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Wissen schafft Lust und mündige Bürger #

Wissenschaftsjournalismus unter Druck: Schon in wenigen Wochen könnte die Forschung eine wichtige Stimme verlieren.#


Von der Wiener Zeitung (19. März 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Eva Stanzl


WZ-Illustration: Irma Tulek; Wissenschaft
WZ-Illustration: Irma Tulek
© WZ-Illustration: Irma Tulek

Andrew Harrison erinnerte an Karl Marx. Er hatte feurige Augen, prominente Gesichtszüge, wallende Haare und einen Vortrag, der den Hörsaal fesselte. Jeden Sommer veranstaltete er den "Philosophy Boat Trip" der Bristol University, bei dem wir alle viel zu viel zu essen und trinken bekamen und uns, in Erweiterung wöchentlicher Seminare im Rahmen des Studiums, in Gesprächen über Ethik und Ästhetik ergingen. In einer offenen Gesellschaft müsse jeder Mensch zumindest in Grundzügen erlernen dürfen, rational-logisch zu denken. Die Fähigkeit zur Philosophie befördere die Demokratie und somit letztlich die Freiheit, fand unser Professor.

Das verstanden wir damals zwar noch nicht alles in voller Dimension. Aber wir lernten, zu argumentieren - und zu schreiben. Argumente aufzuschreiben. Ich hatte mir eine Masterarbeit über bildhaftes Denken vorgenommen. Welche Art von Tätigkeit ist das Malen? Was ist der Unterschied zwischen "thought in action" und "thought about action"? Eine fast meditative Präsenz im Tun, fand ich nach Selbstversuchen. "Schreib es so, dass es ein Kind verstehen kann", sagte Harrison. Das tat ich dann auf 100 Seiten. Komplexe Materie, in einfacher Sprache auf den Punkt gebracht.

Vielleicht konnte ich damals besser in Englisch schreiben als heute in Deutsch. Der Leitsatz bleibt mir aber ein Schatz. Er ist ein wichtiger Grund, warum ich Wissenschaftsjournalistin geworden bin und warum dieser Beruf mir so viel wert ist: damit interessierte Laien, Kinder, komplexe Zusammenhänge verstehen können und dadurch vielleicht sogar innerlich um ein Stück reicher werden. Wenn Wissenschaftsjournalist:innen einen Funken dazu beitragen, dass jemand das Aha-Erlebnis der Erkenntnis empfindet, ist der Job aus meiner Sicht gut gemacht. Abgesehen davon, dass die Inhalte stimmen müssen.

Früher konnte man die seltsamsten Ideen absondern, aber kaum wer hat’s gehört. Heute erreichen wir über Social Media in der Sekunde Tausende, aber niemand kann in der Sekunde prüfen, ob die Informationen stimmen. Zugleich will man sich tunlichst davor hüten, gemobbt zu werden. Wir sind beim Gegenteil der offenen Gesellschaft angekommen.

Ratio gegen Bullshit#

"Social Media bedrohen das Wissen. Bilder werden mit Zitaten versehen, die so nie gesagt wurden. Das ist schlimmer als zu lügen. Eine Lüge ist die Absicht einer Täuschung, doch in Social Media regiert der Bullshit. Einem Bullshitter ist es egal, ob er die Wahrheit sagt oder lügt. Er will aus anderen Gründen etwas verbreiten und Verwirrung stiften", sagte kürzlich der britische Philosoph Tim Crane im Interview mit der "Wiener Zeitung" zur "Krise des Wissens". Umso wichtiger ist es, dass Qualitätsjournalismus und insbesondere Wissenschaftsjournalismus zwischen Information und Desinformation, Fakten und Täuschung unterscheidet und die Lage sortiert. Ob neue Viren die Welt befallen und Impfungen gegen sie erst gefunden werden müssen, wie das Zusammenwirken von Faktoren die Erde erwärmt, oder wie Zucker die Gesundheit beeinflusst: Komplexe Sachverhalte - Fakten - gehören einer allgemeinen Bevölkerung verständlich erklärt, damit sie Sicherheit im Umgang mit Problemen gewinnt.

Bisweilen müssen wir auch Themen am Rande der Vorstellungskraft erläutern. Nehmen wir Dunkle Materie. Darüber schwadroniert Wikipedia in 30.807 Zeichen oder 4.002 Wörtern und hebt an wie folgt: "Dunkle Materie ist eine postulierte Form von Materie, die nicht direkt sichtbar ist, aber über die Gravitation wechselwirkt und im Standardmodell der Kosmologie die Bewegung der sichtbaren Materie erklärt." Sie erinnern sich an das kleine Kind? Das Einzige, was ihm dieser Absatz mit Sicherheit vermittelt, ist, dass die kosmischen Rätsel nicht zu verstehen sind. Journalistische Griffigkeit, Bündigkeit und Prägnanz könnte da schon etwas ausrichten. Denn erst, wenn wir Wissenschaft zumindest ansatzweise verstehen, steigt das Interesse daran. Das ist ausschlaggebend, damit Bildung erfolgreich sein kann.

Leider ist es um den Wissenschaftsjournalismus in Österreich aber schlecht bestellt. 90 Tageszeitungen gibt es in Schweden, 40 in der Schweiz und 14 in unserem Land. Nicht alle berichten regelmäßig über Wissenschaft und schon in wenigen Wochen könnte eine - diese - aus der heimischen Medienlandschaft verschwunden sein. Denn unser Eigentümer, die Republik Österreich, sieht nach eigener Aussage keine Gründe für den Fortbestand der gedruckten Ausgabe. Was verlieren wir dadurch? Nach den schnöden Gesetzen des Marktes nicht viel. Schnipsel sind im Trend. Wir leben in einer Zeit der Informationsschnipsel. Pop-ups hüpfen auf allen Websites ins Blickfeld, Werbungen flimmern zwischen den Absätzen - konzentrierter Informationsgewinn ist fast unmöglich. Doch der Rubel rollt. Für häppchenartig präsentierte Sätze über Dinge wie Lebensart, Skandale, Mord, Kosmetik, Tourismus, Sport oder Wirtschaft, die problemlos durch Inserate der Sportartikelindustrie, Hotellerie, Gastronomie, Kosmetik, Nahrungsergänzungsmittelbranche und Industrie finanziert werden können.

Keine reine Frage des Geldes#

Im Bereich der Wissenschaft gibt es keine Unternehmen oder multi-nationalen Konzerne, deren Inserate die Kosten eines profunden und gut recherchierten Wissenschaftsjournalismus decken würden. Laut einer Studie des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen ist die Gruppe in der Branche am besten ausgebildet, jedoch am schlechtesten bezahlt. Der Klub hat 150 Mitglieder, von denen die Hälfte aber nicht mehr im Journalismus tätig ist, weil die Jobs wegbrechen. Zugleich stocken Unis, Forschungsinstitute und Förderagenturen ihre PR-Abteilungen auf. Zu zig Fachstudien täglich kommen zahllose Newsletter mit Forschungsergebnissen der Institute, geschrieben von "Science Writers" im eigenen Haus. Eine breite Bevölkerung erreichen diese Bulletins nicht, lässt sich aus Pressekonferenzen schließen, zu denen immer weniger Wissenschaftsjournalisten und immer mehr Institutsvertreter kommen.

Sie haben vielleicht das Interview mit Anton Zeilinger in der "ZiB 2" anlässlich seines Physik-Nobelpreises gesehen? Für die extreme Wissenschaftsskepsis in Österreich nannte er einen einfachen Grund: Es gibt zu wenig Berichterstattung über Wissenschaft, weil es zu wenige Wissenschaftsjournalisten gibt.

Wiener Zeitung, 19. März 2023