!!!MADAME GERBEAUD




[{Image src='Madame Gerbeaud.png'class='image_left'height='300' caption='Madame Gerbeaud, Bühne' alt='Budapest' width='262'}]


1925:  Madame ist bereits über siebzig, aber noch immer behende, ihr Lächeln ist noch  so frisch, ihr Blick  noch so lieb, wie der  eines 20jährigen Mädchens.

Schon in der Vorkriegszeit vielfache Millionärin, ist sie heute glückliche Besitzerin ungezählter Milliarden. Trotzdem verlässt sie allmorgendlich schon  um 9 Uhr ihre mit  herrschaftlichem Prunk eingerichtete Wohnung um   in ihrer berühmten Konditorei geschäftig zu sein. Mit scharfem Blick überprüft sie die Säle, ob nicht irgendwo ein Staubkorn zu sehen ist, kontrolliert sie die Angestellten, ob ihr Haar glatt gescheitelt, ihre Schürzen blank sind.

Sie stammt aus der Schweiz, die Madame Ester Gerbeaud, und gelangte im Jahr 1865 mit ihrem Gemahl Monsieur Gerbeaud, nach  Budapest. Der berühmte  Konditor  Heinrich Kugler nach Pest berufen  um seiner alten vornehmen Konditorei einen auswärtigen  Zuckerbäckermeister an die Spitze zu stellen, Den  Gerbeauds gefiel Pest, sie ließen sich  da nieder, und nach einigen Jahren, als Heinrich Kugler starb, übernahm Emil Gerbeaud die feinste Konditorei Pests.

Gerbeaud ist sozusagen ein Wahrzeichen von Pest. Kommen ausländische Gäste an, denen man  die weltstädtischen Wunder von Pest zeigen will, so  führt man sie  zunächst zu Gerbeaud. Der französische Name des Pesters Konditors ist auch dem Ausländer schon geläufig, denn die  Gerbeaud-Zuckerln kennt und liebt man sowohl in Wien wie in Paris oder in London. Monsieur Gerbeaud, der ewig lächelnde Schweizer Konditor, der das ganze ungarische Zuckerbäckergewerbe auf europäisches Nivau gehoben hatte, starb im Jahr 1918. Seitdem wird die Konditorei, die bereits als eine veritable Fabrik angesehen wird und nicht weniger als 500 Angestellte beschäftigt von der Witwe, Madame Gerbeaud, geführt. Neben der Zentrale, auf dem Giselaplatz, hat Gerbeaud noch zwei Geschäfte, in der Kossuth Lajos-Gasse und auf dem  Museumsring. Den größten Stolz der Madame Gerbeaud bildet der sommerliche Royal-Gerbeaud-Pavillon im Stadtwäldchen, das auch schon königliche Gäste empfangen hat. Franz Joseph, Königin Elisabeth, ja bei einer Gelegenheit  auch Wilhelm II., verweilten hier als Gäste.

Seitdem ihr Gatte  gestorben ist, hat Madame Gerbeaud das Trauerkleid  nicht abgelegt. Unauffällig durchschreitet sie, eine der reichsten ungarischen Frauen, die Säle der Konditorei, nur von  jenen beachtet, die da wissen, wer die Greisin in den Trauerkleidern ist. Das heutige Publikum von Gerbeaud ist freilich nicht mehr das der Friedenszeiten. Vor dem Krieg und auch während des Krieges noch wagte sich der bescheidene Bürger selten in die glanzvolle Konditorei auf dem Giselaplatz, welche die Crème der Geburts- und Geldaristokratie vereinigt hatte. Vormittags gab sich der Park-Klub, nachmittags das Nationalkasino darin  Stelldichein. Im Rauchsalon stolzierten elegante Kavallerieoffiziere, flirteten fesche Dragoneroffiziere mit den jungen blonden Komtessen.

Gegen Ende des Krieges wurde Gerbeaud von der Schar der Lieferanten, der Kriegsmillionäre überschwemmt. Allmählich wurde das frühere Stammpublikum von Saal zu Saal zurückgedrängt. Dann kamen die Revolutionen. Während der Kommune  stellten sich die Proletarier in Reih und Glied an,  um Gefrorenes und Feingebäck zu erhalten. Nach dem Sturz der Räterepublik drangen die Schieber, die  Valutaspekulanten in die feinen Säle ein. In ihrem Gefolge die Demimonde. Madame Gerbeaud musste es mit tränenden  Augen sehen, wie  diese übel beleumundeten Gestalten ihr feines Lokal überfluteten. Sehr oft schlug sie die Hände zusammen und flehte Gott  an, sie von den Bösen zu befreien.

Nach fünfjährigem Flehen ward sie vom Himmel erhört. Die Tage der Börsenhausse sind verrauscht, auf der wirtschaftlichen Front hat die Konjunktur den Heldentod erlitten, und Gerbeaud empfängt nun viele der angestammten Gäste, die sich während der letzten fünf Jahren ferngehalten und nun durch ihr Wiedererscheinen das Pest der Friedenszeit  neu erstehen lassen.

QUELLE: Die Bühne, 1925, H 21, Österreichische Nationalbibliothek.

!!Siehe andere schöne Beiträge >[Café Gerbeaud (Austria Wiki)]                         

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