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DIE WELTSPRACHE#

Welt
Fremdsprachen, Graupp

1906: Der in Wien bestehende Parnes Weltsprachen Verein setzt sich zur Aufgabe, eine moderne Sprache als Weltsprache einzuführen. Die Idee einer Weltsprache ist nicht neu. Schon öfter tauchten Weltsprachen Erfindungen auf, aber diese Ideen kamen nicht zur Durchführung, weil sie unpraktisch und undurchführbar schienen. Sämtliche Vorschläge basieren gedanklich, die Weltsprache durch die Volksschule zu verbreiten. Die Erfahrung aber lehrt, dass man eine fremde Sprache durch Büffelei nicht so gründlich erlernt, dass als Umgangssprache gebraucht werden kann. In der Realschule lernen die Schüler sieben Jahre Französisch und können nach diesem mehrjährigem Studium keine Unterhaltung in dieser Sprache führen. Ähnliche Beispiele findet man im Gymnasium und in Fachschulen. Der genannte Verein will einen anderen Weg beschreiten. Die Weltsprache soll nach dem System Parnes durch Kindergärten verbreitet werden.

Jeder wird wohl die Erfahrung gemacht haben, wie leicht eiin drei bis vierjähriges Kind eine fremde Sprache erlernt und dass diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt. Was ein Erwachsener nach jahrelangem Studium mühselig erlernt, das eignet sich ein kleines Kind spielend in wenigen Monaten an. Diese merkwürdige Tatsache soll zu Zwecken der Weltsprache genutzt werden, u. zw. auf folgende Weise.

Ebenso wie verschiedene Kulturstaaten in allen Städten und Dörfern Volksschulen errichteten, die sich ausgezeichnet bewähren, so sollte jeder Staat dafür sorgen, dass in jedem Ort Kindergärten errichtet werden. In den städtischen Kindergärten soll eine ausländische Lehrerin angestellt sein, die mit den Kindern nur in der Weltsprache verkehrt. Die Kindergärtnerin darf sich die Weltsprache nicht aus Büchern angeeignet haben, sondern die Weltsprache muss ihre Muttersprache sein. Nehmen wir an, Englisch wird auf einem Weltsprachen Kongress zur Weltsprache auserkoren, dann muss die Kindergärtnerin eine geborene Engländerin sein und sie muss den Kindern all die Fabeln und Märchen nur in der englischen Sprache erzählen und wenn die Kinder die in den drei Jahren diese Kindergeschichten in jener Sprache beherrschen, können sie sich auch unterhalten, so werden sie der Weltsprache ebenso mächtig wie der Muttersprache sein. Was bis jetzt Vorrecht der Reichen ist, soll Gemeingut aller Klassen werden. Jetzt halten nur sehr reiche Leute zu ihren Kindern ausländische Bonnen; künftig soll auch das allerärmste Kind, eine Bonne in Form einer Kindergärtnerin erhalten.

Wenn das Kind 6 Jahre alt wird und die Volksschule besucht, so muss auch dort der Unterricht nur in der Muttersprache erfolgen, denn hoffentlich wird niemand zugeben, dass die Volksschule weltsprachlich wird. Damit aber die Kinder die Weltsprache nicht vergessen, soll die selbe Kindergärtnerin drei- bis viermal wöchentlich je eine Stunde in der Volksschule die Weltsprache unterrichten, nun auch aus Büchern vorlesen, die dann die Kinder nacherzählen müssen. So bleiben die Kinder bis zum 14. Lebensjahr mit der Weltsprache verbunden und diese nicht vergessen.

Kindergärten, auch ohne Weltsprache, wären eine Wohltat für die Mittelstände und arbeitenden Klassen und diese würden dieese Einrichtung mit Jubel begrüßen. Pflicht eines jeden Menschen ist es daher, diese Idee nach tunlichst zu fördern.

Die Realisierung dieser Idee strebt der Parnes Weltsprachen Verein an. Er will diese Idee durch Vorträge verbreiten und will sich bemühen, viele Mitglieder für diesen Verein zu gewinnen. Ähnliche Vereine werden in allen Städten Europas und Amerikas gegründet und wenn diese tausende von Vereinen in den Kulturstaaten Millionen Mitglieder zählen und und unter diesen Millionen sich auch viele Volksvertreter aus allen Parlamenten finden werden, dann werden die Vereine an diese ihnen angehörenden Parlamentarier die Bitte richten: sie mögen in ihren Parlamenten den Antrag einbringen. Der Staat soll die nötigen Geldmittel zur Errichtung von Kindergärten mit Weltsprachen Unterricht bewilligen. Gleichzeitig wird ein Kongress zum Zweck der Wahl der Weltsprache einberufen.

Nach den Statuten des Vereins hat ein Mitglied einen Jahresbeitrag von 20 Hellern zu zahlen. Man hat den Jahresbeitrag deshalb so gering angesetzt, damit auch der Allerärmste dem Verein beitreten kann. Denn das Bestreben des Vereines geht dahin, eine große Anzahl von Mitgliedern zu gewinnen, um den maßgebenden Kreisen zu zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung diese Einrichtung wünscht.

Die Vereinsleitung richtet ganz besonders einen Appell an den wohlhabenden Teil der Bevölkerung. Jeder etwas Bemittelte fühlt sich verpflichtet, seine Töchter und Söhne in einigen fremden Sprachen unterrichten zu lassen. Da die meisten Menschen sehr wenig Sprachtalent aufweisen, so ist dieses trockene Gedächtnisstudium eine Qual für die Kinder. Und endlich kann man auch mit der Kenntnis von zwei bis drei Sprachen nicht in der ganzen Welt fortkommen. Aus Mitleid für ihre Kinder sollten die Wohlhabenden diese Idee unterstützen, indem sie dem Verein als Mitglieder beitreten.

QUELLE: Ischler Wochenblatt, 26. August 1906, Österreichische Nationalbibliothek ANNO

https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Historisches_von_Graupp