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Erwünschtes zum Gelebten machen #

Der Koran brachte viel für die Stellung der Frau in der Gesellschaft des siebten Jahrhunderts. Doch die klassischen Interpretationen der Gelehrten werden der komplexen Lage von Frauen im Heute nicht mehr gerecht. Die theologische Deutungshoheit darf nicht männlich dominiert bleiben. #

Nadire Mustafi
Nadire Mustafi. Die Hollabrunnerin studierte lslamische Religionspädagogik an der Uni Wien und war als Religionslehrerin tätig. Heute unterrichtet Sie in der Schweiz.
Foto: privat


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (4. März 2021)

Von

Nadire Mustafi


Es gibt unterschiedliche Perspektiven und Ebenen, von welchen aus man den internationalen Frauentag betrachten und erleben kann. Ich möchte das mit dem Blick auf die Spannungsfelder und Herausforderungen, die sich zwischen dem Frausein und der Religion des Islams eröffnen, tun, aber auch das Augenmerk auf den Islam als Ressource für mich als Frau richten. Dabei ist mir wichtig, diese Analyse transparent als eine von vielen Frauen muslimischen Glaubens vorzunehmen, die den Anspruch für sich erheben, gläubig und praktizierend zu sein, und sich gleichzeitig für eine progressive islamisch-theologische Auseinandersetzung mit den Fragen zur Gleichstellung einsetzen. Dies wird nämlich nicht selten als unmöglich angesehen.

Beim Versuch, mich dem Thema sachlich anzunähern, empfinde ich es gegenwärtig sehr schwierig, bei den Leserinnen als eine weibliche authentische Stimme des Islams wahrgenommen zu werden, ohne dabei in den Vorwurf der Exklusivität zu geraten oder dass meine Ausführungen als apologetisch gelesen werden. Aus dieser Aporie herauszukommen, scheint schwieriger als gedacht. Dennoch ist das Anliegen, an den Wurzeln meiner religiösen Tradition anzuknüpfen und daraus Erkenntnisse für die Gegenwart zu ziehen, es wert, meine Gedanken aus Anlass des Internationalen Frauentages hier auszuführen.

Ein grundsätzliches Spannungsfeld #

Fragen hinsichtlich der Gleichstellung der muslimischen Frau, die zur Genüge von außen an sie herangetragen werden, wenn es um die Auseinandersetzung mit den islamischen Quellen geht (primär mit dem Koran und der Sunna), sind zumeist jene, die sich mit der Erbschaft zwischen Mann und Frau, Eheschließung und Polygamie befassen oder aber damit, ob das Zeugnis eines Mannes doppelt so viel zählt wie jenes einer Frau, oder gar mit Bekleidungsvorschriften. Ich persönlich halte diese Fragen für sehr wichtig und möchte in der Linie des reformatorischen Wegs des Korans, den er als letzte göttliche Botschaft aufzeigt, bleiben und zeitgemäße Antworten auf diese Teilthemen bieten. Jedoch möchte ich an dieser Stelle eine allgemeinere Perspektive einnehmen und noch einen Schritt von den Einzelthemen zurückgehen und damit ein grundsätzliches Spannungsfeld ansprechen, das sich mir gerade als Frau auftut, wenn es um die Auseinandersetzung mit den islamischen Quellen hinsichtlich der Genderfragen geht.

Ich befinde mich im Diskurs vieler muslimischer Exegetinnen und Exegeten, wenn ich sage, dass ich koranische Textstellen und Hadithe nicht a priori als Problem wahrnehme, sondern erst den Auslegungskorpus dieser und die darin enthaltenen Lehrmeinungen kritisiere.

Besonders durch den Koran sehe ich mich als Frau persönlich auf eine sehr behütete und besondere Art und Weise vom Schöpfer wahrgenommen, wenn er etwa „die Belehrung über die Frauen" nicht einmal allein dem Propheten Muhammed überlässt, sondern diese quasi in eigene Regie über nimmt, in dem er sagt: „Sie fragen dich um Belehrung über die Frauen. Sag: , Allah belehrt euch über sie . .'"(4:127) Diese und ähnliche Stellen bieten mir eine tiefe Ressource für meine Spiritualität und zeigen mir auf, dass der Koran des siebten Jahrhunderts viel mehr für die Positionierung der Frau in der damaligen Gesellschaft bracht hat als der danach entstandene Korpus an Auslegungen des Korans und der prophetischen Aussagen, die kaum weibliche Stimmen beinhalten und zumeist unter den koranischen Standards liegen.

Es ist einfach, sich nach den Meinungen der klassischen Gelehrten wie denen des persischen Historikers at-Tabari oder des Philologen az-Zamachoari in diesen Fragen zu richten, denn sie scheinen stabil und zeigen eine klare Struktur auf und suggerieren damit, dass man auf komplexe Sachlagen einfache Antworten bieten könnte. Sie nehmen jedoch die Situation der Frau in der damaligen Gesellschaft auf und berücksichtigen kaum die Komplexität der Realitäten muslimischen Frauen in den heutigen Gesellschaften. Somit können wir über die klassischen Kommentatoren viel über deren Gesellschaft und die Situation und Anliegen der Frau damals erfahren, jedoch schaffen diese Werke es nicht, gegenwärtige Anliegen zu beantworten. Wenn daher zeitgenössische muslimische Theologinnen allein an diesen heften bleiben und die gegenwartstheologischen Fragen muslimischer Frauen allein mit diesen versuchen zu beantworten, oder gar die Deutungshoheit, die bisher männlich dominiert bleibt, dann ist diese Vorgehensweise nicht nur anachronistisch, sondern sie widerspricht regelrecht der „Grammatik" des Islams und dem Verständnis des Korans selbst.

Meinem Verständnis nach, welches ich vom Koran habe, erfordert dieser ein ständiges „Nachsinnen" (38:29) über ihn, um Interpretation und Verstehen als Prozess zu begreifen, dem eine innere Dynamik inhärent ist, die auch durch die Interpretationsleistung nach außen sichtbar gemacht werden muss. Dazu können etwa neuere wissenschaftliche Ansätze (wie die Hermeneutik Gadamers) helfen, und damit ist eine fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Quellen, die unserem Zeitgeist entsprechen, ohne dabei die eigene Tradition zu korrumpieren, gewährleistet.

Reformen von innen notwendig #

Feministinnen wie Fatima Marnisi, Kecia Ali und Asma Barlas analysieren autochthon und ohne Druck von „außen", was der Koran und die Sunna für die heutigen Anliegen der Frau anbieten, und halten Re formen für sehr wichtig.

Gerade diese beispielhaft angeführten Namen zeigen auf, wie wichtig es ist, zu betonen, dass Reformen vom Inneren der muslimischen Gesellschaften initiiert werden müssen. Sie müssen sowohl von Frauen als auch von Männern getragen werden, damit man der Marginalisierung der muslimischen Frau entgegenwirken kann und Themen, die die Gesamtgesellschaft betreffen, nicht zu „Frauensachen" macht.

Exemplarisch hierfür anzuführen ist etwa der mediale Diskurs zu Frau und Islam in unseren Breiten, der zumeist diese beiden Themenfelder in negativen Zusammenhängen diskutiert, und Themen wie „Unterdrückung" und „Gewalt" finden schnell ihren Platz in diesen Debatten, sodass der Eindruck entstehen könnte, sie seien genuin islamisch.

Dabei sind diese Phänomene viel zu wichtig und ereignen sich weltweit in unterschiedlichen Kontexten, sodass Diskussionen darüber auch innerhalb muslimischer Gesellschaften stattfinden müssen, aber bei Weitem nicht nur.

Will man also das Anliegen des Internationalen Frauentages ernst meinen und sich nicht in leeren Erklärungen und schwelgenden Kommemorationen auslaufen, müssen diese Bemühungen sich nachhaltig über das gesamte Jahr, auf unterschiedlichen Ebenen und auf unterschiedliche Akteuren erstrecken, zum Tagesprogramm gehören. Innermuslimische Impulse der Gegenwart, die es bereits mehrfach gibt, müssen in die Mitte der muslimischen Gesellschaften getragen werden, und Anfragen an Frauen müssen von der Gesamtgesellschaft differenziert gerichtet werden, ohne dabei zu tabuisieren und zu diskriminieren, denn man kann nicht die Hälfte der Erdbevölkerung Jahre und Jahrzehnte lang ausblenden und ihr dann einen Gedenktag widmen.

Es ist ein guter und richtiger Schritt in die richtige Richtung, aber es reicht bei Weitem nicht, wieder Diskussionen kurz vor und an diesem Tag zu entfachen, die auf Missstände um die Situation der Frau in unterschiedlichen Kontexten aufmerksam machen, während man gleichzeitig Bilanz zieht und analysiert, wie bisherige Bemühungen sich auf dieses Desiderat ausgewirkt haben und was bisher erreicht wurde. Vielmehr sollten wir über konfessionelle und kulturelle Grenzen hinaus ein gemeinsames Anliegen formulieren: das Erwünschte zum Gelebten zu machen.

Die Autorin ist Doktorierende für Islam.- Theol. Studien an der Uni Fribourg/CH sowie Lehrbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen/CH.

Die Furche, 4. März 2021