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Perutz, Max Ferdinand#

* 19. 5. 1914, Wien

† 6. 2. 2002, Cambridge


Chemiker und Molekularbiologe
Nobelpreis für Chemie, 1962


Max Perutz
Max Perutz
© M. Freund

Max Perutz wurde am 14. Mai 1914 in Wien als Sohn einer Familie von Textilindustriellen geboren.

Nach der Matura am Wiener Theresianum studierte er ab 1932 an der Universität Wien Chemie. Auf Anregung eines Professors wollte er in Cambridge dissertieren, weil ihn die biologischen Anwendungen der Chemie interessierten. Er verließ 1936 Österreich und wanderte nach England aus, wo er in Cambridge zu einer Forschergruppe im Cavendish Laboratory stieß.


Bei seinen Forschungen kam Perutz auf die Frage nach dem räumlichen Aufbau von Proteinen, die er zu seiner Lebensaufgabe machen sollte.


1946 erhielt er Forschungsstipendium der Imperial Chemical Industries (ICI) und von 1947 bis 1979 war er Universitätsprofessor in Cambridge.

1947 gründete er als Professor in Cambridge die Abteilung für Molekularbiologie, die er bis 1979 leitete.


In den Jahren 1953 bis 1960 gelang es ihm (zusammen mit dem Chemiker Sir J. C. Kendrew), die räumliche Struktur einer langen Reihe von Protein-Molekülen (besonders des Hämoglobins) mit Hilfe von gebeugten Röntgenstrahlen zu bestimmen.

Für diese Arbeit erhielt er 1962 gemeinsam mit John Cowdery Kendrew den Nobelpreis für Chemie.

Max Perutz, der seit 1943 englischer Staatsbürger war, starb am 6. Februar 2002 in Cambridge.


Auszeichnungen, Ehrungen (Aswahl):

  • 1962 Nobelpreis für Chemie
  • 1967 Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst
  • Ehrendoktorate mehrerer Universitäten, unter anderem Salzburg und Wien (1965)
  • 1971 Royal Medal der Royal Society
  • 1979 Copley Medaille
  • 1987 Mitglied des Ordens pour le merite
  • In Wien wurde die Bibliothek des Vienna Biocenters in Sankt Marx nach ihm benannt; auch die Max F. Perutz Laboratories, ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien, tragen seinen Namen.


Text aus dem Buch "Geistesblitze", Michael Freund, Springer Verlag, 1997#

Leben und Arbeit


Höchste Ehre im biomedizinischen Mekka

„Es kommt darauf an, wer mich fragt“, sagt Max Ferdinand Perutz zur Definition seiner Arbeit. „Wenn jemand gar nix weiß, dann sag’ ich, ich bin Naturwissenschafter. Wenn er sich ein bissel auskennt, sag’ ich, ich bin Chemiker. Wenn er wirklich etwas weiß, dann sag’ ich, ich bin Molekularbiologe.“

Oder Strukturbiologe. „Egal. Das sind lauter triviale Namen für das, was wir alle suchen, nämlich die Vorgänge des Lebens auf molekularer Basis zu erkennen und zu erklären.“

Darin war und ist Max Ferdinand Perutz einer der herausragenden Pioniere. Nicht nur der Nobelpreis 1962 belegt das, auch der kaum gebremste Elan, mit dem der seit 18 Jahren emeritierte Forscher in Cambridge arbeitet und an den Geschehnissen in seinem Gebiet Anteil nimmt.

Seine bahnbrechende Erforschung der Struktur des Blutfarbstoffs Hämoglobin leitete eine Fülle von Anwendungen ein und trug zum Ruf der englischen Universitätsstadt als eines der internationalen Zentren der biomedizinischen Wissenschaften bei.

„Es ist schwer zu sagen, ob ich vornehmlich aus wissenschaftlichen Gründen hierher kam oder um dem Schicksal, ein tschechischer Textilfabrikant zu werden, zu entgehen.“ Perutz wuchs in Wien auf und wurde zunächst darauf vorbereitet, die väterliche Firma zu übernehmen. „Im Theresianum habe ich gelernt, mit allen Leuten natürlich umzugehen, und mir jederlei Snobismus abgewöhnt. Denn dort waren Grafen und Fürsten, und die waren auch nicht klüger als alle anderen Leute.“

Aus den frühen Wiener Jahren kennt er Leo Perutz, den damals (und in den achtziger Jahren wieder) bekannten Schriftsteller und Cousin seines Vaters: „Ich kann mich nur noch erinnern, dass man sich mit ihm so gut über alles unterhalten konnte. Sonst leider an nix.“

Nach der Matura studierte er Chemie und ging 1936 als Dissertant an das berühmte Cavendish Laboratory nach Cambridge, wo er 1940 den Doktortitel erwarb. „Was mich beeindruckt hat: Hier war ein Ort, wo man große Entdeckungen machte. Ich habe enorm profitiert von Lehrern von einem wissenschaftlichen Kaliber, wie ich sie in Wien nie hätte haben können. Was mir gefehlt hat: erstens die Berge und zweitens die Mädeln. Ich war an lustige gemischte Gesellschaft gewöhnt, und Cambridge war damals fast ausschließlich männlich.“

Er lernte aber während des Krieges doch eine junge Deutsche namens Gisela Clara Peiser kennen, die bei der Society for the Protection of Science and Learning arbeitete (einer Organisation, die geflüchteten Wissenschaftern half) und seine Frau wurde. Nach dem Anschluss war dem Forscher jüdischer Abstammung die Rückkehr ins nationalsozialistische Österreich bereits unmöglich; ein Stipendium der Rockefeller-Stiftung ermöglichte seine Weiterarbeit und sein Doktorat. 1943 nahm Perutz die englische Staatsbürgerschaft an.

„In Cambridge lernte ich, dass alle chemischen Vorgänge in der lebenden Zelle von je spezifischen Enzymen beschleunigt werden, die aus Proteinen bestehen. Es sind Riesenmoleküle, die aus Hunderten oder Tausenden von Atomen zusammengesetzt sind, deren Strukturen und Mechanismen aber völlig unbekannt waren.“

Der große Experimentalphysiker Ernest Rutherford, der das Cavendish Laboratory leitete, starb 1937. „Es war ein Glück für mich, dass sein Nachfolger W. L. Bragg der Begründer der Röntgenanalyse war. Mit ihrer Hilfe konnten wir an der Entschlüsselung der komplexen Proteine arbeiten.“ Von Anfang an konzentrierte sich Perutz auf die Analyse des Hämoglobins, „ein Versuch, der allgemein als völlig wahnsinnig angesehen wurde, hatte man doch mit Hilfe der Kristallographie bisher nur einfachste Moleküle analysiert. In gewissem Sinn hatten die Leute Recht, denn ich brauchte 22 Jahre dazu. Aber das Resultat war die Mühe wert.“

Sein im Sommer 1997 verstorbener Kollege John Kendrew widmete sich ungefähr ebenso lang der Erforschung des in den Muskeln vorkommenden Farbstoffes Myoglobin. Beide Proteine nehmen Sauerstoff auf und geben ihn wieder ab. Wie sie dabei ihr Aussehen veränderten, konnte man mit der photographischen Aufzeichnung reflektierter Röntgenstrahlen feststellen – aber erst, nachdem die beiden Wissenschafter die hochkomplexen Moleküle mit schweren Gold- und Quecksilberatomen anreicherten.

1959 baute Perutz das erste dreidimensionale Hämoglobinmodell nach, 1962 teilte er sich mit Kendrew den Nobelpreis für Chemie – im selben Jahr, in dem Crick und Watson den ihren für die Entdeckung der DNA-Doppelhelix bekamen. (Kurz danach wurde er übrigens Ritter des Ordens des British Empire und schlug damit die Beatles um zwei Jahre.)

Ab 1947 war Perutz Mitglied des Medical Research Council; 1962 wurde dessen Laboratory of Molecular Biology eröffnet, eine frühe interdisziplinäre Forschungsstätte, die alle beteiligten Teildisziplinen unter einem Dach vereinte und den Ruf von Cambridge als biomedizinischem Mekka noch steigerte. Perutz wurde zum Vorsitzenden des Labor-Vorstandes gewählt. „Meine Rolle war, junge Talente herzulocken und hier zu halten. Anfangs waren wir 30, jetzt sind wir rund 250, wovon 100 vom staatlichen Medical Research Council angestellt werden.“

Das Labor platzt denn auch aus allen Nähten. Wir sitzen im kleinen, mit vielen Papieren und einigen Erinnerungsfotos ausgestatteten Büro von Max Ferdinand Perutz im dritten Stock (hinauf fährt er mit dem Lift, hinunter geht er zu Fuß). Er ist zart gebaut, hat aber kräftige Hände. Vor den Antworten denkt er nach und trinkt Tee, dann kommen sie präzise:

„Nach 1962 habe ich erstens viele Jahre damit verbracht, die Funktionsweise von Hämoglobin und anderen Proteinen zu erforschen. Das sind ja molekulare lebende Mechanismen, die je nach Tätigkeit ihre Struktur verändern.

Zweitens gibt es eine große Anzahl von Krankheiten, die auf genetisch bedingte Veränderungen des Hämoglobins zurückzuführen sind. Ich habe die molekulare Basis solcher Erbkrankheiten studiert.

Außerdem hat sich das Hämoglobin den physiologischen Bedürfnissen verschiedener Tierarten angepasst, und das hat es mir ermöglicht, die Evolution an einem Molekül zu studieren: Wodurch entsteht sie, wieviel Mutationen sind erforderlich, um die Funktion zu verändern und sich zum Beispiel an einen hoch fliegenden Vogel anzupassen usw. Das ist die dritte Seite meiner Arbeit."

Und es gibt noch mehr, etwa die Experimente, um neue Arzneimittel zu finden, die sich mit Hämoglobin verbinden; oder seine derzeitigen Forschungen zur Huntington Chorea Krankheit; oder das Paper über ,,the molecular mechanism of haemoglobin revisited“, das er gerade für eine amerikanische Fachzeitschrift fertiggestellt hat und das die langjährige Debatte über seine Thesen zusammenfasst.

„Oder da ist noch etwas: Die Königin gratuliert seit 1952 allen 100-Jährigen und allen, die seit 60 Jahren verheiratet sind. Ich habe mir die jährlichen Anzahlen geben lassen und bin draufgekommen, dass sie sich mit erstaunlicher Regelmäßigkeit alle zehn Jahre verdoppeln.“ Logarithmisch aufgetragen, ergeben sie also eine ansteigende Gerade – mit kurzen, historisch bedingten Einbrüchen und Hügeln. 1952 gab es nur 250 Hundertjährige, 1996 bereits 5000. Er hat sie nicht nur aufgezeichnet, sondern räsoniert auch darüber, dass die zwischen 1852 und 1896 Geborenen ohne Antibiotika und moderne Medizin ansteigend älter geworden sind – „offenbar eher eine Folge der Erhöhung des Lebensstandards“. Ob er nun sogar in der Bevölkerungsstatistik tätig sei? „Ja, Demograph bin ich auch noch“, antwortet er ungerührt, aber nicht ohne Ironie.

Vieles weitere wäre zu nennen aus dem Arbeitsalltag des übergreifend tätigen Biologen. Vielleicht eines noch: dass er die Zeit findet, für die angesehene New York Review of Books Kritiken zu schreiben. Erst im Februar 1997 rezensierte er eine Biografie der aus Wien stammenden Atomphysikerin Lise Meitner, ungewöhnlich plastisch und mit souveränem Wissen. Es ist nur folgerichtig, dass die Rockefeller University ihn zum diesjährigen Empfänger des Lewis Thomas Preises („Honoring the Scientist as Poet“) ausgewählt hat.

Max Ferdinand Perutz freut sich über jeden Tag, an dem er zu Fuß von zu Hause ins Labor gehen, arbeiten, etwas beitragen kann. Weiß er am Ende, was das ist: Glück? Er macht eine lange Pause, schenkt sich Tee nach, trinkt und gibt dann eine nur indirekte Antwort: „Wissen Sie, der Paul Ehrlich hat einmal gesagt, zur Forschung braucht man die vier Gs: Geduld. Geschick. Geld. Und Glück.“

Ein Rückblick von Max Ferdinand Perutz auf die Geschichte des Laboratory of Molecular Biology erschien in Molecular Medicine, Vol. 2, Nr. 6, November 1996. Seine Rezensionen von Biografien von Fritz Haber, Clara Immerwahr, Lise Meitner, Louis Pasteur und anderen erscheinen unregelmäßig in der „New York Review of Books“.

Der biografische Text wurde großteils dem Buch „Geistesblitze“ (1997) von Michael Freund entnommen und dem Austria Forum freundlicherweise seitens Springer Verlag zur Verfügung gestellt. (www.springer.at)

Von 1954 bis 1968 war Perutz überdies am Davy Faraday Labor der Royal Institution in London tätig, 1973-1979 als Professor für Physiologie. 1963-1969 war er Vorsitzender der Europäischen Organisation für Molekularbiologie (EMBO). Max Perutz starb 2002 an einem Merkel-Zell-Karzinom, einer seltenen Hautkrebserkrankung.

Werke (Auswahl)#

  • Is Science Necessary?, 1989
  • Mechanisms of Cooperativity and Allosteric Regulation in Proteins, 1990
  • Protein Structure, 1992
  • I Wish I’d Made You Angry Earlier, 1999 (Ich hätte Sie schon früher ärgern sollen. Aufsätze über Wissenschaft, Wissenschaftler und die Menschheit, 1999)

Weiterführendes#

Quellen#


Redaktion: J. Sallachner