Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast
vom 16.06.2022, aktuelle Version,

Schnulzenerlass

Der Schnulzenerlass war eine im Juli 1968 ergangene Anweisung des ORF-Generalintendanten Gerd Bacher an die Radiomacher des erst im Oktober 1967 gestarteten Senders Ö3, anstelle von deutschsprachigen „Schnulzen“ internationale Popmusik zu spielen. Nach einer Meldung der Tageszeitung Express forderte der autoritär auftretende Generalintendant[1] seine Radiomitarbeiter auf, dem musikalischen Zeitgeist Rechnung zu tragen:[2]

„In den letzten Monaten beginnt eine mir unerklärliche Schnulzeninvasion über Ö3 hereinzubrechen. Wann immer man Allroundprogramme in Ö3 aufdreht, säuselt einem ein germanischer Schwachsinniger in die Ohren. Da ich mein Ersuchen seit Monaten – leider vergeblich – an die diversen Ö3-Herren und Damen richte, würde ich nach meiner Rückkehr nicht mehr bitten, sondern entsprechende Konsequenzen ziehen.“

Gerd Bachers Machtwort, in dem er anwies, mehr „internationale Unterhaltungs- und Popmusik“ zu spielen,[3] hatte gravierende Konsequenzen. Das Programm des Jugendsenders Ö3 reduzierte drastisch die Quote deutschsprachiger Musik zugunsten von Musik angelsächsischen Ursprungs.[4] Die von Bacher im Schnulzenerlass geschmähten deutschsprachigen Schlager werden seitdem verstärkt in den (Bundesländer)Programmen von Österreich Regional (Ö2) gesendet – die Anweisung des Intendanten zementierte dadurch die programmatische Ausrichtung beider Sender.[5] Der damalige Ö3-Moderator André Heller beschrieb Bacher im Jahr 2008 als „begnadeten Ermutiger“, der sich durch den Schnulzenerlass bei der „Ent-Roy-Blackisierung der Jugendkultur zugunsten von Frank Zappa, den Rolling Stones und Led Zeppelin und der allgemeinen Durchlüftung als Verbündeter“ erwiesen habe.[6]

Haymo Pockberger sollte alsbald sonntagsmittäglich mit seiner satirischen Ö3-Sendung Das Schnulzodrom neue deutsche Schlager mit eigenen Reimen spöttisch kommentieren. Damit wurde er zu Anfang der 1970er-Jahre auch in Deutschland bekannt.[7]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Vgl. Der Niedergang des Patriarchats – Schnulzenerlass (Memento des Originals vom 18. August 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.harti-media.at.
  2. Express, 25. Juli 1968; zitiert nach Paulus Ebner und Karl Vocelka: Die zahme Revolution. ’68 und was davon blieb. Ueberreuter, Wien 1998, ISBN 3-8000-3679-7, Seite 93.
  3. Wolfgang Rumpf: Wolfgang Rumpf: Music in the Air: AFN, BFBS, Ö3, Radio Luxemburg und die RadioKultur in Deutschland. LIT, Münster 2007, ISBN 978-3-825-80329-2; S. 132 (books.google.de).
  4. Hitradio Ö3 – Geschichte (Memento vom 7. Mai 2011 im Internet Archive)
  5. „Die Kinder der Rundfunkreform“: Die Furche 39/07, 27. September 2007, Seite 23. Radio Wien weist allerdings mit einer Quote von 4,2 % heimischer Interpreten aktuell noch weniger als die Hälfte des Ö3-Anteils von 11,6 % auf (Quelle: Wiener Bezirkszeitung NR. 49/2009)
  6. Angelika Hager, Sebastian Hofer: Unsere 68er – Die gemütliche Revolution gegen Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit. Profil, 1. März 2008
  7. ORF OÖ: Radiolegende Haymo Pockberger gestorben