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Raben auf Zeitreise#

Ähnlich wie Menschenaffen können auch Vögel Pläne für die Zukunft schmieden.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 7. Juli 2018

Von

Kerstin Viering


Rabe
Raben stehen in Sachen Weitsicht Schimpansen um nichts nach.
Foto: pixabay.com, unter PD

Berlin. Wanderschuhe oder Badeanzug? Warme Jacke oder Shorts? Schicke oder legere Klamotten? Oder alles zusammen? Viele Menschen stehen dieser Tage grübelnd vor ihren Koffern. Gar nicht zu reden von grundsätzlicheren Ferienfragen: Sollte man diesmal doch lieber mit der Bahn fahren? Im Ferienhaus wohnen statt im Hotel? Und will man die Reisegefährten vom vorigen Jahr wirklich wieder drei Wochen um sich haben? Oder nerven die doch zu sehr? Urlaubsplanung kann schon eine echte Herausforderung sein. Zum Glück hat die Evolution die Menschheit auf solche Situationen vorbereitet. Unser Gehirn ist gut darin, Erfahrungen zu speichern. Daraus lässt sich ableiten, was man heute tun sollte, um morgen ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Zwar schützt so ein planerisches Vorgehen nicht vor Enttäuschungen, doch vergrößert es die Erfolgschancen.

Lange hatten Forscher diese Form von Weitsicht für ein spezielles Talent des Menschen oder seiner näheren Verwandtschaft gehalten. Doch davon kann keine Rede sein: Experimente haben gezeigt, dass nicht nur Menschenaffen, sondern auch Raben, Krähen und Co. Pläne für die Zukunft schmieden. Dabei ist das eine anspruchsvolle Aufgabe. Etliche Versuche mit Kleinkindern zeigen, dass selbst Menschen nicht als Planungs-Genies geboren werden.

Mentale Reise in die Zukunft#

So haben Jonathan Redshaw und Thomas Suddendorf von der University of Queensland Drei- und Vierjährige vor verschiedene Aufgaben gestellt. Sie sollten etwa das passende Werkzeug auswählen, um eine Kiste zu öffnen. Oder sie erfuhren, dass "Ellie der Elefant" gern Bananen fraß. Also galt es, aus einer Kollektion von Plastikobst den gewünschten Leckerbissen zu holen und die Handpuppe damit zu füttern.

Das war für die Kinder kein Problem, wenn sie das Werkzeug oder Obststück gleich zum Einsatz bringen konnten. Anders sah die Sache aus, wenn sie für eine Viertelstunde aus dem Raum geführt und abgelenkt wurden. Erst danach durften sie dann ein Werkzeug oder eine Frucht wählen. Sie mussten sich nicht nur an die Aufgabe erinnern, sondern auch voraussehen, dass sie den jeweiligen Gegenstand brauchen würden. Die meisten Dreijährigen waren überfordert, bei den Vierjährigen klappte es besser. Offenbar beginnen Menschen ungefähr in diesem Alter, mental in die Zukunft zu reisen.

Ähnliche Versuche haben Forscher auch mit Menschenaffen gemacht, die sich auch weitsichtig zeigten. So haben Nicholas Mulcahy und Josep Call vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig Orang-Utans und Bonobos beigebracht, mit einem Werkzeug einen Leckerbissen aus einem Apparat heraus zu holen. Anschließend stellten sie den Tieren zwei geeignete und sechs ungeeignete Hilfsmittel zur Verfügung. Nach fünf Minuten Bedenkzeit mussten die Affen den Raum verlassen und sich eine Zeit lang in einem Wartezimmer aufhalten. Dann durften sie zurückkommen und erneut versuchen.

Die meisten Tiere bekamen den Weg rasch heraus, nahmen vorausschauend das passende Werkzeug in den Warteraum und brachten es später wieder mit. Bei den erfolgreichsten Affen konnte eine ganze Nacht zwischen der Auswahl und der Rückkehr liegen. Jedoch bestanden regelmäßig nur Menschenaffen solche Tests, andere Affenarten scheiterten. Deshalb gilt diese Fähigkeit als Erbe des letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen.

17-Stunden-Horizont#

Es gibt jedoch eine Tiergruppe, die da nicht ganz ins Bild passt. Obwohl sie im Stammbaum der Tiere ziemlich weit weg vom Menschen stehen, handeln auch Raben, Krähen und ihre Verwandten vorausschauend. Eichelhäher etwa sind in der Lage, ein üppiges und abwechslungsreiches Frühstücksbuffet zu planen. Das hat ein Team um Nicky Clayton von der University of Cambridge herausgefunden. Jeden Morgen haben die Forscher die Tiere entweder in einen Teil ihres Käfigs ohne Nahrung gelassen oder in einen mit Futter. Nach ein paar Tagen bekamen die Vögel abends Pinienkerne, die sie verstecken konnten. Sie richteten ihre Vorratslager dort ein, wo sie nicht mit einem Frühstück rechneten.

In einem anderen Versuch gab es in einem Raum morgens Hundefutter und im anderen Erdnüsse - und die Vögel versteckten abends den jeweils anderen Snack. Jedoch hatten die Forscher solche planvollen Aktionen bei Rabenvögeln zunächst immer nur im Zusammenhang mit dem Anlegen von Vorratslagern beobachtet. Ist das also eine spezielle Anpassung an Zeiten der Nahrungsknappheit? Oder besitzen auch diese Tiere ein flexibles Talent für mentale Zeitreisen, das sie bei verschiedensten technischen und sozialen Herausforderungen einsetzen können?

Um das herauszufinden, haben Can Kabadayi und Mathias Osvath von der Universität Lund Kolkraben vor verschiedene Aufgaben gestellt. Mal ging es darum, einen passenden Stein in eine Box zu werfen, die dann einen Leckerbissen ausspuckte. Dann lernten die Vögel, dass sie bei einem Betreuer einen Plastikdeckel gegen Futter eintauschen konnten. Beide Aufgaben meisterten die Vögel. In den meisten Fällen wählten sie unter verschiedenen Angeboten nicht nur das richtige Werkzeug oder Tauschobjekt aus. Sie hoben beides auch für später auf - egal, wann sie es verwenden konnten.

Ihr Planungshorizont reicht dabei mindestens 17 Stunden in die Zukunft. Beim Tauschhandel sind sie sogar erfolgreicher als Menschenaffen und stecken selbst vierjährige Kinder in die Tasche. Sie legen ein hohes Maß an Selbstbeherrschung an den Tag. Wenn sie die Wahl haben, eine kleine Belohnung sofort zu kassieren oder auf ein schmackhaftes Stück Hundefutter zu warten, entscheiden sie sich fast immer für Geduld. Sie haben ihre Impulsivität im Griff, um längerfristige Ziele zu verfolgen.

Hang zur Planwirtschaft#

Das zeigt, dass Raben keineswegs nur beim Futterverstecken in die Zukunft schauen können. Ihre Weitsicht steht der von Schimpansen in nichts nach. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der letzte gemeinsame Ahn von Vögeln und Säugetieren schon vor 320 Millionen Jahren gelebt hat. Dass der damals schon ein Planungs-Genie gewesen sein könnte, halten Forscher für unwahrscheinlich. Den Hang zur Planwirtschaft muss die Tierwelt also mindestens zwei Mal unabhängig voneinander erfunden haben.

Wiener Zeitung, 7. Juli 2018