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Andrea Bina, Michaela Nagl, Lisa Schmidt (Hg.): Linz auf Sommerfrische#

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Andrea Bina, Michaela Nagl, Lisa Schmidt (Hg.): Linz auf Sommerfrische. Naherholung im Mühlviertel und Salzkammergut. Mit Texten von Andrea Bina, Nikolaus Benke, Berthold Ecker, Tobias Hagleitner, Klaudia Kreslehner, Michaela Nagl, Herta Neiss, Elisabeth Nowak-Thaller, Johanna Rachinger, Lisa Schmidt, Martin Sturm, Thomas Pauli und Georg Wilbertz. Nordico Stadtmuseum Linz, Publikation Nr: 123. Verlag Anton Pustet. Salzburg. 232 S., ill., € 34,-

"Salzkammergut" und "Sommerfrische", diese Thema scheinen heuer besonders aktuell. Im Sommer 2024 wird das Ischler Stadtmuseum mit einer Ausstellung zur Sommerfrische neu eröffnet. Das Nordico Stadtmuseum Linz zeigt von Mai bis August die Sonderschau "Linz auf Sommerfrische". Dazu ist das vorliegende, reich illustrierte Buch erschienen, das sich der Naherholung im Mühlviertel und Salzkammergut widmet. Es vereint "Blitzlichter" aus den Urlaubsregionen Salzkammergut und Mühlviertel von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Fünf Kapitel behandeln die Themen Sommerfrische und Tourismus, Bewegungungsradien der SommerfrischlerInnen, Landschaft in Kunst und Fotografie, Erholung für alle sowie die zeitgenössische Sommerfrische im Mühlviertel. Dazu kommen Beiträge zu speziellen Aspekten. Zahlreiche Illustrationen, wie Bilder von Souvenirs, nostalgische Ansichtskarten, historische Landschaftsansichten, alte und aktuelle Fotografien, illustrieren die abwechslungsreichen Texte.

Zur Einstimmung widmet sich die Historikerin Herta Neiß, Kuratorin des Museums Bad Ischl, dem "Phänomen Sommerfrische". Der Begriff bezeichnet, so das Wörterbuch der Brüder Grimm aus dem Jahr 1905, den "Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Sommerzeit." Bis ins 18. Jahrhundert blieben Bildungsreisen und adelige Kavalierstouren einem kleinen Kreis vorbehalten. Das Reiseverhalten änderte sich mit dem aufkommenden Kur- und Badetourismus und leistungsfähigeren Verkehrsmitteln. Ab 1827 ging die Bahnstrecke Gmunden - Linz - Budweis in Betrieb. Allerdings diente die Pferdeeisenbahn mehr dem Transport von Salz aus Oberösterreich nach Böhmen, als von Personen. 1855 fuhr sie mit Dampf und seit 1873 auf einer neuen Trasse. 1877 erhielt Bad Ischl seinen Bahnhof. Erst ein halbes Jahrhundert davor hatte Ischl den Pass abgeschafft, den man für den Besuch der Region benötigte. Bald kamen die ersten Kurgäste in die Badeanstalt, darunter so prominente Personen wie Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar von Metternich, der Kaiserbruder Erzherzog Rudolf und schließlich das zuvor kinderlose Kaiserpaar Franz Karl und Sophie. Die Geburt des "Salzprinzen" Franz Joseph I. begründete den Weltruf der Ischler Sole- und Dampfbäder. Der Kaiser hielt sich gerne in Ischl auf, liebte Ausflüge, Wanderungen und Jagden. Er verlobte sich hier mit seiner Cousine Elisabeth. 1913 übertraf die Zahl der Gäste (17.467) jene der Einwohner um das Doppelte.

Weit weniger nobel war das zweite von den EinwohnerInnen der Landeshauptstadt Linz bevorzugte Naherholungsgebiet, das Mühlviertel. "Mit dem Salzkammergut hat es so gar nichts gemein, weder landschaftlich noch in Bezug auf seine Gäste, die weder einem adeligen, noch einem großbürgerlichen Umfeld zuzurechnen waren. Nichtsdestoweniger gab und gibt es SommerfrischlerInnen, die … aufgrund des besonderen landschaftlichen Charmes immer wieder kamen und vielfach einen Zweitwohnsitz errichteten," schreibt Herta Neiß. Die Kunsthistorikerin Lisa Schmidt erinnert daran, dass seit den 1990er Jahren viele das Mühlviertel als stadtnahen Erholungsraum für sich entdeckten. Das nördlichste Viertel Oberösterreichs berge "alte und neue Sehnsuchtsorte neben dem großen Player im Süden des Bundeslandes, dem Salzkammergut." Anders in der klassischen Sommerfrischenzeit um 1900 ist man gegenwärtig kurzfristiger, öfter und kürzer unterwegs. Die Gründe sind vielfältig. Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 zählt ebenso dazu wie die Covid-Pandemie samt Homeoffice. Die Städter, hier besonders die Linzer, finden im Mühlviertel "Erholung und Entschleunigung, Aktivität und Erleben genau so wie Genuss". Die Gegend "muss ästhetisch etwas bieten, ein Wohlfühlraum sein". Dazu zählen das Vorhandensein von Wasser und Bergen, leichte Erreichbarkeit, familienfreundliche Angebote wie Urlaub am Bauernhof, Wanderrouten oder Radwege. Während einfachere Beherbergungsbetriebe zusperren, steigt das Angebot an Viersternehotels und Wellnessoasen.

Weitere Schwerpunkte der Publikation bilden autobiografische Erzählungen und Berichte von KünstlerInnen bis in die Gegenwart. Eine prominente Tochter des Mühlviertels ist Johanna Rachinger. Ihre Eltern betrieben in Putzleinsdorf ein Gasthaus, so kam sie schon früh mit Sommergästen in Kontakt. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften und Germanistik machte sie eine bemerkenswerte Karriere. Seit 2001 ist Johanna Rachinger Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek. Der wohl berühmteste Sohn des Mühlviertels war der Dichter und Maler Adalbert Stifter (1805-1868). Er fand, schon schwer krank, seinen "Flucht-Punkt" im 15 km nördlich von Linz gelegenen Kirchschlag. Der Germanist Martin Sturm schreibt: "In Briefen beschwört er die heilende Kraft der Natur und zumindest für Momente fühlt er sich 'wie in einem Meere von Seligkeit'. Von der Tagespolitik versucht er sich abzuschirmen." Stifter arbeitete in seinem "Rettungsort" u. a. an seinen späten Erzählungen und dem historischen Roman "Witiko". Eine Artikelserie der Linzer Zeitung für "interessierte Laien" über Naturphänomene. nannte er "Winterbriefe aus Kirchschlag".

Mehr noch als das Mühlviertel kann das Salzkammergut, auch abseits von Ischl, mit klingenden Namen aufwarten. Zahlreiche Künstler wie Gustav Klimt und Tobias Ender, der Kammermaler Erzherzog Johanns, hielten die inspirierenden Orte der Sommerfrische in ihren Werken fest. "Innerhalb der vielen Seen des Salzkammerguts nimmt der Attersee nicht nur wegen seiner Größe eine besondere Stellung ein. Es sind die türkise Farbe und die Weite des Sees mit dem langgestreckten Bergrücken, die schon im 19. Jahrhundert zahlreiche Sommerfrischler anlocken", schreibt die Kunsthistorikerin Michaela Nagl. Sie stellt eine Auswahl von Kunstwerken vor, die in den sommerlichen Sehnsuchtsräumen Oberösterreichs entstanden sind. Zu den jüngsten zählen die Fotos von Gerhard Trumler - "Ein forschender Chronist einfacher, verschwindender Lebensformen" - und Stefan Olah. "Er konzentriert sich auf architektonische Außen- und Innenaufnahmen, auf Räume mit besonderer Atmosphäre und Geschichte." Weitere fotografische Kapitel im vorliegenden Werk stammen von Bernhard Fuchs und Norbert Artner. 1994-2001 widmete Fuchs den Menschen seiner Heimatregion die Serie "Portraits". Norbert Artner zog anno 2014 fotografische Vergleiche zwischen Hallstatt und demin der chinesischen Provinz Guangdong nachgebauten Ort "Hallstatt See".

Hallstatt wurde zum Paradebeispiel von Overtourismus in Österreich, weiß die Kulturmanagerin Klaudia Kreslehner. Sie verfolgte den Wandel der 750-Seelen-Gemeinde zum Touristenhotspot mit jährlich einer Million Besuchern: 1997 UNESCO-Weltkulturerbe, 2006 Drehort einer südkoreanischen Fernsehserie, 2012 1:1-Nachbau in China. 2019 der animierte Musical-Fantasy-Film "Frozen II" der Disney-Studios, dessen Ort der Handlung, Halllstatt nachempfunden ist. "Dicht gedrängt wälzen sich seither die Menschenmassen durch die engen Gässchen … ist man froh, den Ort wieder rasch hinter sich lassen zu können. Man freut sich auf Urlaub vom Urlaub," stellt Klaudia Kreslehner fest. "Es liegt nur ein schmaler Grat zwischen der erfolgreichen Suche nach dem schönsten Reiseziel und seiner Enttäuschung", schreibt die Kulturmanagerin. "Oberösterreich hat viele Gesichter", heißt es im Slogan einer Tageszeitung. Er würde auch für dieses Buch passen, das die "Landlust" - nicht nur der LinzerInnen - weckt.

hmw