Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast
vom 01.12.2021, aktuelle Version,

Nathan Birnbaum (Schriftsteller)

Nathan Birnbaum

Nathan Birnbaum (jiddisch נתן בירנבוים Nosn Birnboym; geboren 16. Mai 1864 in Wien; gestorben 2. April 1937 in Scheveningen) war ein österreichisch-jüdischer Schriftsteller und Aktivist, der sich immer wieder für neue und andersartige Ideen einsetzte, für kurze Zeit vor Herzl Zionist und erster Generalsekretär der Zionistischen Organisation war. Er fiel vom Zionismus ab, vertrat Ideen des Diaspora-Nationalismus, wurde Jiddischist und danach separatistischer ultraorthodoxer Agudist. Er benutzte verschiedene Pseudonyme, meist Mathias Acher, hebräisch ‚ein Anderer‘, nach Elischa ben Abuja; weitere Pseudonyme u. a.: Dr. N. Birner, Mathias Palme, Anton Skart, Theodor Schwarz, Pantarhei.

Leben und Wirken

Nathan Birnbaum war das einzige Kind des Kaufmanns Menachem Mendel Birnbaum und dessen Frau Mirjam, geb. Seelenfreund, welche ostjüdische Einwanderer waren. Nach einer traditionellen religiösen Erziehung beschäftigte er sich bereits auf dem Gymnasium mit der Emigration nach Palästina. Von 1882 bis 1885 studierte er Jura an der Universität Wien, hörte zudem aber auch nach der Promotion noch Philosophie und Orientalistik. Ende 1882 war er Mitbegründer der Kadimah und 1885/1886 deren Präses.

1890 heiratete Birnbaum Rosa Korngut (1869 – 22. Mai 1934), eine Verwandte Saul Raphael Landaus. Der Ehe entstammten die drei Söhne Solomon Birnbaum (1891–1989), Menachem Birnbaum (1893–1944) und Uriel Birnbaum (1894–1956). 1897 hielt er auf dem Ersten Zionistenkongress seine Rede Zionismus als Kulturbewegung.[1] Im April 1933 emigrierte Birnbaum mit seiner Familie in die Niederlande (zunächst Rotterdam, dann Scheveningen), wo er nach schwerer Krankheit 1937 verstarb. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof Den Haag, Oud Wassenaarseweg, neben seiner Frau beigesetzt.

Bis zu seinem Tod war Birnbaum publizistisch tätig, setzte sich aber schon lange nicht mehr für den Zionismus ein, obwohl er es war, der den Begriff prägte: Birnbaum gebrauchte den Begriff Zionismus seit 1890 und verschaffte ihm eine weitere Verbreitung.[2]

Birnbaum, der in jungen Jahren noch Theodor Herzl begleitet hatte, war ein Vertreter der kulturellen Variante des Zionismus, die eine Besiedlung Palästinas auch ohne eigenen Staat propagierte und erst von Chaim Weizmann zunehmend wieder mit dem sogenannten politischen Zionismus verklammert wurde. Daneben aber engagierte sich Birnbaum vor allem für das Ostjudentum, die chassidische Kultur und die jiddische Sprache. Hierfür initiierte er u. a. die erste Konferenz für die jiddische Sprache in Czernowitz. Später gelangte Birnbaum, der bis zum Atheismus hin nahezu alle religiösen Varianten durchschritten hatte, zum orthodoxen Judentum und wurde Generalsekretär der Agudas Jisroel.

Neben dem Begriff „Zionismus“ geht auch der um 1900 geprägte Begriff „Ostjudentum“ auf Birnbaum zurück.

Werke (Auswahl)

Birnbaums Publizistik

  • Herausgeber der Zeitschrift Selbst-Emancipation! (die erste Nummer erschien in Wien am 1. Februar 1885 unter dem Titel Selbst-Emancipation! Zeitschrift für die nationalen, socialen und politischen Interessen des jüdischen Stammes; die letzte Nr. erschien ebenfalls in Wien am 6. Juli 1886; 1890 konnte die Zeitschrift – mit Birnbaum als Chefredakteur, aber nicht mehr in seinem Eigentum befindlich – wiedererweckt werden; die definitiv letzte Nummer erschien am 15. Dezember 1893).
  • 1886 bis Juli 1888 Mitarbeit an der von Albert Katz in Berlin gegründeten nationaljüdischen Monatsschrift Serubabel. Organ für die Interessen des jüdischen Volkes. ZDB-ID 1427297-0.
  • Jüdische Volkszeitung, das Nachfolgeblatt der eingegangenen Selbst-Emancipation – Birnbaum arbeitete an ihr maßgeblich mit und war nominell Chefredakteur bis Oktober 1894;[3] die letzte Nr. der Jüdischen Volkszeitung erschien am 23. Januar 1895 unter der redaktionellen Leitung von Heinrich Loewe
  • 1896–1897 Herausgeber der Berliner Monatsschrift Zion.
  • 1906–1907: Neue Zeitung. Unabhängige jüdische Wochenschrift. Hrsg. von Nathan Birnbaum; erschien selbständig (mit Unterbrechungen) von September 1906 bis September 1907 in Wien und wurde dann mit der (allerdings zionistischen) Jüdischen Zeitung vereinigt; die kurzlebige Neue Zeitung verstand sich als Forum der um 1900 weitgehend assimilierten jüdischen Jugend, deren Gemeinschaftsgefühl erneuert werden sollte, sie plädierte für eine parteiübergreifende „nationale Wiedergeburt Israels“; ausführlich wandte sich das Blatt der zunehmenden Krise des Ostjudentums zu, um grundlegende sozialökonomische bzw. volkspädagogische Themen zu diskutieren.
  • September/Oktober 1908 Erscheinen der kurzlebigen (nur 6 Nummern) jiddisch-sprachigen Zeitschrift Dr. Birnboims Wochenblat.
  • Mai bis Juli 1910: In Czernowitz gibt Nathan Birnbaum die kurzlebige Halbmonatsschrift Das Volk heraus
  • April 1913 bis Juli 1914 Mitarbeit an der „alljüdischen“ Freistatt (Die Freistatt. Alljüdische Revue. Monatsschrift für jüdische Kultur und Politik. Hrsg. von Julius Kaufmann; Redaktion: Fritz Mordechai Kaufmann, Andreas F. Meyer) – laut Simon Dubnow galten „Kaufmann und seine Mitarbeiter (Nathan Birnbaum …) … bei den deutschen Juden als verschrobene Sonderlinge“.
  • (Hrsg.) Der Aufstieg. Eine jüdische Monatsschrift Verlag von Braunfeld & Eisen, Antwerpen, Berlin & Wien, 1930–1933 (oder: Verlag Aulim, Berlin und Wien). Einige Hefte in der Mediathek des Joods Historisch Museum in Amsterdam;[4] die „Aulim“ („die Aufsteigenden“) sollten nach Birnbaums Vorstellung eine jüdische Elite, eine Art jüdischer Orden innerhalb der Orthodoxie bilden.
  • (Hrsg.) Zeitschrift Der Ruf 1934–1937, ZDB-ID 1402966-2 (in den Niederlanden erscheinende Zeitung, später Monatsschrift; hier gewann Birnbaum u. a. Döblin und Fritz Rosenthal – den späteren Schalom Ben-Chorin – als Autoren).
  • Übersetzer: Dreibuch. Jüdische Geschichten von Sch. Gorelik, I. L. Perez, Scholem Alejchem. Wie soll man diese Geschichte lesen? Aus dem Jiddischen. Vorbemerkung von Max Brod. Jüdischer Verlag, Berlin 1916, DNB 579315193 (gilt laut DBN als 2. Auflage der Bücher: Shemaryahu Gorelik: Die liebe Provinz; I. L. Perez: Volkstümliche Geschichten; Scholem Alejchem: Die verlorene Schlacht.).

Literatur (Auswahl)

  • Vom Sinn des Judentums. Ein Sammelbuch zu Ehren Nathan Birnbaums. Hrsg. von A. E. Kaplan und Max Landau, Frankfurt a. M. 1925 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Birnbaum Nathan. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1957, S. 87.
  • Birnbaum, Nathan. In: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. Saur, München 1980, DNB 801115787, S. 66 f.; Unveränd. Nachdruck, 1999, DNB 955870380.
  • Desider Stern: Werke jüdischer Autoren deutscher Sprache. Eine Bio-Bibliographie. Buchausstellung der B’nai B’rith. 2., rev. u. bed. erw. Auflage. D. Stern, Wien 1969, DNB 1045425419, S. 81 – Biographie, Werke. Bis ca. 1910 unter Pseudonym. Diese Bücher, sowie weitere sind nicht im DDB-Opac. Andererseits fehlen hier im OPAC gelistete Werke. Die frühen Texte Birnbaums wieder im Nachdruck: Die jüdische Moderne. Frühe zionistische Schriften (= Juden zur Judenfrage. Band 2). Mit einem Vorwort von Henryk M. Broder. Ölbaum-Verlag, Augsburg 1989, ISBN 3-927217-05-0.
  • Solomon A. Birnbaum: Nathan Birnbaum. In: Leo Jung (Hrsg.): Men of the Spirit. Kymson Publ., New York 1964, OCLC 560197756.
  • Solomon A. Birnbaum: Nathan Birnbaum and National Autonomy. In: Josef Fraenkel (Hrsg.): The Jews of Austria. Essays on their life, history and destruction. Reihe: World Council of Jews from Austria Publications, Beiträge von Walter Pillich, Hilde Spiel, Martha Hofmann, Arieh Tartakower. Vallentine-Mitchell, London 1967; 2., unveränd. Auflage. 1970, ISBN 0-85303-000-6 (in dem Art. finden sich deutschsprachige Protokolle der „Nationalitäten-Konferenz“ in Wien 2005, von Vorträgen Birnbaums ebenda, ein Artikel aus Der Weg 1905, ein Referat vor der Berliner Zionistischen Vereinigung 1906 sowie ein Art. aus Ost und West 1906).
  • Joachim Doron: Jüdischer Nationalismus bei Nathan Birnbaum (1883–1897). Tel Aviv 1984 (übersetzter hebräischer Titel).
  • Joshua A. Fishman: Ideology, Society and Language. The Oddyssey of Nathan Birnbaum. Karoma Publ., Ann Arbor 1987.
  • Josef Fraenkel: Matthias Achers Kampf um die „Zionskrone“. Verlag Jüdische «Rundschau Maccabi» , Basel 1959, OCLC 469521443 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Angelika M. Hausenbichl: Nathan Birnbaum. Seine Bemühungen um das jüdische Theater und die jüdische Kultur. Ungedruckte Diplomarbeit, Universität Wien 2001 (onb.ac.at, obvsg.at).
  • Angelika M. Hausenbichl: Wirklich nur Politiker? In: David. Jüdische Kulturzeitschrift. 54 (09/2002).
  • Leo Herrmann: Nathan Birnbaum. Sein Werk und seine Wandlung. In: Ahron Elisasberg (Hrsg.): Die jüdische Gemeinschaft. Reden und Aufsätze über zeitgenössische Fragen des jüdischen Volkes. Jüdischer Verlag, Berlin 1914, urn:nbn:de:hebis:30-180014008041.
  • Michael Kühntopf-Gentz: Nathan Birnbaum. Biographie. Ungedruckte Dissertation, Universität Tübingen, Tübingen 1990, DNB 910487421.
  • Michael Kühntopf-Gentz: „Israel geht vor Zion.“ Nathan Birnbaum und die Palästinafrage. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte. 44, 1992, S. 118–139.
  • Michael Kühntopf: Nathan Birnbaums Einstellung(en) zum jüdischen Staat bzw. zum Staat der Juden – oder: Welche Farbe hat denn nun eigentlich ein Chamäleon? In: Samuel Salzborn (Hrsg.): Zionismus. Theorien des jüdischen Staates (= Staatsverständnisse. Band 76). Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2015, ISBN 978-3-8487-1699-9, S. 93–116, urn:nbn:de:101:1-201607182775.
  • Herbert J. Lerner: The Tshernovits Language Conference. A Milestone in Jewish Nationalist Thought. New York NY 1957, OCLC 56143593 (Masters Essay. Columbia University).
  • Jess Olson: Nathan Birnbaum and Jewish Modernity. Architect of Zionism, Yiddishism, and Orthodoxy. Stanford University Press, Stanford 2013.
  • M. Ravitch: צום יובל פון דער ערשטער יידישער שפראך־קאנפערענץ אין טשערנאוויץ Tsum Yoyvl fun der Ershter Yidisher Shprakh-Konferents in Tshernovits. 1908–1958 (= Steven Spielberg digital Yiddish library. Nr. 15957). Montrealer Komitet fun Yidishn Visnshaftlekhn Institut, Montreal 1958, OCLC 746561158 (jiddisch).
  • Carmen Reichert: Von Nathan Birnbaum zu Nosn Birnboym. Das Engagement eines Wiener Bürgers für die jiddische Sprache im Kontext der national-jüdischen Bewegung. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. 88, 2021, S. 240–260.
  • Max Wertheimer: Gottesvolk oder Gottesvölker. Eine Entgegnung auf Dr. Nathan Birnbaums Gottesvolk. R. Löwit, Wien/Berlin 1919, DNB 578320703 .
Commons: Nathan Birnbaum (Schriftsteller)  – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Biografien der Gründerväter des Zionismus. In: bpb.de. Bundeszentrale für politische Bildung, 28. März 2008, abgerufen am 20. Juni 2012 („Quelle: Auszug aus hagalil.com 17-04-08“).
  2. Das Substantiv „Zionismus“ erscheint bei Birnbaum erstmals in der Selbst-Emancipation. III, 4, vom 16. Mai 1890: „Neben Erwägungen wirtschaftlicher Natur haben auch solche national-politischer Natur den Zionismus hervorgerufen und gereift“ (Die Ziele der jüdisch-nationalen Bestrebungen. Eine Artikelserie. II. National-politischer Theil. S. 1). Siehe Michael Kühntopf-Gentz: Nathan Birnbaum. Tübingen 1990, S. 40.
  3. Vgl. Redaktionen Anmerkung. In: Jüdische Volkszeitung. 24. Oktober 1894, S. 1.
  4. Titelaufnahme. In: data.jck.nl. Jüdisches Historisches Museum Amsterdam, abgerufen am 6. Juli 2018.