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Erfinderische Legenden#

Die Geschichte der technischen Neuerungen ist auch eine von Nachschöpfung und Plagiat#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 19. März 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Edwin Baumgartner


Österreicher waren glücklos bei Schiffsschraube und Schreibmaschine.#

Schiffsschraube
Alt-Österreichs Beitrag zur modernen Seefahrt: Die Schiffsschraube, hier jene des amerikanischen Raketenzerstörers "Churchill", ist eine Erfindung von Josef Ressel. Zugeschrieben wird ihre Erfindung freilich manch anderen.
Wikipedia

Wir haben’s ja schon immer gesagt! In Österreich weiß schließlich jedes Kind, dass der österreichische Forstbeamte Josef Ressel die Schiffsschraube erfunden hat.

Der Rest der Welt sieht das anders. Wenigstens der deutsche Autor Armin Strohmeyr lässt in seinem Buch "Verkannte Pioniere" unserem Genie endlich Gerechtigkeit widerfahren. Die Schiffsschraube stammt von einem Österreicher, jawohl, darauf die Bundeshymne gesungen.

Nun gut, das Herumreiten darauf, dass Josef Ressel eigentlich Josef Ludvík František Ressel hieß und Tscheche war, hätte sich Strohmeyer sparen können. Schließlich gehörte Tschechien damals, im 19. Jahrhundert, zu Österreich, und wer in unseren Landesgrenzen berühmt wird, ist Österreicher, so wie der Beethoven, und wer bei uns nur geboren ist, aber innerhalb der Grenzen eines anderen Landes berüchtigt wird, gehört dorthin, so wie der Deutsche, der mit dem Schnurrbart.

Was es da, also bei der Schiffsschraube, sonst sowieso nicht, eigentlich zu diskutieren gibt?

Je nun: Zum Beispiel, dass der Amerikaner (Gott sei’s geklagt, ausgerechnet) Robert Fulton ein U-Boot erprobte, das er mit einer handgekurbelten Schraube antrieb. Das war im Jahr 1805. Der 1793 geborene Ressel lernte da vermutlich gerade das Abc. Wobei ja auch Fulton ein wenig spät kam, weil ja der Amerikaner David Bushnell bereits 1776 sein U-Boot "Turtle" mit einer - gleichfalls handgekurbelten - Schraube antrieb. Sind schon findige, um nicht zu sagen: erfinderische Kerlchen, diese Amerikaner.

So ganz nebenbei: Fultons U-Boot hieß "Nautilus" und wurde in der französischen Hafenstadt Brest erprobt. Ein Schelm, wer denkt, Jules Verne habe davon nichts gewusst und sei ganz und gar aus eigener Genialität auf den Namen von Kapitän Nemos U-Boot gekommen.

Aber zurück zum Tschechen, also zum Österreicher Ressel: Was man ihm lassen muss, ist, dass er erkannt hat, wie profitabel die Verbindung zwischen Schiffsdampfmaschine und Schiffsschraube ist im Vergleich zur Verbindung zwischen Schiffsdampfmaschine und Schaufelrad.

Wobei "profitabel" rein im Sinn von "vorteilhaft" gemeint ist. Finanziellen Profit hat Ressel damit nämlich keinen gemacht. Er wurde - mit einem heutigen Ausdruck würde man sagen - gelegt. Und zwar von jedem, mit dem er es zu tun bekam. Der Höhepunkt: Der von der britischen Regierung ausgesetzte Preis für den "wahren Erfinder der Schiffsschraube" wurde 1852 unter fünf Erfindern aufgeteilt. Alle fünf waren Briten. Und Plagiatoren von Ressels Konstruktion, deren bei der britischen Regierung eingereichte Pläne seltsamerweise verloren gingen.

Falsche Datierung#

Wobei etwas Kehren vor der eigenen Haustür nicht schaden kann: Die Seemacht Österreich, damals eine Realität, interessierte sich nicht ansatzweise für die Erfindung, die man dem "Förster ohne Wald", wie sich Ressel selbst bezeichnete, seien wir fern allen Nationalstolzes jetzt einmal ehrlich, schon ein wenig zubilligen kann.

Siegfried Marcus
Eine Fehldatierung machte Siegfried Marcus zum Erfinder des Automobils.© Wiener Zeitung

Doch es geht auch anders’rum, dass man also die Erfindung eines anderen für einen Österreicher in Anspruch nimmt. Wie war das doch gleich mit dem Marcus-Wagen? Schnell das Schulwissen aus den hinteren Gedächtniswinkeln hervorgekramt: Siegfried Marcus konstruierte einen Viertakt-Motor, setzte ihn auf einen Karren, verband dessen Räder mit dem Motor - und erfand damit 1877 das Automobil.

Nur leider stimmt’s nicht. Also, dass Marcus ein Automobil konstruierte, stimmt schon, und er war auch mit Sicherheit der Erste in Österreich. Aber halt nicht der Erste global gesehen. Der Deutsche Carl Friedrich Benz war mit dem Ottomotor eindeutig früher dran, nämlich 1886.

Genau gelesen und dementsprechend gewundert? - Marcus’ angebliche Erfindungsleistung beruht auf einer falschen Datierung seines Automobils im alten Technischen Museum in Wien. Nach 1945 wurde der Fall umso heikler, da Marcus Jude war. Sein Name war von den Nationalsozialisten totgeschwiegen worden, und nun setzte die wiedergutmachenwollende Gegenströmung ein. Die nur leider nicht zur Wahrheit, sondern zu deren Verschleierung führte. Neueren Erkenntnissen zufolge fuhr Marcus’ Wagen erst 1888. Was man deutlich hinzufügen muss: Marcus betrieb die Schwindelei nicht selbst - und er war wirklich ein Erfinder, ein genialer sogar. 130 Patente sind unter seinem Namen angemeldet, unter anderem elektrische Zünder und Beleuchtungskörper. Nur erfand er eben nicht das Automobil.

Überhaupt ist die Frage, wer der wirklich Erste war, schwer zu klären, wenn ein bestimmter Fortschritt sozusagen in der Luft liegt.

Sich dort, also in der Luft, zu bewegen, und zwar mit einem motorgetriebenen Flugapparat, nicht mit einem Ballon, war beispielsweise die fixe Idee an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Der Fall ist klar: Die Brüder Wright flogen 1903 als Erste. Oder hat sich doch der amerikanisierte Deutsche Gustav Weißkopf zweieinhalb Jahre vor den Brüdern Wright den ersten Lufthüpfer gemacht?

Eine begeisterte Gemeinde ist der Sache Weißkopfs sicher, immerhin gibt es Zeitungsartikel darüber. Etliche Luftfahrthistoriker bezweifeln indessen, dass die Geschichte der Luftfahrt umgeschrieben werden muss, weil das Luftgefährt der Wrights eben wirklich ein Flugzeug war und das Weißkopfs ein aviatikevolutionärer Irrtum.

Sei’s drum: 1998 ist ein Nachbau von Weißkopfs Apparat geflogen. Immerhin 90 Sekunden lang. Der legendäre erste Wright-Flug hat gerade einmal 12 Sekunden gedauert.

Eine traurige Gestalt#

Doch zurück nach Alt-Österreich und einer wirklich beklagenswerten Gestalt: Peter Mitterhofer erfand die Schreibmaschine, mit welcher der amerikanische Waffenhersteller Remington auch weniger schießwütige Kreise für sich einnahm. Der Südtiroler Mitterhofer war Tischler, trat als Bauchredner auf, fertigte Musikinstrumente an, erfand eine Waschmaschine und eine Schubkarre, die man in eine Rückentrage umwandeln konnte. Aber sein Herz hing nun einmal an der Schreibmaschine, nicht zuletzt vielleicht, weil ihm die Maschine half, die ungelenke Handschrift, die ihn als Angehörigen einer weniger gebildeten Schicht auswies, zu überwinden.

Einen Prototyp fertigte er aus Holz, wohl wissend, dass Metall das geeignetere Material wäre - doch das konnte er nicht selbst bearbeiten, und ihm fehlte das Geld, es fachmännisch bearbeiten zu lassen.

1866 ging Mitterhofer (und zwar zu Fuß) nach Wien, um bei Kaiser Franz Joseph eine finanzielle Unterstützung zur Vervollkommnung der Maschine zu erbitten. Immerhin: 200 Gulden zahlte seine Majestät. Mitterhofer verfertigte nun weitere Modelle, die der Hof in Wien zwar ankaufte, doch das Interesse erlahmte - und Mitterhofer, der sich völlig auf den Kaiser konzentrierte und keine Ahnung hatte, wie er seine Idee anders zu Geld machen könnte, gab auf. Er lebte lange genug, um am Siegeszug der Remington-Schreibmaschinen zu erkennen, dass er auf dem richtigen Weg gewesen war.

Fairerweise sei freilich angemerkt, dass auch Mitterhofer für seine Schreibmaschine ein Modell hatte. Das hatte der italienische Rechtsgelehrte Giuseppe Ravizza konstruiert - und er machte eine Erfindung, die wirklich nur ihm ganz allein gehört: das Farbband. Selten, sehr selten, kann man eine Erfindung eben doch an einer einzigen Person festmachen.

Wiener Zeitung, Dienstag, 19. März 2013