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vom 09.11.2018, aktuelle Version,

Hainfelder Programm

Das Hainfelder Programm war das Gründungsprogramm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAP). Aus dieser Partei ging später die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) hervor.

Der Parteitag

Vom 30. Dezember 1888 bis zum 1. Jänner 1889 fand in Hainfeld in Niederösterreich, der Einigungsparteitag der SDAP statt. Hainfeld wurde als Tagungsort gewählt, einerseits weil im Ort durch seine Sägemühlen und Eisenwarenfabriken eine bestehende Arbeiterorganisation bestand und andererseits weil wegen des für Hainfeld zuständigen Bezirkshauptmanns, dem für sein soziales Bewusstsein bekannten Graf Leopold Auersperg, die Gefahr eines behördlichen Veranstaltungsverbotes nicht bestand. Der Termin nach Weihnachten sollte einer größtmöglichen Zahl von Werktätigen die Teilnahme ermöglichen. Somit konnten Vertreter der Arbeiterschaft aus allen österreichischen Kronländern, mit Ausnahme des noch industriell unterentwickelten Dalmatiens, teilnehmen.[1] Victor Adler hatte ein Programm ausgearbeitet, das von Karl Kautsky gebilligt worden war. Von den 110 Delegierten aus den Kronländern waren 69 stimmberechtigt. Das neue Parteiprogramm, die Prinzipienerklärung, wurde unter dem Vorsitz von Julius Popp mit 3 Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen. Rudolf Pokorny referierte über die Prinzipienerklärung. Neben der Prinzipienerklärung wurden Resolutionen über die „Arbeitsschutzgesetzgebung und Sozialreform“, über die Presse, die gewerkschaftliche Organisation, die Arbeiterkammern, die Volksschule, die politischen Rechte und die für die De-facto-Neugründung der Partei entscheidende Einigungsresolution angenommen. Victor Adler amtierte seit diesem Parteitag, bis zu seinem Tod 1918, als erster Vorsitzender der geeinten, neuen Partei.[2]

Das Denkmal in Hainfeld

An den Parteitag erinnert ein Denkmal in Hainfeld. Der ursprüngliche Gedenkstein wurde 1928 zum 40. Jahrestag des Parteitags errichtet und im Februar 1934 zerstört. 1948 wurde das Denkmal wiedererrichtet.

Die Prinzipienerklärung

Die „Prinzipienerklärung“ deklariert die Befreiung aus der politischen Rechtlosigkeit von den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes. Sie benennt den politischen Charakter der kapitalistischen Gesellschaft, die Rolle des bürgerlichen Klassenstaates und die damit verbundene Eigentumsfrage und die daraus resultierende gesellschaftliche Massenarmut, Verelendung und Unterdrückung. Es wird die Entwicklung der Produktivkräfte und die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums angeführt und unmissverständlich die Machtfrage, die Frage nach der historischen Mission der Arbeiterklasse für eine gerechte Gesellschaft formuliert. In dem wohl bekanntesten Satz der „Prinzipienerklärung“ wird die Aufgabe der Partei und die Bedeutung und Rolle die dem „wissenschaftlichen Sozialismus“ als unverzichtbares Instrument im Klassenkampf zukommt als die kategorischen Imperative der klassenbewussten Partei beschrieben.

„Der Träger dieser Entwicklung kann nur das klassenbewußte und als politische Partei organisierte Proletariat sein. Das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewußtsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten, ist daher das eigentliche Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich, zu dessen Durchführung sie sich aller zweckdienlichen und dem natürlichen Rechtsbewußtsein des Volkes entsprechenden Mitteln bedienen wird.[3]

Schließlich werden acht allgemeine Grundsätze aufgestellt und formuliert. Betont wird: der internationalistische Charakter der Partei, die Rolle die der Propaganda und Agitation für die Verbreitung der sozialistischen Idee zukommt, die Frage der aktiven Teilnahme am Parlamentarismus und zu den Wahlen der verschiedenen Körperschaften als eines der wichtigsten Mittel der Agitation und Organisation. Der Kampf um eine Arbeiterschutzgesetzgebung, weitestgehende Beschränkung der Arbeitszeit, Aufhebung der Kinderarbeit, um den unentgeltlichen und konfessionslosen Unterricht in den Volks- und Fortbildungsschulen sowie unentgeltliche Zugänglichkeit sämtlicher höheren Lehranstalten wird ebenso angeführt wie der angestrebte Ersatz des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung. Im Besonderen wird in Punkt sieben der Entschluss das Klasseninteresse des Proletariats jederzeit zu vertreten und aller Verdunkelung und Verhüllung der Klassengegensätze sowie der Ausnützung der Arbeiter zu Gunsten von herrschenden Parteien energisch entgegenwirken demonstrativ deklariert. Letztlich wird die Forderung nach einer einzigen, direkten, progressiven Einkommensteuer gefordert.

Bedeutung, Auseinandersetzungen und Wandlungen

Die im Hainfelder Programm niedergeschriebenen Prinzipien beziehen in der Frage der historischen Rolle der revolutionären Partei, über deren Unentbehrlichkeit und deren Bezugnahme auf den wissenschaftlichen Sozialismus eine historisch eindeutige Position. Im Besonderen ist folgender Passus des Hainfelder Programms hervorzuheben:

„Der Träger dieser Entwicklung kann nur das klassenbewusste und als politische Partei organisierte Proletariat sein. Das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewusstsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten.“

Der Passus der Hainfelder Prinzipienerklärung war in der österreichischen Arbeiterbewegung stets Gegenstand auch sehr hart geführter politisch-ideologischer Auseinandersetzungen. Im Zentrum dieser Auseinandersetzungen stand die Frage um das wechselseitige Verhältnis von Charakter und Rolle der Partei einerseits und der Bezugnahme zum wissenschaftlichen Sozialismus andererseits. Dementsprechend wurde und wird bis heute je nach dem politisch-ideologischen Standpunkt und der dementsprechenden Zielsetzungen das „Hainfelder Programm“ unterschiedlich bewertet.

Auf dem Gesamtparteitag der österreichischen Sozialdemokratie in Brünn (1899) wurde der Beschluss gefasst, das Hainfelder Programm den veränderten Zeitumständen anzupassen. Zu diesem Zweck wurde eine Kommission eingesetzt, die die Aufgabe hatte, einen Entwurf auszuarbeiten. Dieser Kommission gehörten Victor Adler, Ignacy Daszyński, Wilhelm Ellenbogen, Franz Schuhmeier und Steiner an. Schließlich wurde auf dem Wiener Parteitag von 1901 das Hainfelder Programm durch ein neues Programm ersetzt, das politisch gemäßigter war und letztlich auch im Dezember 1914 zur Zustimmung der SDAP zu den Kriegskrediten und damit zum Ersten Weltkrieg führte.

Der Austromarxist Max Adler wandte sich damals dezidiert gegen die Revision des Hainfelder Programms. Er bezeichnete den Entwurf des neuen Programms als „reformistisch“ und meinte: „Wir brauchen keine Revision unseres prinzipiellen Standpunktes“.[4]

Erst das „Linzer-Programm“ im Jahr 1926, das wesentlich von Otto Bauer beeinflusst war und unter dem Eindruck der Oktoberrevolution und seinen Auswirkungen für die Arbeiterbewegung reformulierte das Ziel der Revolution auf demokratischem Wege.

Literatur

  • Was will die Sozialdemokratie? Beschlüsse d. SDAP - Parteitag zu Hainfeld. Verlag der Ersten Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1892.
  • Herbert Steiner: Die Arbeiterbewegung Österreichs 1867–1889. Europa-Verlag, Wien 1964.
  • Rudolf G. Ardelt: Sozialdemokratie und bürgerliche Öffentlichkeit. Überlegungen zum Hainfelder Parteitag. In: Isabella Ackerl (Hrsg.): Politik und Gesellschaft im alten und neuen Österreich. Festschrift für Rudolf Neck zum 60. Geburtstag. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1981, ISBN 3-7028-0189-8, S. 214–238.

Einzelnachweise

  1. Lucian O. Meysels: Victor Adler. Die Biographie. Amalthea, Wien 1997, ISBN 3-85002-403-2, S. 68ff.
  2. Michael A. Meyer, Michael Brenner: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit. Beck, München 1996/97, ISBN 3-406-39705-0, Band 3, S. 173.
  3. zitiert nach: Was will die Sozialdemokratie? Beschlüsse d. SDAP - Parteitag zu Hainfeld. Verlag der Ersten Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1892.
  4. Alfred Pfabigan: Max Adler. Eine politische Biographie. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-593-33012-1, S. 52f.