unbekannter Gast

Notiz 013: Trittbretter und Schrittmacher#

von Martin Krusche

Es interessieren und beschäftigen mich seit Jahren einige Aspekte der Volkskultur. Dieses Interesse verlangt heute allerdings, überhaupt erst einmal zu klären, was man mit diesem Begriff meint. Ich sehe das momentan als ein Feld kultureller Aktivitäten, auf dem Menschen aktiv sind, die sich dabei nicht dem Wirken der Unterhaltungsindustrie in die Arme werfen, sondern eigenständig und eigenverantwortlich tätig sind.

Den Kontrast verstehen: Im Unterschied zwischen Beneiden und Bestaunen trennen sich eben Welten. (Foto: Martin Krusche)
Den Kontrast verstehen: Im Unterschied zwischen Beneiden und Bestaunen trennen sich eben Welten. (Foto: Martin Krusche)

Dabei gehe ich von der Annahme aus, daß jeder Mensch kulturelle und spirituelle Bedürfnisse hat, die gelebt werden möchten. Was davon gelebt werden kann und wie sich das ereignet, kennt zwar Konventionen, akzeptiert aber keine Vorschriften. Ich denke, das machte noch in meinen eigenen Kindertagen einen wichtigen Unterschied zu jener bürgerlichen Repräsentationskultur, für die man uns mit Geboten und notfalls Ohrfeigen zurechtzustellen versuchte.

Mich interessieren also Bereiche, die – wie erwähnt – nicht von der Unterhaltungsindustrie gestaltet und bewirtschaftet werden, die aber auch nicht streng kanonisiert sind. Mich beschäftigen Felder, wo sich Menschen nicht nach Zurufen von außen oder oben richten, sich von irgendwelchen Deutungseliten abhängig machen, sondern selbst alle Kompetenzen erwerben, die ihnen notwendig erscheinen. Was daraus entsteht, wird innerhalb der jeweiligen Gemeinschaften verhandelt und beurteilt.

Das bedeutet in den Nischen, die ich kennengelernt habe, daß die Großmäuler, Aufschneider und Flunkerer dort nichts zu melden haben. Ich habe vor Jahren den inzwischen verstorbenen Maler Hannes Schwarz gefragt, worin sich Meisterschaft zeige. Seine lapidare Antwort lautete: „Im Ergebnis.“ Punkt! Diese Ansicht bewährt sich in verschiedenen Themenbereichen.

In allen drei Genres, die mich aktuell beschäftigen (Kulturprojekt Dorf 4.0), nämlich Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst, kann man jederzeit entscheiden, welche Sektionen man bevorzugt. Das pendelt zwischen Konsumation und Partizipation.

Ruhe bewahren: Natürlich gibt’s immer wen, der was Spektakuläreres hat. (Foto: Martin Krusche)
Ruhe bewahren: Natürlich gibt’s immer wen, der was Spektakuläreres hat. (Foto: Martin Krusche)

In jedem Genre gibt es reichlich Posierer, Possenreißer und Marktschreier, die sich um Publikum und Kundschaft bemühen. Das muß vermutlich gar nicht kritisiert werden, sondern ist eine legitime Option.

In jedem Genre gibt es ferner jene, die vom Gefälligkeitskonto immer nur abheben, aber nie was einzahlen. Selbst was sich mühelos teilen ließe, ohne daß man deshalb selber weniger hat, rücken sie nicht heraus, klopfen aber immer wieder an und prüfen, ob sie etwas bekommen können. Auch das dürfte eine Spielart menschlicher Natur sein, mit der man sich nicht weiter aufhalten muß. Es ist eben so.

Manche lassen sich eben gerne auf Trittbrettern durch die Gegend schaukeln, andere sind Schrittmacher und bewegen etwas.

Um sich bei all dem halbwegs orientieren zu können, spielt Zeit eine wichtige Rolle. Ich staune nach all den Jahren immer noch, wie großzügig und entgegenkommend manche Menschen sind. Sie zeigen sich unbeeinflußt von allerhand Begehrlichkeiten und Zumutungen, die einem in kulturellen Vorhaben begegnen können.

Ich erlebe es als eine große Ermutigung, mit solchen Menschen verbunden zu sein, wo einem sonst manchmal davon die Laune getrübt wird, wie eng die Welt werden kann, wenn man unter zu viele Goldgräber gerät. So im amerikanischen Slang der Ausdruck für jene, die immer bloß schauen, wo für sie ein Vorteil zu holen wäre: Gold Digger.