!!!ZUM ERFOLG


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Oscar Blumenthal, der deutsche Schriftsteller berichtet 1904 in einem Feuilleton „Zur Psychologie des Erfolges“ folgendes: Als er mit dem ungarischen Dichter
 Ludwig Doczi durch die Lorbeerwälder von Abbazia streifte begannen sie verschiedene Themen aufzugreifen, um den langen Weg dadurch zu verkürzen. Und so kamen sie  auf die sonderbaren  Geheimnisse des Erfolges  und des Misserfolges zu sprechen.

„...wir stimmten darin  überein, dass große und dauernde Erfolge selten oder niemals auf glatter Bahn gewonnen werden. Sie müssen,  wie die Ruhm reichsten Siege der Kriegsgeschichte, über Hemmungen und Widerstände erkämpft  worden sein, wenn sie Bestand haben sollen. Mit einem Blick auf das Lorbeerdach, das den Weg  leuchtend überwölbte, machte im Zusammenhang dieser Unterhaltung Ludwig Doczi eine Bemerkung, die sich mir unwillkürlich zu einem Vierzeiler zusammenschloss.

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Wer die Geheimgeschichte des Erfolges schreiben könnte, er würde auf Schritt und Tritt diese  Bemerkung bestätigt sehen. Ja, so  wahr und erprobt ist sie, dass bisweilen die Dichter, die keinen ernsthaften Widerständen begegnen, listige Hilfsmittel anwenden,  um sich zu erfinden. Denn die Verfolgung ist zu allen Zeiten der  mächtigste Hebel des Ruhms gewesen … Man muss nur in der Wahl seiner  Verfolger recht vorsichtig sein; man muss sie sich gelegentlich selbst auf die Fersen hetzen -  und man wird damit eine  schärfere Menschenkenntnis  bewiesen haben, als mit jeder schmeichelnden Werbung um Gunst und Beifall.

Das scheint paradox. Aber vielleicht wird man  mir zustimmen, wenn ich einige Ateliergeheimnisse ausgeplaudert habe, die übrigens  schon längst die Spatzen von den Dächern pfeifen.

Kennen Sie die Geheimgeschichte des größten Bucherfolges, den Arthur Schnitzler bis heute errungen hat? Vor einigen Jahren schrieb er mit kecker Feder und in der  sprudelndsten Anatole Laune ein Dutzend erotischer Lebensbilder, die mit einem satirischen Grundgedanken geschickt aneinander genietet waren. Aber so gewagt  auch die Stoffe der zwölf Dialoge waren, die der Dichter unter dem  Titelschild „Reigen“ vereint hatte, so versteht es sich bei  einem ernsthaften Poeten, wie Arthur Schnitzler, von selbst,  dass er sich der Muse auch diesmal in ehrbarer Absicht genähert hat, und die künstlerische Sauberkeit seinen Unsauberkeiten  würde zuletzt ihre Verzeihung erschmeichelt haben.. Gleichwohl hielt ihn als das Buch fertig  vorlag, ein schamhaftes Widerstreben von der Veröffentlichung zurück. Er mochte sich nicht dem Missverständnis aussetzen, dass die scharfen Würzen, die er in seine Gespräche hatte schütten müssen,  etwas anderes sein könnten, als künstlerische Hilfsmittel der Gesellschaftskritik. Und so beschloss er denn -  ganz im Geschmack des achtzehnten Jahrhunderts – sein  Buch nur  als „Manuskript für Freunde“ drucken zu lassen und jedes Exemplar mit einer  Erkennungsziffer handschriftlich zu zeichnen.

Man wird mein Erstaunen und meine Heiterkeit  verstehen, als ich auf  dem Exemplar, das ich selbst der Liebenswürdigkeit des Dichters  verdanken durfte, die Ziffer  Hundertdreißig fand.. Der „Reigen“ war also  schon damals ein in den  weitesten Kreisen verborgenes Buch gewesen … Hundertdreißig vertrauten Freunden hatte der Verfasser seine Dialoge bereits ins Ohr geflüstert. Unter hundertdreißig Siegeln  der Verschwiegenheit war das Buch in die Weite gesandt worden. Nie hat  es ein  lauters Geheimnis gegeben. Nie ist Diskretion und Mitteilsamkeit so geschwisterlich verknüpft gewesen. Und wen mag es verwundern,  dass ein Geheimnis, das so viele Mitwisser besaß, in immer breiteren  Wellenringen sich ausdehnen musste?  Immer lauter und verlangender wurde der  Ruf der Neugier, und so entschloss sich der  Autor endlich das Selbstverbot aufzuheben, durch   das er als sein eigener Zensor sein Buch so begehrenswert gemacht  hatte...

Es hatte bis  heute fünfundzwanzig Auflagen erlebt.Und daraus ergibt sich, dass die Verheimlichung eines Buches das beste Hilfsmittel der Veröffentlichung ist und dass man,  um ein Werk bekannt zu machen, nichts besseres tun kann, als es möglichst geräuschvoll zu verbergen.

Hat in dem vorliegenden Fall der Dichter selbst,  der seine Schöpfung hinter Schloss und Riegel eingekerkert hatte, die  Hemmung geschaffen, die dem Buch später eine so breite Bahn öffnen musste, so ist  in anderen Fällen bisweilen die königliche Staatsanwaltschaft so liebenswürdig, einem wankenden Erfolg durch ein  Verbot zu Hilfe zu kommen. Zahllos sind aus den letzten Jahren die Beispiele, in welchem sich die Anklage nur als eine neue Form des Mäzenatentums bewährt und einem Buch gerade die Leser zugeführt hat,  die ihm entzogen werden sollte.

Bezeichnend ist, was  Hans von Kahlenberg mit dem  „Nixchen“  erlebt hat. Hinter diesem Pseudonym versteckt sich bekanntlich eine vornehme junge Dame, die ihren zarten Familiensinn dadurch bekundet, dass sie unter ihre schriftstellerischen Arbeiten einen anderen Namen setzt.  Ihr „Nixchen“ baut sich auf einer künstlich  zusammen geschobenen und noch  künstlicher aufrecht erhaltenen Erfindung, die auf  einer Nadelspitze schaukelt. Zwei Freunde erzählen sich in Briefen ihr letztes Liebeserlebnis. Bei dem  einen handelt es sich um ein  züchtiges und keusches Mädchen, das er heiraten will; bei dem anderen um eine an Marcel Prevost herangebildete Halbjungfrau, die sich ihm zügellos in die Arme wirft.  Die Pointe liegt darin,  dass das keusche Mädchen und die lüsterne Halbjungfrau eine und dieselbe Person ist...

Nach vier Auflagen hätte man von der  mittelmäßigen und erklügelten Arbeit kaum noch gesprochen, als sie plötzlich „Ärgernis erregte“. Aber nicht etwa bei dem  Verleger,  der vergebens auf die fünfte Auflage wartete, sondern bei  einigen Mumien männlichen und weiblichen Geschlechts. Nun wurde ein hochnotpeinliches Gerichtsverfahren eröffnet,  das sich  von Instanz  zu Instanz bis zum  Reichsgericht wälzte und ein  verblühtes Buch wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte. Als es vollends in Deutschland verboten wurde,  war es reif für einen österreichischen Verlag geworden, der sich als ein  Asyl  für  verfolgte Romane aufgetan hat, und  nun konnte das verwelkte und runzlig  gewordene „Nixchen“ zu einem Erfolg kommen, den es in seiner Sünden Maienblüte niemals erreicht hatte.

Ist es ein  Wunder, dass sich nach solchen Beobachtungen unter den Schriftstellern neben dem  Honorar- und  Tantiemenneid auch der Verbotneid bereits bemerkbar macht? Es ist die jüngste Blüte der schriftstellerischen Nächstenliebe.

Feiner und erfreulicher sind die psychologischen Vorgänge,  die einen Erfolg werden und wachsen lassen, wenn die Gerechtigkeitsliebe und der Selbständigkeitsdrang des Publikums durch einen Eingriff der Macht aufgewühlt wird.  Mehr als einmal hat das Tadelswort eines Fürsten genügt,  um einem Kunstwerk sofort die leidenschaftlichen Huldigungen der Menge zuzuführen,  welche sich in ihrem demokratischen Gewissen mit Recht beunruhigt fühlt, wenn  auf dem Gebiet des Kunstgeschmacks das Gewicht fürstlicher Autorität eingesetzt werden soll.  Darum wäre in der Psychologie einer älteren Zeit stecken geblieben, wer sich  gegenwärtig mit seinem künstlerischen  Schaffen den Beifall hoher Herren erbuckeln möchte. Wer im Gegenteil planvoll und  scharfsinnig danach streben wollte, sich  die Ungunst der Mächtigen zu erwerben, er würde uns das feinste und listigste Widerspiel der Ehrfurcht anschaulich machen. Denn überaus empfindlich ist die Menge gegen jede Beeinflussung der ästhetischen Gerichtsbarkeit durch einen Wink aus der  Höhe – und schwer ist ein Kranz  errungen, aber leicht eine  Märthyrerkrone.

Man erinnere sich an das  seltsame Schicksal das Gerhart Hauptmann „Rose Bernd“ in Wien gehabt hat. Das Drama hatte bei der ersten Aufführung nur mäßige Teilnahme gefunden. Die Kritik fand es unerfreulich  und peinigend; das Publikum sah sich mehr gequält als erschüttert, und der dünne Erfolg wäre bald in sich selbst  verkümmert und zusammengesunken. Da erkannte das Oberhofmeisteramt, dass es dem Dichter zu Hilfe kommen müsste. Es gönnte dem Werk nicht seinen natürlichen Tod im Spielplan, sondern verbannte es durch einen höfischen Machtspruch – und damit hat es dem Drama nicht bloß den werbenden Eifer einer anderen Wiener Bühne gewonnen, sondern auch die leidenschaftliche Parteinahme der nämlichen Kritiker, die sich vorher kühl und ablehnend verhalten haben. Sie gestatteten dem Oberhofmeisteramt nicht,  ihre eigenen Meinung zu sein – jenem Ehemann ähnlich, der im stetem Unfrieden mit seiner Schwiegermutter lebte,  aber einem Dritten, der  ihr unartig begegnen wollte,  entrüstet zurief: „Ich bitte, mit meiner Schwiegermutter raufe ich!“ „Mit Gerhart Hauptmann raufen wir!“ riefen die  Wiener Kritiker. Und sie hatten Recht. Denn ästhetische Fragen dürfen dürfen nur in dem ehrlichen Kampf von Gründen gegen Gründe entschieden werden. Wie eine schützende  Phalanx stellten sich die Kunstrichter Wiens vor das bedrohte Werk – und so konnte der Dichter schließlich einen Erfolg des Widerspruchsgeistes erringen, wo ihm ein Erfolg der dramatischen Kunst versagt gewesen war.

Der Trotz- und Justamenterfolg, der die Lehre gibt, dass literarische Geschmacksströmungen nur aus sich selbst heraus überwunden werden sollen, bestätigt am deutlichsten, dass der Weg zu den großen  Siegen stets über Hindernisse führen muss.  Ich habe deshalb die Schriftsteller niemals verstanden, die so wehleidig dreinschauen, wenn ihre Bahn durch Kampf und Verfolgung geht. Der Poet, der keine Widersacher mehr findet, darf gewiss sein, dass sein Schaffen auf ein totes Geleise geraten ist – und die Psychologie des Ruhms lehrt uns  unüberhörbar:

Das Maß unserer Kraft berechnet sich nach der Zahl der Menschen, denen wir unbequem werden.

__QUELLE:__   Czernowitzer  Tagblatt  15. Juni  1904,  S 2, ANNO Österreichische Nationalbibliothek


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