Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Castiglioni, Camillo#


* 22. 10. 1879, Triest (Italien)

† 18. 12. 1957, Rom (Italien)


Industrieller, Bankier, Financier


Camillo Castiglioni, 1916 © Ch. Brandstätter Verlag, Wien, für AEIOU
Camillo Castiglioni, 1916 © Ch. Brandstätter Verlag, Wien, für AEIOU
Camillo Castiglioni wurde am 22. Oktober 1879 als Sohn jüdischer Eltern (sein Vater war Oberrabbiner) in Triest geboren.

Nach dem Besuch der Mittelschule startete er 1900 seine Berufslaufbahn als Vertreter für die Österreichisch-Amerikanische Gummiwarenfabrik AG in Konstantinopel (Istanbul). Er arbeitete hier so erfolgreich, dass man ihn bald als Leiter der Exportabteilung nach Wien holte; bereits 1904 - mit 25 Jahren - stieg er vom Generalvertreter zum Direktor der Österreichisch-Amerikanischen Gummiwerke (später Semperit) auf.

Camillo Castiglioni fasste die verschiedenen Hersteller von Reifen und Motoren und die Konstruktionsfirmen unter seiner Kontrolle zu einem Konzern zusammen und versuchte so, die Branche weitgehend zu monopolisieren.

Ab 1908 war er in Wien ansässig; 1909 entdeckt er seine Begeisterung für die Luftfahrt, legte die Ballonfahrerprüfung ab und begann, auch in Luftfahrtprojekte zu investieren.
(Die Einführung von Luftschiffen in das österreichisch-ungarische Heer gilt als sein Verdienst: Auf seine Initiative erfolgte die Gründung der Motor-Luftfahrzeug-Gesellschaft (Wiener Neustädter Flugzeugwerke), woran auch der Automobil-Pionier Eduard Fischer beteiligt war. Bei dieser Gesellschaft bestellte die österreichische Heeresverwaltung ihre beiden ersten Luftschiffe "Parseval" und "Lebaudy". 1910 ließ Castiglioni die Firma die Konstruktion von Aeroplanen aufnehmen und führte ihr die Etrich-Patente zu.)

Viele Jahre lang war er eine wichtige Figur in der jungen Flugzeug- und Autoindustrie – u.a. als Aufsichtsratsvorsitzender von Austro-Daimler, Chef der österreichischen Fiat-Gesellschaft, Gründer der ungarischen Flugzeugwerke und Mitbegründer des Österreichischen Aero-Clubs.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs stiegen die Umsätze - für ihn als Armeelieferanten - noch weiter. Als er rechtzeitig erkannte, dass der Krieg bald verloren sein würde, verkaufte er seine Beteiligungen in der Flugzeugbranche rechtzeitig (noch ehe Deutschland und Österreich der Bau von Flugzeugen verboten wurde) und transferierte sein Geld in die Schweiz.

Sofort nach Kriegsende erlangte er mit Hilfe seiner in Mailand lebenden Familie die italienische Staatsbürgerschaft und hatte somit – als Staatsbürger einer Siegermacht - auch mit den Restriktionen für die österreichische Wirtschaft keine Probleme.


Er blieb aber in Wien sesshaft und erwarb mit verschiedenen (zum Teil undurchsichtigen) Spekulationen und Geschäften - ein Riesenvermögen. Er hielt u.a. Beteiligungen an den Firmen Puch und Daimler, an der österreichischen Alpine-Montan und an Leykam-Josefsthal und war von 1917 bis 1922 Hauptaktionär der "Allgemeinen Depositenbank".
(Er dehnte die Geschäftstätigkeit der Bank immer weiter aus, sodass diese 1922 schließlich an 80 Unternehmen beteiligt war. Nach Widerstand innerhalb der Bank zog sich Castiglioni 1922 aus der Bank zurück; 1924 geriet die Depositenbank in Schwierigkeiten und brach ein Jahr später zusammen.)


Camillo Castigliono gefiel sich aber auch in seiner Rolle als Kunstsammler und Mäzen: er kaufte ein Palais in Wien und stattete dieses mit einer kostbaren Sammlung alter Gemälde aus; auch am Grundlsee erwarb er eine schöne Villa. Für Max Reinhardt kaufte er 1923/24 das Theater in der Josefstadt, ließ es restaurieren und unterstützte es über 30 Jahre lang, in denen er Eigentümer des Theaters blieb. Er ermöglichte Max Reinhardt auch finanziell, die Salzburger Festspiele ins Leben zu rufen.

Castiglioni verstand es, die in Europa zu unterschiedlichen Zeiten ausbrechende Inflation perfekt zu nutzen. Allerdings erlitt er durch Fehlspekulationen 1924 große Vermögensverluste und musste einen Teil seiner Industriebeteiligungen und die Kunstsammlung verkaufen. (Eine Strafanzeige nach dem Zusammenbruch der Depositenbank wegen Veruntreuung von Spareinlagen führte zu keiner Verurteilung.)

Danach verlegte Castiglioni seine Aktivitäten zunächst nach Deutschland, später nach Italien, wo er u.a. Mussolini Kredite verschaffte.


Zu seinen besten Zeiten besaß er Beteiligungen an großen Unternehmen in mindestens fünf Ländern und war kurzzeitig der reichste Mann Mitteleuropas. Er war zeitweise alleiniger Anteilseigner der Bayerischen Motorenwerke und legte am Ende, gegen viele Widerstände, den Grundstein für die Autoproduktion der BMW. Er stand in enger Verbindung mit den herausragenden Ingenieuren des Fahrzeug- und des Flugzeugbaus, arbeitete mit Ferdinand Porsche und dem Flugzeugkonstrukteur Ernst Heinkel.

Die Zusammenbrüche der großen Banken Mitteleuropas rissen Castiglioni mit in ihren Strudel: Der von ihm gegründete Castiglioni-Konzern platzte, er verlor den größten Teil seines Vermögens und seiner Kunstschätze. Es gab einen Skandal-Prozess, der bis in die österreichische Regierung hineinspielte - tagelang beherrschte der Name Castiglioni die Schlagzeilen der Wiener Presse.

Aber auch in den Zeiten seines Abstiegs trat er noch als großzügiger Sponsor auf; später zog er sich nach und nach aus der Öffentlichkeit zurück. (Nach 1945 vermittelte er noch Darlehen an Tito bzw. die jugoslawische Regierung. )

Als Camillo Castiglioni am 18. Dezember 1957 im Alter von 78 Jahren in Rom starb, war sein Ruhm längst verblasst.

Weiterführendes#

Literatur#

  • Sammlung C. Castiglioni, 1923
  • Dizionario biografico degli italiani, 1960
  • Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. (Hg. Franz Planer), 1929
  • H. Andics: Der Staat, den keiner wollte. Österreich 1918 - 1938, 1964
  • K. Ausch, Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption, 1968
  • D. Stiefel, Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische, 2012
  • R. Schlüter, Der Haifisch. Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni, 2015


Quellen#

© TMW
Redaktion: hmw, I. Schinnerl