elends ihrer Bewohner, mit Armut, Krankheit, Kropf und Kretinismus fast nur in düsterer Erinnerung, auch wenn er ihre unglücklichen Menschen freundlich und hilfsbereit fand.“ Die Mär von den steirischen Kröpfen wurde aber nicht nur von Ausländern an die 300 Jahre lang übernommen, sondern auch von Inländern wie Johann Gabriel Seidl, einem Lehrer aus Cilli, der 1840 eine Beschreibung von Tirol und Steiermark herausgab, in der es heißt „Aber auch dort, wo man den Kretinismus nicht in seiner ganzen Schrecklichkeit findet, sind die Bewohner häufig durch Auswüchse am Hals (Kropfe) schauderhaft entstellt...“ Und in Zedlers Konversationslexikon von 1744 hieß es vom Steirerland „Es gibt Wasser allhier, von welchem die, so es trinken, Kröpfe bekommen, davon bey den Weibern offt etliche so groß seyn sollen, daß sie dieselben hinter die Achsel wie einen Sack werffen, soll anders das Kind zu den Brüsten kommen.“

1813 beklagte sich Felix Knaffl, Verwalter der Herrschaft Fohnsdorf: „Uiberhaupt ist hier Gegends das Rekrutieren wegen der hier Domizil zu seyn scheinenden Steckkröpfe und Blähhälse eine sehr beschwerliche Sache.“

Erst 1892/93 begann der spätere Nobelpreisträger Dr. Julius Wagner-Jauregg mit seinen bahnbrechenden Arbeiten nach Ursachen und Heilungsmöglichkeiten für diese Krankheit im Gebiet von Zeltweg zu forschen und behandelte kretinöse Kinder erfolgreich mit jodhaltigen Schilddrüsentabletten. Damit war der Bann gebrochen und dem Kropf der Kampf angesagt.

Die zwei Kropferten
Die zwei Kropferten
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Frau mit heller Haube und drei oder vier Kröpfen
Frau mit heller Haube und drei oder vier Kröpfen
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'Gemeine Steirer' Kupferstich um 1815.
"Gemeine Steirer" Kupferstich um 1815.
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Große Struma einer Patientin aus Bern, 1874
Große Struma einer Patientin aus Bern, 1874.
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© "Damals in Graz", Dr. Robert Engele