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Karl Glaubauf, Franz Mrskos u.a.: 125 Jahre Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie für Herzogenburg, Festschrift, Euro-15, Herausgeber: Sozialdemokratische Partei Herzogenburg, Herzogenburg 2013#

125 Jahre SPÖ: Gründungsparteitag 1888 in Hainfeld#

Die Sozialdemokratische Partei Österreichs wurde am Parteitag vom 30. Dezember des Jahres 1888 bis zum 1. Jänner 1889, also vor 125 Jahren im Niederösterreichischen Hainfeld gegründet. In Wien konnte der Gründungsparteitag wegen des dort herrschenden Versammlungsverbotes nicht abgehalten werden.

Die Autoren, der Herzogenburger Stadtrat Franz Mrskos und der Historiker Dr. Karl Glaubauf nehmen dieses Jubiläum zum Anlass, um die Entwicklung der Arbeiterbewegung am Beispiel der Arbeiterstadt Herzogenburg darzustellen.

Dies lag nahe, da das 851 gegründete Herzogenburg, die ehemalige Burg und Stadt der Herzoge an der Grenze des damaligen Europas, in vielfacher Hinsicht eine politikwissenschaftliche Paradigmenstadt ist, in der sich die politische Entwicklung Europas fokussiert widerspiegelt.

800 Jahre lang war die Stadt geistliches Herrschaftsgebiet zweier (!) Klöster, nämlich der Stifte Formbach und Herzogenburg mit Leibeigenschaft, Robot- und Zehentpflicht und vielen anderen Unterdrückungsmaßnahmen des Feudalsystems. Diese schlugen umso schwerer zu Buche , als Herzogenburg auch einer von lediglich siebzehn landesfürstlichen Orten im Erz-Herzogtum Österreich war, wie der Erzherzogshut am Turm der Stiftskirche noch heute beweist.

"Wiener Gesera" in Herzogenburg#

Daher musste die Bevölkerung auch die grausame Judenverfolgung des schwer verschuldeten Habsburger-Herzogs Albrechts V. in den Jahren 1421/22 über sich ergehen lassen. Es handelte sich dabei um die sogenannte "Wiener Gesera", die dem Holocaust nur quantitativ aber kaum qualitativ nachstand, von der pseudoreligiösen Motivation abgesehen.

"Die Hebräerhunde sind zu vertilgen durch den prannt", lautete deren Motto, das noch heute an einem Haus im Wiener Ersten Bezirk zu lesen ist, da die Stadt Wien dankenswerterweise die Tafel erhalten hat. Die jüdische Bevölkerung Herzogenburgs wurde damals fast zur Gänze ausgerottet.

Europäische Revolution 1848#

Einschneidende politisch Veränderungen brachte erst die gesamteuropäische Revolution von 1848, die das politsche System der geistlichen und weltlichen Grundherrschaften zerschlug und die Territorien in Gebietskörperschaften, also Gemeinden, Märkte und Städte verwandelte mit erstmals gewählten Gemeinderäten und Bürgermeistern. Die Geburtsstunde der kommunalen Demokratie in Österreich hatte damit geschlagen, übrigens untrennbar mit dem Namen Hans Kudlich verbunden.

Da das Feudalsystem schon zu einer Massenauswanderung gerade der jungen Leute aus Europa in die USA geführt hatte, wird man schon aus diesem Grund und vielen anderen seiner Zerschlagung durch die revolution sehr positiv gegenüberstehen , wenn es auch vor allem für die Kirche viele wirtschaftliche Nachteile brachte, etwa weil jetzt die Arbeitskräfte bezahlt werden mussten.

Das Stift Herzogenburg beispielsweise musste sein teuer ausgebautes Gut Primmersdorf mit der prunkvollen weitläufigen Schlossanlage verkaufen, andere Klöster noch beträchtlich mehr. Von einer durch die Revolution erfolgten Verarmung der Kirche kann aber konnte aber keine Rede sein. Schon weildie befreiten Bauern vierzig Jahre lang hohe Abschlagszahlungen an die ehemaligen Grundherren zahlen mussten und mit einer Grund- und Erbschaftsteuer belegt wurden.

Somit befanden sie sich überwiegend in einer ökonomisch völlig aussichtslosen Lage, denn das Imperium hatte nach der Niederwerfung der Revolution unter Kaiser Franz Josef brutal zurückgeschlagen, was allerdings die Enststehung der Arbeiterbewegung enorm begünstigte, denn die befreiten Bauern waren nun auf Erwerbstätigkeiten angewiesen, da sie ja von ihren überwiegend kleinen Betriebsflächen keineswegs leben konnten.

Somit stand nun auch in Niederösterreich ein enormes Arbeitskräftepotential für die Industrialisierung zur Verfügung wie es bisher nur in den Städten der Fall war, deren Bürger ja immer frei und niemals Leibeigene gewesen waren ("Stadtluft macht frei").

Daher ging die Revolution 1848 auch von der Stadtbevölkerung aus, da die überwiegend unfreien Landbewohner keinerlei Möglichkeiten für revolutionäre Massnahmen hatten und in einem auf durch die Grundherrschaften verursachten Bildungsdefizite zurückzuführenden politischen egoistischen Denkposition auch nach ihrer Befreiung die Revolution nicht weiter unterstützten, was sie rasch bereuen sollten.

Denn sie waren nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 drakonischen Gegenmassnahmen ausgesetzt, wie die schon erwähnten Abschlagszahlungen und die neuen Steuern zeigen.

Die spätere Arbeiterstadt Herzogenburg - die Stadterhebung der bisherigen Marktgemeinde erfolgte infolge der industriellen Bedeutung der Grundmann-Werke 1927, also mitten in der Weltwirtschaftskrise (!) - wurde im wesentlichen durch den Schlosser Carl Grundmann geschaffen so wie die Arbeiterstadt Berndorf 1838 durch den Schlosser Krupp entstand.

Carl Grundmann: Preußischer Migrant - Retter der Donaumonarchie - Pensionist und Fabrikant in Herzogenburg#

Carl Grundmann war als Schlosser-Handwerksbursche auf der damals obligatorischen Ausbildungs - Wanderschaft aus Danzig nach Wien gekommen. Hier wurde er 1838 erster deutschsprachiger Lokführer der Donaumonarchie.

Bis dahin hatte Baron Rothschild, der Besitzer der Kaiser-Ferdinands- Nordbahn seine teuren Stephenson-Loks nur Engländern anvertraut, Grundmann gelang es aber, sich für diese Tätigkeit zu qualifizieren, was bisher noch kein Österreicher geschafft hatte.

Als Lokführer sollte Grundmann dann am 7. Oktober 1848 zum Retter des Wiener Hofes und damit der Monarchie werden. Die Kämpfe hatten schon die Hofburg erreicht, Kriegsminister Latour wurde erhängt ("laternisiert" wie man damals sagte, weil Laternenmasten für die Hinrichtungen verwendet wurden), auch im Stephansdom wurde schon geschossen, als Carl Grundmann in einer nächtlichen,extrem gefährlichen Fahrt den Hofzug mit Kaiser Ferdinand und seinem Nachfolger Franz Joseph sicher durch das von den Kämpfen erschütterte Land nach Olmütz] brachte.

Mit der dafür erhaltenen Belohnung konnte dann als er als Lokführer in Pension ging, ab 1874 die größte Schließwarenfabrik der Monarchie errichten. Das Unternehmen war derartig erfolgreich, dass ein Sohn Grundmanns in Hainfeld eine weitere Metallfabrik 1894 eröffnen konnte, die ebenfalls zur Spitzenindustrie der Donau-Monarchie zählte.

Gemeinsam mit Krupp in Berndorf hatte damit Grundmann aber auch die Voraussetzungen für die Entstehung der Arbeiterbewegung in Niederösterreich geschaffen, die sich dann 1888 nach langjährigen Disukussionen am Hainfelder Gründungsparteitag als Sozialdemokratische Partei politisch unter der Führung Victor Adlers organisierte.

In Herzogenburg machte sie aber infolge der guten Arbeitsbedingungen in den Grundmann-Werken aber nur sehr langsam Fortschritte, erst 1904 konnte ein Gemeinderatsmandat erreicht werden. Das aber auch nur, weil die Grundmann-Arbeiter derartig gut verdienten, dass sie trotz des "Zensus-Wahlrechts" wahlberechtigt waren. In ganz Österreich waren damals übrigens nur sieben (!) Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt.

Das allgemeine Wahlrecht für Männer konnte durch die Sozialdemokraten nämlich erst 1907, jenes für Frauen erst 1919 erkämpft werden.

1934: Keine Kämpfe in Herzogenburg#

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Die Autoren lassen die Entwicklung der Arbeiter - Bewegung nicht nur minutiös faktographisch dokumentiert sondern eingebettet in den gesamtösterreichischen politischen Kontext auf hohem analytischen und interpretativen Niveau Revue passieren. Damit wird weit über die Parteigeschichte hinaus ein wesentlicher Beitrag zur politischen Bildung am Beispiel Herzogenburgs geleistet.

So fanden etwa die Kämpfe des Jahres 1934 hier nicht statt, die Heimwehr schoss absichtlich über das Volksheim der Arbeiter, der Herzogenburger Schutzbund nahm das Gefecht nicht an. Die Militarisierung ideologischer Gegensätze wurde hier strikt abgelehnt, man folgte den Parteibefehlen aus Wien nur "pro forma", was schon schlimm genug war.

Im heutigen Herzogenburger Stadtteil Oberndorf konnte sich trotz Parteiverbots auch Josef Preisegger als einziger sozialdemokratischer Bürgermeister des Ständestaats halten. Somit bietet das Buch neben der neuen Biographie Carl Grundmanns auch viele neue bisher in der Fachliteratur nicht zu findende Fakten mit einer weit über den lokalen Bezug hinaus reichenden Relevanz für die politische Bildung.

Das Beipiel beweist, dass die Katastrophe des Jahres 1934 nicht unausweichlich war, sondern durchaus auch anders verlaufen hätte können. Somit ist auch für 1934 Herzogenburg eine ausgesprochene Paradigmenstadt, auch im Sinne der Möglichkeit eines besonderen selbständigen politischen "Crisis - Managements".

Wiederaufbau#

Richtig Fuß fassen konnte die Sozialdemokratie in Herzogenburg erst als nach elfjährigem Parteiverbot von 1934 bis 1945 bei den Gemeinderatswahlen 1951 mit 14 von 25 erreichten Mandaten ein überraschender Wahlerfolg gelang. Trotz des Drucks der sowjetischen Besatzungsmacht mit enormen Lobbying für die kommunistische Partei hatten Herzogenburger entschieden, dass die kommunalpolitische Betriebssystem jenes der Demokratie sein sollte auf dem dann die Programme der politischen Parteien für den Wiederaufbau laufen konnten.

Unter sozialdemokratischer Führung und mit einer sehr konstruktiv arbeitenden Opposition gelang es, die durch den Krieg schwerstens in Mitleidenschaft - im Traisental gind der Zweite Weltkrieg zu Ende - gezogene Stadt bis 1971 zum modernen Herzogenburg auszubauen. Mit der Eingemeindung zahlreicher Nachbarortschaften war dieser Prozess dann 1971 abgeschlossen, der Zustrom von Migranten türkischer Provenienz setzte ein. Die Bevölkerungsverluste des Zweiten Weltkriegs waren allerdings durch die Herzogenburger selbst rasch kompensiert worden.

Die Wienerin Dr. Minna Nemec, als Nichte des späteren Innenministers Josef Afritsch Angehörige des "Roten Adels" , sorgte in den ersten Nachkriegsjahren als einzige Ärztin der Stadt dafür, dass die Bevölkerung und vor allem auch die Kinder die schwere Zeit überleben konnten. Sie blieb bis zu ihrer schweren Parkinson - Erkrankung 1955 in Herzogenburg, obwohl sie in Wien eine Traumkarriere hätte machen können.

Denn der Ärztemangel in der Bundeshauptstadt war kriegsbedingt gerade in den Spitälern gravierend. Über ihre enormen medizinischen Fahigkeiten hinaus war damit sie ein Paradebeispiel ärztlicher Ethik: Dr. med. Wilhelmine Nemec blieb dort, wo sie am dringendsten gebraucht wurde, nämlich in Herzogenburg, in dem sie zunächst mit ihren drei Kindern lediglich Schutz vor den Bomben auf Wien gesucht hatte.

Der Begriff "Wiener medizinische Schule" umfasst eben nicht nur höchstes fachliches Können sondern eben auch ausgeprägte humanistische ethische Denkpositionen.

Somit steht der Name Dr. Med. Wilhelmine Nemec als Chiffre für alle Ärzte und ihre Mitarbeiterinnen, die in der schweren Besatungszeit nach einem mörderischen noch dazu verlorenen Krieg das Überleben der österreichischen Bevölkerung, insbesondere der Kinder,unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsmacht erst ermöglichten, deren Leistungen aber bisher unverständlicherweise kaum gewürdigt wurden, obwohl eine entsprechende Publikation der niederösterreichischen Ärztekammer ein absolutes Desiderat wäre, da gerade in der sowjetischen Besatzungszone die Leistungen der Mediziner wesentlich schwerer und gefährlicher zu erbringen waren als etwa in der amerikanischen....

Die Autoren schließen mit einer Dokumentation des "IST-Standes" der sozialdemokratisch regierten Stadt. Jeder an übergeordneten politischen Zusammenhängen über die lokalen Bezüge hinaus Interessierte, wird mit beträchtlichem Informationsgewinn zu der mit bisher unveröffentlichten Bildern reichhaltigst illustrierten Studie greifen können.

Die Lektüre setzt allerdings einen gewissen Standard an politischer Bildung voraus, ist also keine Jubiläums - Massenpublikation sondern wendet sich an ein politisch gebildetes und interessiertes Publikum als Zielgruppe.

Der schwere Weg Herzogenburgs von der fast tausendjährigen Grundherrschaft der Stifte und des Landesfürsten zur modernen demokratischen Arbeiter- und Industriestadtstadt ist allerdings paradigmatisch für die Entwicklung im gesamten nicht urbanen Österreich und stellt somit weit über den lokalen Bezug hinaus ein wichtiges Kapitel der österreichischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte am Beispiel Herzogenburgs dar.

Literatur:

Victor Adler
Schüttkasten Primmersdorf
Hainfelder Gründungsparteitag 1888
Herzogenburg