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!!!Österreichs Kropfforschung begann in der Steiermark 

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''Von __[Bernd Mader|Infos_zum_AF/Editorial_Board/Mader,_Professor_Mag._Dr_Bernd_(Pharmazie,_Volkskunde)]__ mit freundlicher Genehmigung aus Klinoptikum, Ausgabe 1/2010''



!Einleitung
Der Kropf galt früher in der Steiermark
beinahe als ein zweites „Landeswappen“.
Vielen Österreichern und vor allem
auch vielen unserer steirischen Landsleute
dürfte es nicht bekannt sein, dass die Forschung
nach den Ursachen eines Kropfes innerhalb der
österreichisch-ungarischen Monarchie gerade in
der Steiermark ihren Anfang nahm.

Es war der
spätere Nobelpreisträger Univ. Prof. Dr. Julius
Wagner-Jauregg (1857-1940), der mit seinen
bahnbrechenden Arbeiten nach den Ursachen und
den Heilungsmöglichkeiten für diese Krankheit
im Gebiet von Zeltweg begann und damit ein
trauriges Kapitel der damaligen sozialen und
medizinischen Verhältnisse, von welchem vor
allem die ländlichen Bevölkerung betroffen war,
aufgriff. Ein Grund hiefür war, dass besonders die
Gegend des „Pölshalses“ nordwestlich von Zeltweg
als bekannte Kropfgegend galt.

Als Ende des 19. Jahrhunderts Wagner-Jauregg
sich damit zu beschäftigen begann, waren die
Gemeindevorsteher am Lande von der Obrigkeit
angehalten worden, über die geradezu stigmatisierten
„Kretins“ Verzeichnisse zu führen. Damit
waren nicht nur die Gemeindevorsteher vollkommen
überfordert, auch den damit konfrontierten
Ärzten war es meist nur schwer möglich, innerhalb
des komplexen Krankheitsbildes Unterscheidungen
zu treffen, da sie damals noch nicht die
eigentliche Ursache der Erkrankung kannten.

!Kropf und Kretinismus

Experimentell beschäftigte sich Wagner-Jauregg
schon seit dem Jahre 1884 intensiv mit der Funktion
der Schilddrüse, indem er Schilddrüsen von
Tieren zu exstipieren (entfernen) begann. Von
1889 bis 1893 leitete er die Psychiatrische Klinik
in Graz und die Themen „Kropf“ und „Kretinismus“
ließen ihn nicht los. Aus Erfahrung wusste
Wagner-Jauregg, dass die „Kretins“ nicht zu ihm
in die Klinik kommen würden und so beschloss
er, selbst zu den „Kretins“ zu gehen. Von Graz
aus war der Gerichtsbezirk Frohnleiten leicht erreichbar.

Den geltenden Sanitätsgesetzen zufolge
musste jeder Ortsvorsteher ein Namensverzeichnis
aller in häuslicher Pflege befindlichen Geisteskranken
und Schwachsinnigen, „Kretins“ und
Taubstummen seiner Gemeinde führen.

Unter Zuhilfenahme dieser Verzeichnisse und mit
der Erlaubnis der Statthalterei ausgestattet, verwendete
Wagner-Jauregg die Sommermonate des
Jahres 1892 dazu, an jedem Donnerstagnachmittag
und den ganzen Sonntag die Höfe mit Bresthaften
aufzusuchen und diese zu untersuchen. In einem
größeren Vortrag vor dem „Verein der Ärzte in
Steiermark“ am 7. März 1893 in Graz berichtete
er über seine Beobachtungen.

In Fortsetzung dieser Aktion veranlasste er mit
Unterstützung des Landesschulrates eine Zählung
aller mit derartigen Gebrechen behafteten Schüler
der Steiermark und jener, die aus diesem Grunde
vom Schulbesuch befreit waren. Erschwert wurden
diese Untersuchungen in der Steiermark, seit
Wagner-Jauregg 1893 zum Professor für Psychiatrie
an der Universität Wien und zum Direktor der
Wiener Psychiatrischen Klinik ernannt worden
war.

!Hilfe durch die Presse

Am 26. Mai 1900 stellte er in einer Sitzung des
Obersten Sanitätsrates einen Initiativantrag, einschlägige
Untersuchungen in größerem Ausmaß
durchzuführen. Aber die Bürokratie setzte sich
nur sehr langsam in Bewegung. Da kam ihm die
Presse zu Hilfe, besonders die der Steiermark,
die von der Aktion erfahren hatte.


[{Image src='Friedl.jpg' caption='Brücklwirt Friedl mit seinen Söhnen, um 1910.\\ Foto Dr. G. Peter Obersteiner, Steiermärkisches Landesarchiv' width='280' class='image_left' alt='Friedl.jpg' height='364'}]

Aus Judenburg
meldete sich ein dort ansässiger Uhrmacher, der
drei kretinöse Kinder hatte und bereit war, diese
von Wagner-Jauregg mit Schilddrüsentabletten
der Firma Burroughs Wellcome & Co. in London
behandeln zu lassen.

Am 8. Dezember 1900 reiste Wagner-Jauregg nach
Judenburg, untersuchte dessen Kinder und versorgte
sie mit Schilddrüsentabletten. Er versprach
alle drei Monate wieder zu kommen, um die Behandlung
zu überwachen. Den Vater bat er nach
weiteren Kretinkindern Ausschau zu halten. Damit
begann eine Aktion, die Wagner-Jauregg bis zum
Beginn des Weltkrieges
fortsetzte.

Bei der Behandlung
der Kinder
des Uhrmachers,
der ein gebürtiger
Sachse war, hatte
er Erfolg, der sich
herumsprach. Leider
zeigten aber
gerade die Ärzte
in Judenburg kein
Interesse an diesen
Untersuchungen,
und so wollte
Wagner-Jauregg
die Aktion auf
die Umgebung
von Judenburg,
die Orte Fohnsdorf,
Zeltweg,
Weissenkirchen
und Knittelfeld
ausdehnen. Er
wandte sich dort
vorerst an die
Schulleiter, die
ja infolge ihres
Berufes „Kretins“
im schulpflichtigen
Alter kennen
mussten.

!10.000 Schilddrüsentabletten

Das stachelte den fachlichen Ehrgeiz der Ärzte an, die
sich nun selbst dafür zu interessieren begannen. Es
waren die beiden Werksärzte Dr. Kortschak in Fohnsdorf
und Dr. Roman Diviak in Zeltweg, sowie der
praktische Arzt Dr. Ehrlich in Knittelfeld, die nun mit
Wagner-Jauregg zusammenarbeiteten. Da in Weissenkirchen
damals kein Arzt ansässig war, half ihm
dort der Schulleiter. Mit Feuereifer unterstützte ihn
besonders Dr. Diviak, der ihn auch mit dem Direktor
des Zeltweger Walzwerkes bekannt machte. Dieser
ermunterte Arbeiter mit kretinösen Kindern, diese
regelmäßig drei- bis viermal jährlich untersuchen zu
lassen. Für den Kampf gegen den Kretinismus wurden
Wagner-Jauregg 10.000 Tabletten von der schon
genannten Londoner Firma kostenlos zur Verfügung
gestellt.

Wagner-Jauregg
interessierte vor
allem die Frage,
wie es überhaupt
zur Entstehung von
endemischem Kretinismus
kam.

Die
meisten ihm bisher
vorgeführten „Kretins“
hatten diese
Krankheit bereits
in einem „fertigen“
Zustand. War Kretinismus
eine angeborene
oder eine
erst extrauterin
erworbene Krankheit.
Weiters stellte
er sich die Frage,
in welchem Alter
und an welchen
Symptomen Kretinismus
frühestens
zu erkennen sei.

So begannen
Wagner-Jauregg
und Diviak im
Herbst 1910 sämtlichen
Neugeborenen
eines Ortes, an
dem endemischer
Kretinismus häufig vorkam, zu untersuchen und
ihre Entwicklung durch einige Zeit zu verfolgen.

[{Image src='Wagner-Jauregg.jpg' caption='Denkmal vor den neuen Kliniken in Wien.\\Foto: Dr. W. Regal, Wien' width='280' class='image_right' alt='Wagner-Jauregg.jpg' height='310'}]

Als ein geeigneter Ort bot sich die Gemeinde Zeltweg
an. An diesem Orte wurden gelegentlich von
Untersuchungen im Laufe einiger Jahre weit mehr
als 100 Kinder verschiedenen Alters vorgestellt, die
an schwereren und leichteren Formen von Kretinismus
litten. Wagner-Jauregg und die Ärzte strebten
nun an, zu gewissen Terminen sämtliche in der
Gemeinde Zeltweg zur Welt gekommenen Kinder
zu untersuchen
und diese Kinder durch neuerliche
Untersuchung bei weiteren Terminen in ihrer Entwicklung
zu verfolgen, bis sie ein gewisses Maß von
Entwicklung erreicht wurde.


!Großes Interesse an den Untersuchungen


Das Interesse der Mütter in Zeltweg und Umgebung
war dafür so groß, dass statt der angestrebten
100 schließlich 142 Kinder zur Untersuchung
kamen und mit Tabletten behandelt wurden. Die
Untersuchungen dauerten bis zum Jahr 1914. Das
Resümee, das die Ärzte nach vierjähriger Untersuchung
an Zeltweger Kindern zogen, lautete: „Wir
glauben, aus unseren Fällen den Schluss ziehen zu
können, dass die Diagnose des endemischen Kretinismus
in vielen Fällen schon in einem frühen
Lebensalter möglich ist, besonders in den Fällen
von angeborenem Kretinismus.“

Wagner-Jaureggs erfolgreiche Bemühungen sprachen
sich herum. Der damalige Bezirkshauptmann
von Judenburg, Dr. Rudolf Graf Meran, wandte
sich an den steirischen Statthalter Graf Clary von
Aldringen, der veranlasste, dass auch in anderen
Bezirken der Obersteiermark eine derartige Aktion
durchgeführt wurde; sie ist mit Ausbruch des Ersten
Weltkriegs eingestellt worden.

Wagner-Jauregg erinnerte sich offenbar gern an
die Zeit seiner Feldforschung in der Steiermark.
Immer wieder soll er in seiner Wiener Vorlesung
nachfolgende Anekdote erzählt haben: Im Rahmen
seine Kretinismusforschungen sei er in der Umgebung von Frohnleiten von Bauernhof zu Bauernhof
gewandert. Als er einmal vergebens versuchte das
Gatter eines Zauns zu öffnen, habe ihm von der anderen
Seite des Zauns ein Mann, mit einem „echten
steirischen“ Kropf behaftet, schon längere Zeit
zugeschaut. Plötzlich sei dieser auf ihn zugegangen
und habe dem Professor angesprochen: „Du a
bisserl a Gogger, Du!“ Und mit einem schnellen
Griff hatte er das Gatter geöffnet.

!Quellen
* Klinoptikum, Ausgabe 1/2010

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%%small 
Redaktion: B. Mader
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[{Metadata Suchbegriff='Kretinismus '}]