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vom 03.05.2020, aktuelle Version,

Ágnes Heller

Ágnes Heller (2015)

Ágnes Heller (* 12. Mai 1929 in Budapest; † 19. Juli 2019[1] in Balatonalmádi) war eine ungarische Philosophin, die in Budapest und New York City lebte.

Leben

Ágnes Heller, die jüdischer Herkunft war, gelang es im Holocaust gemeinsam mit ihrer Mutter immer wieder, teils durch geistesgegenwärtiges Handeln, teils nur durch schieres Glück, einer Deportation und Ermordung zu entgehen. Ihr Vater und zahlreiche weitere Verwandte wurden Opfer der Judenverfolgung während der Zeit der NS-Diktatur. In einem Interview aus dem Jahr 2014 berichtet sie, dass ihre Großmutter "die erste Frau war, die an der Universität Wien studiert hat".[2]

Nach der Matura immatrikulierte sich Ágnes Heller 1947 an der Universität Budapest für Physik und Chemie. Sie wechselte unter dem Eindruck einer Vorlesung von Georg Lukács das Studienfach und begann, Philosophie zu studieren. Sie wurde 1955 von Lukács promoviert und schließlich seine Assistentin.

Nach jahrzehntelanger politischer Unterdrückung in Ungarn emigrierte Heller 1977 nach Australien, wo sie an der La Trobe Universität in Melbourne von 1978 bis 1983 eine Soziologie-Professur innehatte. 1986 wurde sie auf den Hannah-Arendt-Lehrstuhl[3] an der Philosophiefakultät[4] der New School for Social Research in New York berufen.

Seit ihrer Emeritierung pendelte sie jeweils halbjährlich zwischen Budapest und New York.

2001 und 2002 war sie Fellow des Weimarer Kollegs Friedrich Nietzsche zum Thema „Zur Theorie der Modernität“.[5] 2013 hielt sie als Sir-Peter-Ustinov-Gastprofessorin der Stadt Wien Vorlesungen zum Thema „Die Welt der Vorurteile“ am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.

Politisch positionierte sie sich gegen die Politik des Fidesz – Ungarischen Bürgerbundes und des Ministerpräsidenten Viktor Orbán. So äußerte sie sich in einem Interview für ZEIT Geschichte 2013: „Orbán ist ein Diktator, aber Ungarn ist keine Diktatur“.[6]

Im Gegensatz zu ihrer früheren Meinung sagte Heller, dass man die Zusammenarbeit mit der Jobbik nicht ausschließen solle. Sie meinte auch, dass sie die Jobbik nie für eine Neonazi-Partei gehalten habe.[7] Ihrer Meinung nach gab es zwar von der Partei rassistische und antisemitische Äußerungen, sie habe aber mit ihrer Entwicklung viel bewiesen und am wichtigsten sei, was die Partei heute sagt.[8]

Ágnes Heller starb im Juli 2019 im Alter von 90 Jahren, als sie nach Augenzeugenberichten in den Plattensee „hinausgeschwommen und nicht mehr zurückgekehrt“ ist.[9]

Denkansätze

Bereits in ihrem Erstling Der Mensch in der Renaissance (1967 auf Ungarisch, 1978 auf Englisch, 1988 auf Deutsch erschienen) drehte sich Hellers Denken um Leben und Freiheit als die obersten Werte. Daneben steht die Frage, wie das menschliche Naturverhältnis als gesellschaftliches und historisches zu begreifen ist.

In die Wählbarkeit der Geschichte führte sie diese Gedanken hermeneutisch weiter aus. Im Nachwort zur deutschen Ausgabe schrieb sie: „Ich war bereits in ‚Der Mensch der Renaissance‘ davon überzeugt, und bin es auch seither, dass alle großen Leistungen der Kultur aus den Bedürfnissen, Konflikten und Problemen des täglichen Lebens hervorgehen“. Entsprechend betonte sie den Alltag.

Heller entfaltete auf der Grundlage einer eingehenden marxistischen Betrachtung eine ausführliche „Theorie der Bedürfnisse“, mit der sie beispielsweise die „Bedürfnisdiktatur“ im Ostblock kritisieren konnte. Die philosophische Anthropologie hat für sie ihren Ursprung in der Renaissance, die sich durch ein „pluralistisches moralisches Wertsystem“ deutlich von früheren Zeitaltern unterscheidet. Weiterhin sprach sie sich für eine auf Empathie gründende Parteinahme für Leben und Freiheit aus.

Auszeichnungen

Schriften (Auswahl)

Die Welt der Vorurteile (2014)
  • Der Mensch der Renaissance. [Original 1967; Englisch 1978.] Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988.
  • Alltag und Geschichte – Zur sozialistischen Gesellschaftslehre. Luchterhand, Neuwied 1970.
  • Theorie der Bedürfnisse bei Marx. Mit einem Vorwort von Pier Aldo Rovatti. Berlin 1976.
  • Die Seele und das Leben. Studien zum frühen Lukács. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977.
  • Das Alltagsleben. Versuch einer Erklärung der individuellen Reproduktion. Herausgegeben und eingeleitet von Hans Joas. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978.
  • Theorie der Gefühle. VSA, Hamburg 1980.
  • Die Linke im Osten – die Linke im Westen. Ein Beitrag zur Morphologie einer problematischen Beziehung. Index e. V., Köln 1986.
  • Ist die Moderne lebensfähig? Campus, Frankfurt am Main 1995.
  • Biopolitik. Aus d. Engl. von Felix Ensslin. Campus, Frankfurt am Main 1995.
  • Der Affe auf dem Fahrrad: Eine Lebensgeschichte. Bearbeitet von János Köbányai. Aus dem Ungarischen von Christian Polzin und Irene Rübbert. Philo, Berlin/Wien 1999.
  • Die Auferstehung des jüdischen Jesus. Aus dem Ungarischen von Christina Kunze. Philo, Berlin/Wien 2002.
  • Nach zwanzig Jahren. (PDF) In Bernd Florath (Hrsg.): Das Revolutionsjahr 1989 – Die demokratische Revolution in Osteuropa als transnationale Zäsur. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten, Band 34. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-35045-4, S. 19–29.
  • Nietzsche on Dreams. In: Die Neugier des Glücklichen. Hrsg. v. B.-Christoph Streckhardt. Verlag der Bauhaus-Universität Weimar 2012, ISBN 978-3-86068-474-0.
  • Die Welt der Vorurteile. Geschichte und Grundlagen für Menschliches und Unmenschliches. Edition Konturen, Wien/Hamburg 2014, ISBN 978-3-902968-03-6.
  • Von der Utopie zur Dystopie: Was können wir uns wünschen? Edition Konturen, Wien 2016, ISBN 978-3-902968-20-3.
  • Eine kurze Geschichte meiner Philosophie. Edition Konturen, Wien 2017, ISBN 978-3-902968-25-8.
  • Was ist komisch? Kunst, Literatur, Leben und die unsterbliche Komödie. Edition Konturen, Wien 2018, ISBN 978-3-902968-30-2.
  • Paradox Europa. Edition Konturen, Wien 2019, ISBN 978-3-902968-41-8.

Siehe auch

Literatur

  • Theres Jöhl: Ágnes Heller: Paradoxe Freiheit. Eine geschichtsphilosophische Betrachtung. Athena, Oberhausen 2001
  • János Boros, Mihály Vajda (Hrsg.): Ethics and Heritage. Essays on the philosophy of Agnes Heller. Brambauer, Pécs 2007
  • Georg Hauptfeld, Der Wert des Zufalls. Ágnes Heller über ihr Leben und ihre Zeit. Edition Konturen, Wien–Hamburg 2018
  • Jürgen Habermas: Abschied von einer Philosophin In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Juli 2019, S. 9
  • Ludger Hagedorn: Geduld mit der Wahrheit. In: Die Zeit, Nr. 31/2019; Nachruf.
Commons: Ágnes Heller  – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Meghalt Heller Ágnes filozófus. Abgerufen am 19. Juli 2019 (ungarisch).; siehe auch: Ungarische Philosophin: Ágnes Heller gestorben. zeit online, 19. Juli 2019 (abgerufen am 19. Juli 2019)
  2. Der Sinn des Lebens ist zu leben, Interview mit Tobias Haberl, in Süddeutsche Zeitung Magazin, 24. Januar 2014 online abgerufen 3. Mai 2020
  3. Martin Jay: Frauen in finsteren Zeiten: Agnes Heller und Hannah Arendt. In: Leviathan. Band 22, Nr. 2. Nomos, 1994, ISSN 0340-0425, S. 179–194, JSTOR:23983894.
  4. Philosophy Faculty. The New School for Social Research, abgerufen am 20. Juli 2019.
  5. klassik-stiftung.de
  6. Europas Weg in den Faschismus. In: Die Zeit / ZEIT Geschichte Nummer=3/13. 4. November 2013 (zeit.de [abgerufen am 25. April 2016]).
  7. Heller Ágnes és a Jobbik közeledése | Magyar Idők. In: Magyar Idők. (magyaridok.hu [abgerufen am 12. Februar 2018]).
  8. „Fogják be az orrukat!” – Heller Ágnes a Jobbikról és a 2018-as választások tétjéről. Abgerufen am 12. Februar 2018 (ungarisch).
  9. Stefan Dornuf: Jeden Tag drückt einen der Zeh woanders – zum Tod der ungarischen Philosophin und Orban-Gegnerin Ágnes Heller. nzz.ch, erschienen und abgerufen am 20. Juli 2019.
  10. Bayreuther Vorbildpreis. In: bayreuther dialoge 2019. Abgerufen am 20. August 2019 (amerikanisches Englisch).
  11. orf.at: Agnes Heller erhält Manes-Sperber-Preis. Artikel vom 24. Mai 2018, abgerufen am 14. Juni 2018.
  12. Wolfgang Müller-Funk: Ágnes Heller: Der Schrecken, das Komische und die Geschichte. In: derStandard.at. 13. Juni 2018, abgerufen am 13. Juni 2018.