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Der Reiz des Luxus #

Er stellt keine objektive Messgröße dar, seine Definition ist abhängig von den kulturellen und wirtschaftlichen Standards einer Gesellschaft: Luxus. Über Geschichte und Zukunft eines Phänomens. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (22. April 2021)

Von

Ingeborg Waldinger


Es ist eine sehr alte Geschichte: Am Thema Luxus scheiden sich die Geister. Sein Reiz liegt in dem Gefälle, das er offenbart, in der frappanten Diskrepanz von Konsum- und Daseinsweisen innerhalb einer Gesellschaft. Was für die einen erstrebte Lebensform oder Segen des Kapitalismus, gilt anderen als schändliche Prasserei. Der Volkswirt und Soziologe Werner Sombart hat vor hundert Jahren die neutrale Formel geprägt: „Luxus ist jeder Aufwand, der über das Notwendige hinausgeht.“ Mit anderen Worten: Luxus ist ein relativer Begriff, fassbar im Verhältnis zum üblichen Grundbedarf des Menschen – und mithin abhängig von den kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Standards einer Gesellschaft.

Luxus oder Protz #

Luxus ist keine objektive Messgröße. Nirgendwo steht in Stein gemeißelt, wie viele und welche Lebensmittel, Kleidungsstücke und Möbel beziehungsweise Bücher, Reisen oder Konzertbesuche angemessen sind. Luxus manifestiert sich auch keineswegs bloß in Quantität, sondern vor allem auch in Qualität. Wo die jeweilige Trennlinie zum Notwendigen verläuft und wie dieses beschaffen sein soll, unterliegt letztlich auch der individuellen Wertung. Das Überflüssige soll Genuss, ein sinnliches, ästhetisches Erlebnis bieten. Doch nicht jeder genießt im Stillen. Luxus wird auch gezeigt, aus sozialem Distinktionsbedürfnis. Die „feinen Unterschiede“ in dieser symbolischen Selbstdarstellung zeigen sich, mit dem Soziologen Pierre Bourdieu gesprochen, aber im erlesenen Stil und guten Geschmack, nicht im ostentativen Zurschaustellen von Fülle. Das ist bloß Protz.

Lambert Wiesing, Philosoph an der Universität Jena, differenziert: Mit Protz stelle man sich innerhalb der Gesellschaft dar, aber „durch Luxus bringt man sich auf Distanz zu den Üblichkeiten und insbesondere zum Leben im Einklang mit einer Zweckrationalität. [...] Die Erfahrung, dass etwas Luxus ist, entsteht durch ein freches, verweigerndes Verhalten gegenüber den eigenen Angemessenheitsvorstellungen.“ (Essay „Orchideenzucht“, erschienen in brand eins, 11/2019). Nach diesem Verständnis wäre Luxus also auch eine Form von Rebellion und Eskapismus.

Die sozialethische Verurteilung von Luxus aber entzündet sich an seinen Exzessen. Der lateinische Begriff „luxuria“ stand ursprünglich für üppige Fruchtbarkeit, ehe eine Bedeutungsübertragung von der (verschwenderischen) Natur auf den Lebensstil erfolgte. Wer sein Vermögen nicht maßvoll oder für das Gemeinwohl einsetzt, gerät seit der Antike in die Kritik religiöser und philosophischer Sittenwächter. Ausschweifung ist auch erotisch konnotiert – und nach christlicher Ethik eine Sünde. Doch bei aller moralischen Breitfront: Die Entfaltung des Luxus trieb immer wildere Blüten. Kein Gesetz, keine Steuer vermochte dieses Verlangen zu zügeln. Der feudale Pomp überdauerte viele Zeitalter (und wird auch von manch heutigen Potentaten betrieben). Legende sind die Extravaganzen der alten Römer, die Prunksucht der Renaissancefürsten oder der Aufwand Ludwigs XIV. für Architektur, Hofgepränge und Maitressen. Solch royale Verschwendungssucht war immer auch Demonstration von Macht. Nicht selten führte sie an den Rand des oder direkt in den Staatsbankrott. Dass der alte imperiale Glanz heute Touristenmassen lockt, ist eine andere Geschichte.

Bald hatte sich neben dem Adel eine neue Luxusklientel gebildet. Das aufsteigende Handels- und Finanzbürgertum akkumulierte beachtliche Vermögen – und gab sie aus, um die Lebensart der Aristokraten nachzuahmen. Im 18. Jahrhundert begann Europa, die Ressourcen seiner Kolonien auszubeuten und eine eigene Luxusindustrie aufzubauen. Seidenwebereien, Glas-, Textil- und Porzellanmanufakturen boomten. Viele Luxusartikel jener Ära bieten ein anschauliches Beispiel für die historische Bedingtheit von Exklusivität: Die Massenproduktion des Industriezeitalters machte verglaste Fenster, Spiegel oder feines Tafelgeschirr immer breiteren Bevölkerungsgruppen zugänglich. Damit kam ein neuer Ansatz in die alte Debatte: der gesellschaftliche Nutzen von Luxus. Er trage zum Wirtschaftswachstum bei, und mithin zum Gemeinwohl. Montesquieu spitzte diese Logik zu: „Wenn die Reichen nichts verschwenden, verhungern die Armen.“ Dem Exzess redete der Staatstheoretiker damit freilich nicht das Wort.

Neues Verständnis von Luxus #

Die Demokratisierung von Luxus hat natürlich eine Kehrseite: Luxus für alle hört letztlich auf, Luxus zu sein. Produkte und Dienstleistungen sind nur so lange exklusiv, als die Mehrheit davon ausgeschlossen bleibt. Wenn der Supermarkt klassische „Traumziele“ im Reiseangebot führt, wenn Harddiscounter „Gourmet“- oder „De luxe“-Linien eröffnen oder Drogeriemärkte erlesene Parfums ins Regal stellen, dann braucht es neue Güter der sozialen Distinktion. Gewiss, es gibt Notebooks, Handys oder Fahrräder in Goldausführung, Limited Edition, versteht sich. Aber das ist pures Bling-Bling. Neureichenluxus. Glamour und Pomp, das ostentative Zurschaustellen von Marken, gelten aber zunehmend als vulgär. Die Verachtung des Neureichen hat übrigens Tradition. Dazu wäre vielleicht, in Abwandlung eines Kraus’schen Bonmots nur anzumerken: Auch die Altreichen waren einmal neureich.

Der Luxusgütermarkt wächst nach wie vor, doch das Verständnis von Luxus hat sich gewandelt. Der jüngste Trend heißt „Stealth Wealth“. Dezenz ist angesagt, wie das Frankfurter „Zukunftsinstitut“ erklärt: Dieser „getarnte“ Luxus ist nur über Codes dechiffrierbar. Die wiederum sind nur Eingeweihten bekannt, die über eine gewisse kulturelle Kompetenz verfügen. Gefragt, so die Zukunftsforscher, seien nunmehr höchstwertig verarbeitete Güter aus edelsten Materialien, am besten hergestellt in traditionsreichen kleinen Manufakturen.

Understatement – eine luxuriöse Form der Askese. Nach dieser Devise lebt sich schön, wenn man mehr als genug hat. Luxusgüter sollen aber neuerdings auch mit ethischem Mehrwert aufgeladen sein und einen ökologischen Fußabdruck haben: Nachhaltigkeit lautet das Zauberwort. Hedonismus mit gutem Gewissen, sozusagen. Und noch ein ganz anderer Aspekt prägt das neue Luxusverständnis: Diverse Basisgüter werden knapp, und damit der Vergleichswert des „Notwendigen“. Urbaner Wohnraum wird unleistbar; die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln wird fragiler, bedingt durch den Klimawandel wie durch die internationale Bodenspekulation (Agrarflächen, Wasserquellgebiete). Diese Entwicklung führt zu einer Verkehrung der Werte. Der Luxus der Zukunft, prophezeite Hans Magnus Enzensberger schon 1996 in seinem Essay „Reminiszenzen an den Überfluss“, verabschiede sich vom Überflüssigen und strebe nach dem Notwendigen: nach trinkbarem Wasser, atembarer Luft oder nach Ruhe oder Sicherheit. Auch Zeit sei ein Luxusgut, vorausgesetzt, man könne frei darüber verfügen (der Arbeitslose empfindet das Zuviel an Zeit wohl eher als Fluch).

Luxus in der Philosophie #

Vielleicht stellt ja auch das Sinnieren über Luxus einen Luxus dar? Man schlage nach bei einem, der es wissen muss: Konrad Paul Liessmann erörtert im Vorwort zu seinem Buch „Das Universum der Dinge“ den „Luxus in der Philosophie“. Der könne darin bestehen, seine Gedanken „nur aus Laune“ schweifen zu lassen. Er könne sich aber auch in besonders geschliffen formulierten erhellenden Einsichten manifestieren, also den „Edelsteinen des Geistes [...]. Im Gegensatz zum glänzenden Schmuck, der nur der Schönheit dient, offenbaren die Juwelen des Geistes immer auch eine kleine, feine Wahrheit über den Menschen. Ob diese Form der Selbsterkenntnis nun aber selbst ein Luxus oder eine Notwendigkeit ist – darüber zu philosophieren, wäre wahrscheinlich schon wieder reiner Luxus.“

Die Furche, 22. April 2021