Mühlebach Von der „Zwingherrschaft“ zur „Republik“ #
Mit diesem reißerischen Titel nach Werbemanier soll nicht mehr oder weniger gesagt sein, wie wenn es hieße: Von der Vergangenheit zur Gegenwart. Was uns Armin Diem in seiner Dichtung von der Zwingherrschaft erzählt, kann aus keiner Urkunde geschlossen werden.[1] Und die Selbständigkeit und Urtümlichkeit der Mühlebacher kann nicht gut von jemandem nachgeahmt werden. Dazwischen liegen Jahrhunderte mit viel Freud und Leid, wovon niemand etwas weiß und worüber niemand schreibt.
Unwillkürlich stellt man einen Vergleich mit dem Oberdorf an, wo auch eine Siedlung auf dem Schuttfächer liegt und wo gemeinsame Felder mit dem darunter liegenden, ebenen Dorf bewirtschaftet wurden. Man kann schon denken, dass die Natur den Mühlebacher anders geformt hat: Vom Oberdorf führen sanfte Hügel zur Schwende, bei Mühlebach aber führen steile, dunkle Wälder zum Staufen hinauf und nahe im Süden steht der breitschultrige Bergklotz, an dessen Wand kaum ein Sonnenstrahl gelangt. Wenn man meint, in Mühlebach sei es im Winter um einen „Schopen“ kälter, ist das nicht übertrieben. Im Sommer aber mangelt es bei gutem Wetter an der Sonneneinstrahlung nicht. Das ehemalige Rebgelände ist nur weniger südwärts gerichtet, als etwa im Klotzacker, aber unter der Halde, im Pfeiferloch und auf Unterbürgle standen die Reben in Reih und Glied. Mit den jetzigen Keltermethoden gäbe es dort gewiss einen guten Tropfen. Ein Schuttfächer weist gewöhnlich eine regelmäßige Neigung auf. In unserem Fall lassen die steileren Flanken gegen den Talgrund auf zusätzliche glaziale Einwirkung schließen.
Der Name Mühlebach, 1318 in der langatmigen Sigberger Urkunde erstmals zu lesen, weist auf eine Mühle hin und auf einen Bach, der diese betreibt.[2] Im Oberdorf haben wir nach späteren Nennungen ein Mühletal, das man jetzt Eulental nennt und in Haselstauden, mehr volkstümlich, ein Mühleloch. Der Bach, der durch Mühlebach fließt, heißt nirgends mehr Mühlebach. Oben ist es der Tobelbach, an den einstigen Werken vorbei der Sägebach, anschließend der Küferbach und schließlich gegen das Wallenmahd zu das Bachmähdle. Hier hat das Mähdle, durch das der Bach fließ, dem Bach selbst einen neuen Namen verliehen.[3]
An der Küferbachbrücke, wo wahrscheinlich die namengebende Mühle stand, war zu Menschengedenken eine Küferei, beim Austritt ins Rheintal stand ein Lohestampf und darunter die Seppler-Mühle, wo man im letzten Krieg noch das eigene Mehl zurückbekam. Es war die letzte Anlage dieser Art in der Stadt mit einem gewaltigen Wasserrad und die Mittel für deren Erhaltung wären bei gutem Willen erschwinglich gewesen.[4] Nun können wir in der Ausstellung des Stadtmuseums täglich die Lindauer Urkunde vom Gallustag 1318 lesen, mit der Johann von Sigberg für sich und seine Angehörigen das Gut Mülibach an Ulrich I. von Ems verkauft.[5] Wir wissen nicht, aus welchem Anlass die hohen Herren Zeugen allesamt auf der Bodenseeinsel zusammengekommen sind. Außer dem Grafen Rudolf von Werdenberg waren alles Dienstmannen im Rheintal und Walgau.
Wenn man nach Rang und Namen gesiegelt hat, war die Reihe zuerst am Grafen, ohne dass man Ursache hätte, mehr hineinzuinterpretieren, etwa einen weiteren Umfang seines Reichshofs Lustenau.[6] Kaufsgegenstand sind Äcker, Wiesen, Holz, Feld, Wasser, Leut und Gut. Zu späteren Zeiten hat man auch Unbekanntes, etwa Erz oder Heilquellen sicherheitshalber als Vertragsgegenstand in Urkunden eingeschlossen. Die Grenzen des Guts aber stehen nirgends, wohl weil sie auch gar nicht leicht zu beschreiben waren, lagen doch Teile davon im Bregenzerwald. Nur an der Kaufsumme von 250 Mark Silber kann die Bedeutung abgelesen werden. Die Sigberger sind ein Vorarlberger Dienstmannengeschlecht über das und über deren Stammburg bei Göfis einiges geschrieben steht.[7]
Da in späteren Urbaren der Emser und in der sogenannten Emser Chronik von Georg Schleh ein Burgstall zu Mühlebach genannt ist, wird in der Geschichtsschreibung davon ausgegangen, dass schon 1318 eine Burg Mittelpunkt des Gutes Mühlebach war. Wer sie später bewohnt hat, weiß niemand und selbst eine Zerstörung durch die Appenzeller war keine Zeile wert. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass alle weiteren Quellen Einkünfteverzeichnisse sind, angefangen von Ulrich dem Reichen bis zum Grafen Kaspar und für diese hat eine leere Burg oder Ruine nichts gebracht. Mit Ausnahme von Schleh findet sie sich nur in Anrainer- und Richtungsangaben.[8] Nach dem plötzlichen Ableben von Dr. Paul Stroh um 1955 haben sich einige Interessierte zusammengesetzt, um die weitere Lokalisierung der Gebäude in Dornbirn retrograd zu bewerkstelligen. Mir ist damals das Mühlebach zugefallen und aufgrund des Katasters von 1857 konnten mehr oder weniger alle Häuser wenigstens bis zum ersten Steuerbuch von 1794 besitzmäßig bezeichnet werden. Mit Glück gelang auch eine Lokalisierung aus der sogenannten Spezifikation 1768. Dabei ist Mühlebach kein problemloses Viertel und die Besitzkontinuität ließ mehr als in Zentren zu wünschen übrig. Manch einer hat kurzerhand sein Nachbarhaus gekauft und der Umzug war, als die Möbel noch das waren, was sie heißen, nämlich „mobil“, mehrmals innert einer Ehe denkbar.
Im Zusammenhang mit der 200-Jahr-Feier des Loskaufs von Ems hat Josef Zehrer den Versuch unternommen, aufgrund der Urbare der Emser aus dem 16. und 17. Jh. Lokalisierungen des Emser Besitzes vorzunehmen.[9] Ein solches Unterfangen ist in einem regelmäßigen alemannischen Ort, wie Lauterach, Dornbirn-Niederdorf oder Hatlerdorf eine schwere Last, in einer unregelmäßigen Schuttfächersiedlung aber noch viel schwerer. Um 1600 standen in Mühlebach etwa 30 Häuser. Im Leibeigenenbeschrieb aus dieser Zeit stehen 17 Familien, vorab Hämmerle, dann aber auch Diem, Dreher, Hefel, Thurnher, Scholl und Wetzel.[10] Wenn man an verschiedenen Stellen liest, dass um 1650 drei junge Mühlebacher namens Üler oder Hämmerle zu den „freien königischen“ ins Dorf gezogen seien, wo 22 leibeigene Familien wohnten, also die königischen nur knapp in der Mehrheit waren, stimmt etwas nicht.[11] Das ist Geschichtsschreibung mit Tendenz! Dass zwei dieser drei Hämmerle nicht ins Dorf, sondern nach Sägen zogen, das ein Teil des Oberdorfs war, wo es immerhin 33 leibeigene Haushalte gab, wurde übersehen. Die Leibeigenschaft der Mühlebacher dürfte großteils von den Sigbergern stammen. Auffällig ist, dass die Leibeigenen zu einem großen Teil eigene Höfe besaßen und nur Grundstücke zu Lehen hatten, weit verteilt in den Feldern aber auch auf Erlosen und im Gsig. Zehrer hat versucht, Schmidbergs Gut und Schmidbergs Lehen zu lokalisieren. Leichter ist die Lokalsierung südlich des Riedwegs, wo etliche dem Namen nach ehehafte Güter vorkommen. Johann Hilbe ist es aufgefallen, dass sich im oberen Hatler Feld auffällig viele Dritteläcker befinden und meint, dass diese alle aus dem ehemaligen Achlauf gewonnen worden seien.
Die Burg Sigberg hat Zehrer nicht lokalisiert oder jedenfalls nicht in den Plan eingezeichnet. Wenn aber dort das „verstaudete Gütlein“ aufscheint, kann nach allen Angaben der Burgstall nicht weit entfernt sein. In der Tradition wird der Platz genau angegeben und nicht nur Burgenkundler des 19. Jh., sondern auch Franz Huber haben dort Mauern festgestellt.[12] Josef Anton Mayer, der einstige Sägebesitzer hat zu versammelten Interessenten gemeint: „Kommend am Samstag mit Schufol und Bickel, i zoag ine wo nr siechor eabbas fiondond.“[13] An einem anderen Ort hat man gemeint: „Mir söttond schufla und ihr schribond!“. Wenn es keinen Fund gibt, hat man nichts zu schreiben![14] Wie vorher gesagt, erschwert die unregelmäßige Schuttfächersiedlung jede Beschreibung mit Richtungsangabe. Entfernte Zielpunkte, wie Hohenems und Lustenau, sind für ein nahes Objekt zu ungenau, zu nahe Punkte wechseln auf Schritt und Tritt die Richtung. Mit einem Wort: Der tradierte Standort der „Sigberg“ kann mit den schriftlichen Angaben nur beschränkt bestätigt werden.[15]
Allerdings fällt auf, dass der alte Mittelpunkt des Ortes nicht bei der jetzigen Kapelle zu suchen ist, sondern am Kreuzungspunkt der Haslachgasse mit der Küferbachgasse. Dort stand bis 1837 auch die alte Kapelle. Es ist die Tafel „Krönung Mariens“ erhalten und die Inschrift lautet: „Christian Mayer ließ 1622 den Bildstock errichten.“[16] Etwa an der gleichen Stelle tradiert die Volksmeinung das emsische Försterhaus (Haslachgasse 7) und es soll darüber im Schloss Hellbrunn bei Salzburg ein Gemälde existieren, um das sich die Fabrikantenfamilie Hämmerle schon erfolglos bemüht hat. Es gibt ja viele Namen ähnlich wie Mühlebach, und Mühlbach am Hochkönig läge Hellbrunn immerhin näher. Es ist hier jedenfalls die Ortsmitte gegen Norden gerückt und das würde wieder für den wenig sonnigen, von der Tradition bestimmten Burgstandort sprechen.
Was den Namen Bürgle für die nordöstliche Höhe betrifft, so kann es auch andere Erklärungen geben. Dabei ist insofern Vorsicht geboten, als fremde Schreiber auch fremde Wortformen zu Papier bringen können. Wenn man vor Jahrzehnten mit einem Rucksack Richtung Achmühle und Enz gegangen ist, haben die Bekannten statt eines Grußes gefragt: „Goscht is Birg?“ Die Höhen hinter Dornbirn waren einfach das „Birg“. Die auffälligen Hügel am Anfang waren daher das „Birgle“. Der Name Hiner, oder sinngemäß Hennenbühel, sagt das gleiche.[17] Die Hennenbühel im Land sind immer niedrige Hügel nahe bei einer Ortschaft. Ob Wilhelm Tells Bürglen oder ähnliche Namen in der Schweiz immer auf eine Burg in unserem Sinne schließen lassen, ist ohnedies fraglich.
Über den Platzer Brunnen im zweiten Zentrum existiert ein 300 Jahre altes Brunnenbuch.[18] Trotz der natürlichen Lage am Wasser haben sich die Bewohner um eine reichliche und gesunde Wasserversorgung bemüht und dabei den heutigen Luxus gar nicht erahnen können. Seit der Kaiserin Maria Theresia hatte Mühlebach auch eine Schule unter dem letzten Haus und als das Keckle abwärts verbaut wurde, noch weiter abseits. Die Figur eines Vogels sei dort an der Decke angebracht gewesen, von den einen als Reichswappen, von den anderen als Heiliger Geist verehrt. Als Schulmeister sind Johann Salzmann und Josef Wirth bekannt. 1824 hat man dann im Mittelfeld eine Schule für das ganze Viertel gebaut, weil damals dort die genaue Mitte zwischen den Siedlungen war. Der Hatler Lehrer übernahm die untere Klasse, der Mühlebacher die obere. Ein neuer Lehrer für die mittlere Klasse wohnte nebenan im Mittelfeld und hieß deshalb der Mittellehrer. Das ist noch immer ein Hausname.[19]
Der Viehtrieb der Mühlebacher erfolgte zu jeder Zeit über den Riedweg, der heute amtlich Zieglergasse heißt. Unter der Aich hat sich dieser mit dem Hatler Riedweg vereinigt. Als etwa zu Beginn der Neuzeit vier Viertel mit vier Riedern zustande kamen, gehörten die Hatler und Mühlbacher noch zusammen. In den Riedteilungsplänen um 1800 erkennen wir getrennte Rieder mit einem Markgraben zwischen Schweizerstraße und Grund. Wann die Teilung erfolgt ist, wissen wir bisher nicht. Aber die Mühlebacher haben trotz der Verteilung des Riedbodens noch eine Zeit lang an der alten Übung festgehalten und ihr Vieh gemeinsam auf den geteilten Grund aufgetrieben.
Wir haben schon von den Familien der Mühlebacher Leibeigenen gehört. Außerdem gab es hier Steurer, Kurz, Frener und Franz. In einer späteren Epoche kamen vom Oberbürgle die Schwendinger (Peterler), die Feurstein (Fürsto), die Hilbe und die Ehrhart.[20] Die Rein (Hanser) zogen ins Hatlerdorf. Der Küfer Jakob Drexel kam 1598 aus Hohenems. Sein Sohn Georg, der 1626 geboren ist, hat zu einer Zeit, als die Lebenserwartung noch kurz war, den Hunderter gefeiert. Der Brand vom 25. März 1848 war noch lange im Gedächtnis. Acht Höfe sind bei einem Föhnsturm eingeäschert worden, umso verständlicher, als alle noch mit Schindeln gedeckt waren. Es wird erzählt, die Mühlebacher hätten in ihrer Not mit einem Zweispänner einen Kapuziner aus Bregenz geholt. Der sei auf die Straße gekniet und habe dem Feuer Einhalt geboten. Von nun an mussten alle Häuser in der Talebene mit Ziegeln gedeckt werden. Das bedeutete aber, dass mancher schwache Dachstuhl umgebaut werden musste.[21]
Kein Zweifel, die Mühlebacher sind bis heute ein eigenständiges Volk. Es gibt ein Gedicht von Emanuel Thurnher über einen Mann, der sich weigert, aufs Kaiserfest zu gehen. Des Kaisers Bild im Kalender hatte ihm genügt.22 So kann man sich die Mühlebacher vorstellen. Deshalb ist es auch verständlich, wenn die Veranstalter der örtlichen Großereignisse als Republik auftreten und sich dabei auch so wohl sein lassen wie ein Kaiser.
Quellen#
[1] Armin Diem, Die Sage vom Mühlebacher Schlössle. In: ders., Dornbirner Dichtungen. Gedächtnisausgabe, Dornbirn 1957, S. 136-141.
[2] Gebhard Fischer, Urkundenauszüge aus dem Dornbirner Archive. In: 31. Jahresbericht des k. k. Real- und Obergymnasiums in Feldkirch, Innsbruck 1886, Urk. 1.
[3] Gebhard Winsauer, Um die Dornbirner Flurnamen. In: Heimat 13 (1932), S. 170.
[4] In Hohenems ist sogar eine rekonstruierte Mühle zu einer wichtigen Fremdenattraktion geworden.
[5] Wie Anm. 2.
[6] Die Grenzen des Reichshofs Lustenau sind erst aus 1510 mit 20 Marken beschrieben. Vgl. Ludwig Welti, Geschichte der Reichsgrafschaft Hohenems und des Reichshofes Lustenau, Innsbruck 1930, S. 187, 319 unter Hinweis auf Hermann Wartmann, Der Hof Widnau-Haslach, 1887.
[7] Andreas Ulmer, Die Burgen und Edelsitze Vorarlbergs und Liechtensteins, Dornbirn 1925, S. 348 und 481. [8] Johann Georg Schleh, Emser Chronik, Hohenems 1616, S. 32.
[9] Josef Zehrer, Die Dornbirner Besitzungen der Edlen von Hohenems. In: Montfort 23 (1971), S. 306-333.
[10] Vorarlberger Landesarchiv, Reichsgrafschaftsarchiv Hohenems, Hds. und Cod. 15, Urbar des Grafen Kaspar v. Hohenems 1605, Verzeichnis der Leibeigenen.
[11] Die Hämmerle-Fabrikanten wollten nicht hinausposaunen, dass ihr Ahnherr Martin (geb. 1719) beim Loskauf 1771 vom Gericht Dornbirn als Leibeigener übernommen wurde. Er musste sich sozusagen von der eigenen Gemeinde loskaufen.
[12] Franz Josef Huber, Kleines Vorarlberger Burgenbuch (Ländle-Bibliothek 3), Dornbirn 1985, S. 119.
[13] Laut Tagebuch des Verfassers am 16. Oktober 1969.
[14] Ausspruch des damaligen Besitzers auf der Parzelle Burg ob Knie.
[15] Alois Niederstätter, Dornbirn im Mittelalter. In: Geschichte der Stadt Dornbirn, Bd. 1, Dornbirn 2002, S. 29.
[16] Tafel links vom Eingang der jetzigen Kapelle.
[17] Der früher allbekannte Hiner als Achmühler Funkenplatz steht in keiner Landkarte.
[18] Kopie im Stadtarchiv Dornbirn, Bibliothek, Sign. L-E-109.
[19] Martin Blaser, ungedruckte Schulchronik von Hatlerdorf. Kopie im Stadtarchiv Dornbirn, Bibliothek, Sign. L-E-110.
[20] Diese Familien mit Bürgler Ursprung gehörten später zu den bedeutendsten Mühlebacher Sippen.
[21] Erzählung des Müllers und Stadtrates Josef Anton Mayer (Seppler).
[22] Emanuel Thurnher, Der kühle Patriot. In: Heimat 7 (1926), Sonderheft Dornbirn, S. 84.