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Archäologie der Zukunft #

Die Zukunft, wie sie das Gestern gesehen hat: Michaela Konrads Bilderserie "Tomorrow".#


Von der Wiener Zeitung (14. Februar 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Martin Reiterer


Ein leichtfüßig-surrealer Traktat des Staunens über die Einzigartigkeit der Erde angesichts der Kahlheit des Mondes, das war Michaela Konrads vor rund zehn Jahren erschienener Comic "Mondwandler". Zusammengesetzt aus Originalzitaten von Astronauten und den entrückten Blicken einer Mondreisenden lädt der Comic die Leser zur Kontemplation über Zeit und Dasein ein. In "Tomorrow" wandelt die Autorin nun zwischen den Zeiten, in den Wirbeln von vergangener und zu erwartender Zukunft.

"Can This Be Tomorrow?", fragt sich die 1972 in Graz geborene Künstlerin, deren zweite Heimat Teneriffa ist. Dabei nimmt sie die Perspektive der Vergangenheit ein: Wie hat man vor 50 oder 70 Jahren die Zukunft gesehen, die heute Gegenwart ist? Der verschobene Blick erweist sich in vielerlei Hinsicht als produktiv. Dazu hat Konrad ein gutes Dutzend großformatige Bilder in klarer Zeichnung und kräftigen Farben angefertigt, die aussehen wie Titelblätter von Comic-Heften aus den 1930er bis 1950er Jahren.

Zukunft steckt in Gegenwart#

Die im Stil der Massenproduktion jener glänzenden Epoche des Mediums inszenierten Splash-Panels beziehen sich auf Themen unserer Gegenwart und reichen von den Fortschritten einer entfesselten Gentechnologie, den verheerenden Folgen der Umweltverschmutzung über Wettrüsten im All, das Schicksal von Whistleblowern bis hin zu digitaler Sklaverei oder den manipulativen Verführungen durch demokratisch gewählte Regierungen. Daneben hat sich die Künstlerin in einer zweiten Serie, "Pictures Of Tomorrow", mit Zukunftsszenarien aus heutiger Sicht befasst. Die ursprünglich als Offset-Lithografien angefertigten Bilder erscheinen ineinander verwoben, sodass die Blickwinkel durcheinandergeraten: Nicht immer ist sogleich auszumachen, ob wir uns in der Zukunft oder in einer bereits vergangenen Zukunft befinden. Doch darin liegt ein tiefgründiger Reiz, denn die uns umgebende Gegenwart ist eine, auch in zeitlicher Hinsicht, komplexe Überlagerung verschiedener Wirklichkeitsebenen. Die Zukunft steckt ansatzweise in unserer Gegenwart. Die Weichen für die kommende Zeit sind vielfach schon gestellt. Die Zukunft wird vorhersehbar. Kaum ein Umstand wirkt in unserer Gegenwart bedrohlicher als dieser. Das Gefühl, dass aktuelle Entwicklungen eine gefährliche Richtung einnehmen, dass die Weichen falsch gestellt sind oder dass alles aus dem Ruder laufen könnte, vielleicht sogar unwiderruflich, ruft heute vor allem jene Generationen auf den Plan, deren Erwartungen mit dieser Zukunft stehen oder fallen.

Horror-Unkraut#

Konrads Bilder zeigen jeweils konkrete Alltagszenen, die immer wieder auch ironisch gebrochen sind. Ein Farmer rettet (s)eine ohnmächtig gewordene Frau. In einer Hand hält er ein Sprühgerät, das er betätigt, während er, die Frau in den Armen, zu flüchten versucht. Wovor? Das Bild ist überwuchert von dichtem Unkraut; in einem Textkasten steht: "Superweeds! The weeds, which come from hell"; der Gedankenblase des Farmers entnimmt man, dass er um sein Leben fürchtet, da das Unkraut so rasch wächst. Der Titel des imaginierten Comic-Heftes lautet "Roundup" und bezieht sich offenbar auf das von Monsanto/Bayer erfundene Breitbandherbizid, das unspezifisch gegen verschiedene Pflanzenarten wirkt und meist Glyphosat enthält. In Science-Fiction-Manier schürt die Szene Ängste, die realistisch betrachtet lächerlich erscheinen. Bei heutigen Lesern lösen allerdings die Werbung oder das Lobbying des Konzerns, die dahinterstecken, das Entsetzen aus. Genau das thematisiert die Künstlerin in ihrer Augmented-Reality-Bearbeitung, die von allen Abbildungen mit einer App abgerufen werden können und die die Kunstwerke um eine zusätzliche Schichtung erweitern. In der betreffenden AR-Animation wird die Linse der Kamera vollgesprüht, am Ende erscheint die Botschaft, "No root, no weed, no problem", bevor die Buchstaben abrinnen und sich in Verzerrung auflösen.

Begleitet werden die Einzelbilder jeweils von einem Aufsatz. In ihren theoretischen Kontextualisierungen nimmt die Autorin, ausgehend von Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" (1932) und anderen dystopischen Romanen, Bezug auf eine Reihe von Science-Fiction-Werken aus Literatur und Film, aber ebenso auf philosophische und wissenschaftliche Werke der letzten 50 Jahre. Die Verflechtung von Erkenntnis und Science-Fiction, von Wissenschaft und Zukunftsvision ist Ausgangsbasis für ihre eigene Archäologie der Zukunft.

Auf diese Weise verwandeln sich Konrads Lithografien in emblematische Bilderrätsel, die die Reflexion befördern. Wie etwa werden unsere Beziehungen in Zukunft aussehen? In den Darstellungen kehrt der verstorbene Großvater als digitale Version zurück, Cyberpunks und Partnersuchende, im Stil von Albrecht Dürers Adam und Eva, sind an erogenen und genitalen Zonen miteinander verkabelt. Wird das Leben im Metaverse, dem von Mark Zuckerberg beschworenen und bereits gegenwärtig Milliarden verschlingenden Paralleluniversum, erfüllend sein?

  • Michaela Konrad: "Tomorrow. Die Welt von morgen aus der Sicht von gestern und heute" (Luftschacht)

Wiener Zeitung, 14. Februar 2023