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Siegfried Marcus#

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Der Zweite Marcus Wagen#

Günter Rott

Der Zweite Marcus Wagen
Der Zweite Marcus Wagen
© Technisches Museum Wien

Zweiter Marcus Wagen, Technisches Museum Wien. Der Motor wurde 1888, das Fahrgestell 1889 oder später, von der Fa. Märky, Bromovsky & Schulz in Adamsthal nahe Brünn gebaut. Wann und wie das Fahrzeug nach Wien in das Depot der Firma kam, bevor es 1898 in der Rotunde ausgestellt wurde, ist unbekannt. Trotz der Verbesserungen gegenüber dem "Projectwagen" war das Fahrgestell mit 476 kg für den 1 PS Motor, der selbst 280 kg wog, für einen erfolgreichen Versuchsbetrieb viel zu schwer. Dazu schrieb die Firma am 17.1.01 an Czischek: "Wie sich nach der Fertigstellung des Wagens herausstellte, war der Motor zu schwach, um den Wagen mit einer Geschwindigkeit von 3,45 m per Sekunde (Anmerkung: = 12,4 km/h = 1 3/4 Postmeilen/h) treiben zu können". "Es hätte also der Wagen einer bedeutenden Reconstruction bedurft ...und so blieb der Wagen unvollendet". (© Technisches Museum Wien)

Siefried Marcus
Siegfried Marcus. 1831 (Malchin). 1898 (Wien)
© Österr. Nationalbibliothek, Wien

Die Spurensuche beginnt dort, wo das meiste aus zeitgenössischen Quellen über die Marcusmotoren steht: Beim Vortrag, bzw. Aufsatz, des Moritz Ritter von Pichler "Der Explosionsmotor des Siegfried Marcus" aus dem Jahr 1888, obwohl der Zweite Marcus Wagen samt seinem Motor überhaupt nicht vorkommt. Pichler, aus dem gleichen Umfeld wie Marcus stammend, hat nämlich hier eine genaue Chronik des Motorenbaus von Marcus erstellt und macht auch eine kryptische Andeutung im Zusammenhang mit dem Aufbau des damals jüngsten Motors: "Die in Fig. 1 und 2 veranschaulichte Aufstellung (Anm. d. Verfassers: Raumsparender Kurbelantrieb über einen Umlenkhebel) wurde aus speciellen, principiellen und nicht hierher gehörenden Gründen von Marcus gewählt", vermutlich eine Anspielung auf die künftige Verwendung in einem Fahrzeug. Dem Schluss Goldbecks, der Motor des Wagens kann daher nicht vor 1888 entstanden sein, kann Logik nicht abgesprochen werden. Er hat sich auch als richtig erwiesen, wie wir später sehen werden. Bemerkenswert

ist auch die Aussage Pichlers: .Im Jahr 1882 als Übergang zur neuen Construction, wurde als Vorversuch eine Otto-Gasmaschine auf Petroleum mit Vaporisator und Zündapparat mit bestem Erfolge umgebaut.. D.h., Marcus hat zu dieser Zeit am Otto-Viertaktmotor seine Aggregate, Vergaser und Zündvorrichtung erprobt! 1882/1883 wurden im Deutschen Reich für solche Zubauten, Spritzbürstenvergaser und Zündvorrichtung mit Friktionselektroden, Patente erteilt. Vom eigenen 4-Taktmotor war Marcus damals noch um einiges entfernt.

Kurz vor dem Pichler-Vortrag, nämlich 1887, hat Marcus seine Zusammenarbeit mit der Firma Märky, Bromovsky & Schulz im mährischen Adamsthal, heute Adamov, Tschechische Republik, begonnen. Ein Verkaufsprospekt kündigt sogar utopische, nie erreichbare Leistungen von 100 HP (PS) an.

Das heute im Technischen Museum Wien (TMW) stehende Fahrzeug, Zweiter Marcus Wagen genannt, wurde im August 1898 vom Österreichischen Automobil-Club um 100 Gulden, unter Einschaltung des Vorstandsmitgliedes Prof. Ing. Czischek, erworben. Es war auf der Kaiser Franz Joseph Jubiläumsausstellung in der Wiener Rotunde, wo eine "Collectivausstellung der Österreichischen Automobilhersteller" statt fand, ausgestellt. Fortan blieb der Wagen im Eigentum des Clubs, bzw. seines Nachfolgers, des ÖAMTC. Der Verkäufer war die bereits erwähnte Firma Märky, Bromovsky & Schulz. Der Wagen war unfahrbar, wie es aus dem Lieferschein der Firma hervorgeht. Bei der Restaurierung im Jahr 1950 fehlte der Zünder. Er wurde jedoch im Fundus des TMW aus dem Nachlass des Wiener Patentanwaltes Tischler stammend, gefunden. Tischler hatte Marcus während seiner letzten Lebensjahre, ab 1892, in Patentangelegenheiten betreut. Andere Quellen behaupten, dass die Zündvorrichtung dem im TMW vorhandenen Stationärmotor von 1887 entn ommen wurde. Jedenfalls, er stammte aus den Beständen des Museums und er passte.

Auf dieser Ausstellung wurde auch das älteste erhaltene Foto des Fahrzeuges gemacht. Dazu wurde es vor die "Jubiläums Kaiser Pyramide" gebracht. Wieso die Beschriftung mit dem Baujahr 1877 von niemand beanstandet wurde, ist nicht bekannt. Es ist auch nicht bekannt, ob die Tafel nur für die Fotos am Fahrzeug angebracht wurde, oder ob sie auch den Wagen auf seinem Standplatz während der Ausstellung schmückte. Die Datierung stammt von Czischek (später spricht dieser nur mehr von 1875). Sie ist bis heute rätselhaft und höchstens als Verwechslung mit dem Ersten Marcus Wagen und dessen Fahrten in den 1870er-Jahren erklärbar (Siehe auch dazu: G. Rott, "Der motorisierte Handwagen des Siegfried Marcus" in Austroclassic Juni 2002). Historiker wie z.B. Feldhaus und Kurzel-Runtscheiner und ihre Epigonen trifft der Vorwurf, dieses Datum unkritisch übernommen zu haben.

1901 wurde der bereits erwähnte Prof. Ing. Czischek von der amerikanischen Daimler Manufacturing Company beauftragt, Unterlagen über ein vor 1879 gebautes Automobil zu beschaffen, wobei man an den Zweiten Marcus Wagen dachte. Es ging dabei um die Anfechtung des Patentanspruches des aus Rochester, N.Y., USA, stammenden Patentanwaltes Selden aus 1879 auf ein Automobil. Czischek konnte den Nachweis nicht erbringen, jedoch hat der umfangreiche Schriftverkehr, den er dazu führte und welcher erst in den 1960-er Jahren von Seper aufgefunden und bearbeitet wurde, endgültige Klarheit über die Herkunft des Wagens geschafft. Die Fa. Märky, Bromovsky & Schulz bestätigte in ihrem Schreiben vom 1.2.1901, dass der in der Rotunde ausgestellte Wagen von ihr gebaut wurde und dass der Motor aus 1888 der erste von ihr für Marcus gebaute war.

Das Schreiben lautet im vollen Wortlaut:

"Wohlgeboren Herrn Prof. Czischek, In Beantwortung Ihrer geschätzten Anfrage vom 31 v. M. theilen Ihnen höflichst mit, daß der im Jahre 1888 an Markus gelieferte 1HP Motor, welcher zum Betrieb eines Straßenwagens bestimmt war, der erste gewesen ist, der für diesen Zweck hier angefertigt wurde. Nach Mittheilung von Markus hätte er schon in den siebziger Jahren einen Benzin-Motor auf einen Wagen montiert und mit demselben auf der Mariahilferstraße gefahren, was damals großes Aufsehen erregte. Bevor wir jedoch die Ausführung der Markus.schen Motoren übernommen, hat die Firma Ganz & Comp. in Budapest einen 4-6 HP Zweitakt-Motor geliefert, welcher lange Zeit in der Markus'schen Werkstätte zum Betrieb einer Dynamo in Verwendung stand, und welcher von dem Civil-Ingenieur Pichler in Wien indiciert wurde. Der in der Rotunde ausgestellte Wagen ist nach den von Markus zugesandten und bereits in Ihren Händen befindlichen Zeichnungen hier ausgeführt und ist nicht mit dem identisch, mit welchem Markus bereits in den 70er Jahren Fahrversuche gemacht haben soll. Hochachtungsvoll Märky"...

In einem früheren Schreiben vom 17.1.01 hatte die Firma bereits das Baujahr 1888 angeführt. Das Fahrzeug wurde beschrieben. Dass der Motor zum gegenständlichen Fahrzeug gehört, wurde ebenso bestätigt, wie, dass es zahlreiche Mängel gab, die unbehoben blieben.

Im Jahr 1959 hat das Technische Museum Wien in Adamsthal Nachforschungen angestellt. Der damit beauftragte Emil Hejl konnte noch zwei ansässige, lebende Zeugen finden, welche den ihnen noch erinnerlichen Wagen als mit dem Wiener Fahrzeug übereinstimmend beschrieben und auch die vorgelegten Fotografien bestätigten.

Auch der bereits erwähnte Patentanwalt Tischler hat versucht, Zeugen und Zeugnisse für Fahrten mit dem Zweiten Marcus Wagen vor 1879 zu finden und hat sich mit entsprechenden Aufrufen an die Öffentlichkeit gewandt. Vergebens, es gab keine Personen, welche den Wagen vor 1898 gekannt haben und keine Zeitungsberichte, Behördenakte und dergleichen, welche von einer Fahrt vor dem ersten öffentlichen Auftreten in der Rotunde berichten . Sieht man von den vagen Äußerungen des mit Marcus befreundete A.F. Bacciocco vom März 1901 gegenüber Czischek ab: ....Vom Jahr 1875 war nicht die Rede. Die ersten Fahrten (in der Nacht) fanden vor ungefähr 18 Jahren statt. Genau kann ich mich nicht mehr erinnern... . und weiter in einem Folgeschreiben "Der Motor, mit dem ich gefahren bin, war, wenn mich nicht alles täuscht, der mit zwei = Blau eingezeichnet (sic!). Ich erinnere mich sogar, daß mein Sitz keine Lehne hatte". Es ist nicht mehr möglich, diese Aussagen einem der beiden Marcus Wagen eindeutig zuzuordnen. Sicher ist nur, dass Czischek damit nichts für seinen angestrebten Beweis anfangen konnte.

Einwände gegen das Zeugnis der beiden Briefe für die Herkunft des Marcus-Wagens und die damit verbundene Behauptung, es handle sich dabei um ein jüngeres, nicht mehr gebautes Fahrzeug von Marcus, stützen sich im wesentlichen auf drei Argumente:

Erstens hat das in den Briefen beschriebene Fahrzeug 5 Antriebsriemen und das vorhandene nur vier und weiter ist am Wagen der ebenfalls erwähnte Hebel mit Sperrzahn und Sperrrad nicht vorhanden. Es ist aber ersichtlich, dass auf der Antriebswelle vier Seilrinnen nachträglich verkleinert wurden, um die Übersetzung zu verbessern und den Wagen überhaupt fahrbar zu machen. Eine Seilrille, die fünfte, ist noch in der ursprünglichen Größe vorhanden. Auch den Hebel gab es, die Aussparung dazu ist am Führerstand deutlich sichtbar. Mangels einer Übersetzung wie bei einem Kickstarter war die Vorrichtung aber unbrauchbar.

Zweitens stimmt eine mitgelieferte "Project"-Zeichnung nicht mit dem vorhandenen Fahrzeug überein. Hardenberg geht davon aus, dass es sich dabei um eine Vorstudie handelt. Dafür spricht unter anderem, dass das Übersetzungsverhältnis auf der Zeichnung dem zuvor erwähnten ursprünglichen des vorhandenen Wagens entspricht, welches aber ein Fahren unmöglich gemacht hätte. Der Wagen im Technischen Museum in Wien wird von einem schwächeren, d.h. leichteren Rahmen getragen, welcher ebenso wie das Weglassen der für einen Prototyp unnötigen Armlehnen an den Sitzen und des Starthebels zu einer dringend notwendigen Gewichtsersparnis führte.

Drittens, Märky, Bromovsky & Schulz sprechen von 1 PS, die Messungen am Wagen von 1950, durchgeführt von Alfred Buberl - und 1987 am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Fahrzeugbau der Technischen Universität Wien - ergeben aber nur ca. 0,75 PS. Wir wissen nicht, wie damals von der Firma die Leistung ermittelt wurde, war es ein theoretischer oder gemessener Wert? Hat die Firma bloß gerundet? Der Unterschied von 0,25 PS oder 25 % ist unter diesen Umständen nicht von Bedeutung.

Auch der Wagen selbst liefert einige Informationen über seiner Geschichte. Bis 1932 oder später war eine Messingtafel angebracht, auf der "Eigentum M.B.& Sch. 1898" stand. Die Löcher dazu sieht man noch auf der Sitzbank. Am Spritzbürstenvergaser steht "Patent Siegfr. Marcus Wien" und das ist richtig, wenn damit der Vergaser gemeint war, weil dafür 1882 in Deutschland und anderen Ländern ein Patent erteilt wurde und weil der Vergaser mit der im österreichischen Privileg von 1887 erstmalig erwähnten Vorwärmung durch Abgase ausgestattet ist. (Und falsch, hätte es sich auf den Motor oder gar den gesamten Wagen bezogen.) Nirgends steht etwas von Märky, Bromovsky & Schulz. Wenn Marcus über die Vertriebsrechte verfügte, war das ganz in Ordnung und entsprach der üblichen Kennzeichnung. Neben dem Spritzbürstenvergaser war auch der Magnetzünder durch Patente aus 1882 und 1883 geschützt. 1883 war Marcus ein österreichisches Patent (Privileg) für einen Motor nach dem kompressionslosen Zweitaktsystem erteilt worden, im Wagen ist jedoch ein 4-Taktmotor.

Werkstofftechnische Untersuchungen des Holzes und des Stahls des Wagen würden kaum etwas bringen. Denn diese bezögen sich auf den "unter Umständen wiederverwendeten" Rohstoff und nicht auf das Endprodukt. Holz wurde und wird bekanntermaßen vor seiner Verwendung möglichst lange gelagert und die verschiedensten Methoden der Stahlerzeugung mit ihren unterschiedlichen Legierungen verliefen parallel, Puddelstahl wurde noch bis in die 20er Jahre des 20. Jhdt. in Deutschland hergestellt. Mehr als eine "nicht älter als" Aussage ist daher nicht zu erwarten.

Es ist Seper zu verdanken, dass seine Veröffentlichungen von 1968, die jüngere Forscher wie Bürbaumer und Hardenberg bestätigt haben, Klarheit in die Herkunft des ersten Automobils Österreichs und des ältesten erhaltenen vierrädrigen Autos der Welt gebracht haben: Die Bedeutung von Siegfried Marcus als einen der bedeutendsten Automobilpioniere und damit des herausragenden Beitrages Österreichs zur Kraftfahrt erscheint damit in einem anderen Licht: Erbauer des ersten mit Benzin betriebenen Strassenfahrzeuges der Welt, des motorisierten Handwagens von 1870 (Siehe auch dazu: G. Rott, "Der motorisierte Handwagen des Siegfried Marcus" in Austroclassic Juni 2002).

Quellen#

Erich Kurzel-Runtscheiner, Siegfried Marcus: "Lebensbild eines österreichischen Erfinders", Wien 1956.
Gustav Goldbeck, "Siegfried Marcus, ein Erfinderleben", VDI-Verlag, Düsseldorf 1961.
Hans Seper, "Damals, als die Pferde scheuten", Wien 1968, Österr. Wirtschaftsverlag.
Alfred Buberl, "Die Automobile des Siegfried Marcus", Bad Sauerbrunn, Edition Tau, 1994.
Ursula Bürbaumer, "Das erste Auto der Welt?", Wien 1998, Erasmus Verlag.
Alfred Buberl, "Siegfried Marcus, Erfinder des Automobils", Verlag Siegfried Marcus Forschungsgesellschaft, Stockerau, 1999.
Seper, Pfundner, Lenz, "Österreichische Automobilgeschichte", Klosterneuburg 1999, Eurotax Verlag.
Horst Hardenberg, "Siegfried Marcus, Mythos und Wirklichkeit", aus der Wissenschaftlichen Schriftenreihe des DaimlerChrysler Konzernarchivs, Bielefeld 2000, Delius & Klasing Verlag.
Helmuth Grössing (Herausgeber), Ursula Bürbaumer, Johannes Steinböck, Horst Hardenberg, Gerhard Schaukal und Ladislav Mergl in "Autos-Fahrer Konstrukteure", Wien 2000, Erasmus Verlag.
Peter Sedlaczek, Gerhard Schaukal, Barbara Pilz, "Straßenfahrzeuge aus der Sammlung des Technischen Museums Wien, Fahrräder, Motorräder, Automobile"; Verkehr., TMW, Wien 2001.

Siehe auch http://www.museum-malchin.de/siegfried-marcus


Der erste Marcus-Wagen - ein motorisierter Handwagen#

Günter Rott

(erstmals erschienen in anderer Fassung in "Austro Classic", Juni 2003, Kierling, Österr.)

Was die Bekanntheit betrifft, wurde der Erste Marcus Wagen lange vom Zweiten Marcus Wagen überschattet. Und das zu unrecht, denn mit seinem ersten Wagen hat Siegfried Marcus unbestritten einen großen Schritt in Richtung Benzinautomobil gemacht. Cugnot hat 1770 den ersten "Selbstfahrer", einen Straßendampfwagen gebaut, der noch im Originalzustand erhalten ist. Der Schweizer Rivaz kam angeblich 1813 mit einem gasbetriebenen Wagen auf einer 9-prozentigen Steigung 26 m weit. Der in Frankreich lebende Belgier Lenoir hat nach eigenen Angaben 1863 den ersten mit einem Verbrennungsmotor angetriebenen Straßenwagen geschaffen, der bereits eine Entfernung von ca. 18 km und zurück bewältigte. Als Treibstoff diente in Flaschen mitgeführtes Leuchtgas.

Folgt man primären Geschichtsquellen, hat Siegfried Marcus als erster Benzin als Treibstoff für mobile Zwecke verwendet und 1870 in Wien das erste Straßenfahrzeug mit einem Benzinmotor gebaut. Ob es sich dabei um das erste Benzinauto der Welt gehandelt hat, hängt davon ab, was man unter einem Automobil versteht. Das Fahrzeug war nichts anderes als ein Handwagen, dessen Hinterräder durch die Schwungräder des auf dem Fahrzeug aufrecht stehenden Motors ersetzt wurden. Ergo fehlten Kupplung, Getriebe, Lenkung und Bremsen. Es gibt auch keine Konstruktionszeichnungen. Allerdings lassen die vorhandenen Fotos, auf denen auch der Hintergrund genau abgebildet ist, das Aussehen des Fahrzeuges recht genau rekonstruieren. So hat der jüngste Nachbau im Heimatmuseum von Malchin in Mecklenburg-Vorpommern, der Geburtsstadt von Marcus, folgende Daten: Länge 237 cm, Höhe 226 cm, Durchmesser der Schwungräder 84 cm, Durchmesser der Vorderräder 58 cm, Achsabstand 142 cm. Der Zylinderdurchmesser des Motors beträgt 10 cm. Auch in der Siegfried-Marcus-Berufsschule in Wien kann ein solcher Nachbau schon längere Zeit bewundert werden.

Über den Verbleib des originalen Motors ist nichts bekannt und nach dem Handwagen wird nicht weiter gefragt.

Das Fahrgestell:

Das meiste sieht man auf den Bildern. Zur Zeit als der Wagen entstand, hatte Marcus seine Werkstätte im Obergeschoss des Hauses Mariahilferstr. 107. Um das Transportieren des Motors zu erleichtern, vereinfachten herausziehbare Keile das Abnehmen der Räder. Wie das Fahrzeug gelenkt wurde, ist unklar. Ein Nebenherlaufen und Steuern ist wegen der errechneten Geschwindigkeit von rd. 15 km/h kaum vorstellbar. Vielleicht wurde nach Lehrbubenart die Deichsel mit den Beinen bewegt. Es ist auch möglich, dass der Wagen kurze Strecken einfach ungesteuert - ungebremst sowieso - dahin rollte. Zum Unterschied vom späteren, verdichtenden Benzinmotor bremste der verdichtungslose Motor auch nicht, wenn er abstarb. Im Vergleich zum Zweiten Marcus Wagen war das Vehikel sehr leicht, sonst wäre die ermittelte Geschwindigkeit nicht erreichbar gewesen und der Wagen nicht fahrbar.

In "Ackermann's Illustrierte Wiener Gewerbe-Zeitung" (Petroleum - Motoren, 1890) ist aber von Fahrten mit zwei Passagieren im September 1870 in der Mariahilferstraße, Neubaugasse, Westbahnstraße und Kaiserstraße die Rede. Auch Jonasz - siehe später- spricht von Fahrten in den Straßen Wiens. Es ist daher nicht auszuschließen, dass Marcus nach den Fotoaufnahmen einen Sitz auf den Wagen stellte und eine Lenkstange anbrachte.

Der Motor:

Es handelt sich dabei um einen direkt, d.h. über einen Kurbeltrieb wirkenden, verdichtungslosen Motor. Dieser Typ war nicht neu, sondern der Stand der Technik zwischen 1860 und 1875. In der Zeit von 1861 bis 1865 wurden der ähnlich arbeitende Lenoir - Motor etwa 400 mal produziert und verkauft. Die Wirtschaftlichkeit war aber drei mal schlechter als von leistungsmäßig vergleichbaren Dampfmaschinen. Otto-Langen in Deutz bauten zwischen 1867 und 1876 gemeinsam mit ihren Lizenznehmern fast 5000 Stück als sogenannte Freikolbenmotoren, die keinen Kurbeltrieb hatten. In diesem Fall war der Kolben mit einer Zahnstange verbunden, welche die Bewegung über einen Freilauf an das Schwungrad weiter gab. Diese Kraftmaschinen wurden für kleiner Betriebe gebaut, die keine Dampfmaschinen nutzen wollten oder konnten und mit dem in den Städten überall verfügbaren Leuchtgas betrieben. Ein weiterer Nutzen bestand in der schnelleren Inbetriebsetzung (den kleinen Elektromotor gab es damals noch nicht). Über dem Kreuzkopf, das ist

die Verbindung des gefederten Kolbens mit den Schubstangen, ist beim Marcus-Motor eine Bremsvorrichtung zu erkennen. Sie sollte ein Durchschlagen des Kopfes bei zu hoher Umdrehungszahl verhindern. Das besondere neue konstruktive Merkmal war die kegelförmige Federvorrichtung .zur Neutralisierung der Explosionsstöße. zwischen Kolbenstange und Kreuzkopf, sie ist auf allen Bildern deutlich zu erkennen. Auf die Bremse und die Feder hat Marcus bei späteren Motoren wieder verzichtet. Die Gestaltung beruht auf der bei Kleindampfmaschinen gebräuchlichen Tischbauart. Die Aufschrift .Patent-Gas-Locomobile, Siegfried Marcus, Wien. entsprach nicht den Tatsachen. Es war nur der Vergaser privilegiert und nicht der Motor oder dessen mobile Anwendung.

Es ist nicht bekannt, wie die Gaszufuhr beim Marcus-Motor gesteuert wurde. Schieber sind anzunehmen. Wie bei allen anderen verdichtungslosen Motoren auch, saugte der Kolben bei der Aufwärtsbewegung vom unteren Todpunkt das Kraftstoff - Luftgemisch an. Nach etwas mehr als einem Drittel des Weges schloss der Einlass, der Motor zündete und der Kolben ging bis zum oberen Todpunkt. Nach der Verbrennung entstand im Zylinder ein Unterdruck, die durch das Schwungrad gespeicherte Energie und der atmosphärische Aussendruck schoben den Kolben nach unten. Dabei öffnete der Auslass. Daher werden solche Motoren auch atmosphärische 2-Takt Motoren genannt. Der Begriff ist irreführend, da die Maschine nicht mehr mit einem heutigen Zweitaktmotor gemein hat, als bei jedem Hub zu zünden. So wie hier beschrieben, steht der Motor auf dem Kopf, d.h. Steuerung und Zündung sind unten.

Das Jahr 1870 spricht für einen galvanischen Zünder. In seiner Privilegienschrift aus 1883 "Verbesserung an Explosionsmotoren" schreibt Marcus jedoch : "Die elektrische Zündung von Knallgas in Explosionsmotoren wurde bisher nur unter Zuhilfenahme von elektromagnetischen Funkeninduktoren sogenannten Ruhmkorffschen Apparaten unter Anwendung von galvanischen Elementen (System Lenoir) bewerkstelligt ... Dies bewog mich schon im Jahr 1873 die Erzeugung des elektrischen Stomes ohne Batterie, u. zw. Mittels Magnetinduktors anzustreben, welcher durch den Motor selbst betrieben wird". Dieser Zünder wurde auch im Bericht von Radinger über den Motor von 1873 angeführt. Folgt man Marcus, hat er für den Motor von 1870 daher noch keinen Magnetzünder. Auf der Fotografie sind bei entsprechender Vergrößerung die Magnetstäbe des Zünders erkennbar. Daher hatte der Motor einen Magnetzünder. Woraus folgt, dass entweder in der Patentschrift irrtümlich ein späteres Jahr (1873) genannt wurde, oder, weniger wahrscheinlich, die Aufschrift auf dem Bild ein falsches Jahr nennt und die Konstruktion jünger als aus 1870, nämlich aus 1873 ist.

Der Vergaser war ein Oberflächenvergaser. In einem Behälter verflüchtigte, d.h. verdampfte Benzin in einem System von Kapillaren zum Unterschied vom späteren Spritzbürstenvergaser des Zweiten Marcus Wagens, und auch zum modernen Vergaser, bei dem es zerstäubt wird. Der Motor wurde lediglich durch die große Oberfläche des Zylinders gekühlt, Kühlrippen oder eine Wasserkühlung gab es nicht.

Die Leistung wird von Hardenberg unter Annahme eines Hubvolumens zwischen 3,2 und 4 dm. (3,2 bis 4 Liter!) und einer Drehzahl zwischen 100 bis 200 U/min auf 0,3 bis 0,35 kW (knapp 0,4 bis 0,5 PS), geschätzt.

Bei einer Umdrehungszahl von 100 Umdrehungen/Minute erreichte das Fahrzeug die beachtliche Geschwindigkeit von ca. 15 km/h, was sich über den geschätzten Durchmesser der Räder leicht errechnen lässt. Wahrscheinlich wurde der Wagen durch Anschieben, oder besser Anlaufen, in Bewegung gesetzt.

Datierung des Fahrzeuges:

Die eigenhändigen Anmerkungen von Marcus auf den Fotos lauten: "Petroleum(Benzin)-Motor zum Betriebe eines Straßenwagens mit Federvorrichtung zur Neutralisierung der Explosionsstöße konstruiert von Siegfr. Marcus 1870", respective "Motor-Wagen Konstruiert von Siegfr. Marcus. Wien d. 3ten Septbr.1870. Photographiert von Löwy durch Assistent Jaffe". Das Vorstandsmitglied des Österr. Automobil - Clubs, Prof.Ing. Czischek-Christen, hat diese Fotos anlässlich seines Vortrages .Automobile. im Jahr 1898 von Marcus selbst überreicht bekommen.

Die Datierung "1864" auf dem Marcus Denkmal im Wiener Resselpark geht auf Ladislaus Jonasz (1875 - ?) zurück, den ersten Direktor von Fiat in Wien und späteren Direktor von Austro Daimler. Er beruft sich dabei in einem Artikel in der "Allgemeinen Automobil-Zeitung" aus dem Jahr 1901 auf einen gewissen Blum, der 1864 bei Marcus als "Arbeitsgenosse" eintrat und versicherte " ...den Wagen zu diesem Zeitpunkt schon vorgefunden zu haben". Das Jahr 1866 nennt ein Fahrbericht des Albert Curjel (1843-?). Allerdings hat er dieses Erlebnis erst 1904, also fast 35 Jahre nach dem wahrscheinlichen Datum von 1870, nieder geschrieben. Seine Glaubwürdigkeit wird auch durch leicht erkennbare Fehler an anderer Stelle des Beitrages erschüttert. Curjel war ein bekannter Mann in Wien. Ursprünglich Nähmaschinenhersteller in der Mariahilferstr. 115, importierte er englische Hochräder. Später hatte er die Niederlassung für "Laurin und Klement. Motorräder aus dem damaligen Jungbunzlau" heute nach einer Fusion unter "Skoda" bekannt in der Wiener Elisabethstraße inne. In einem Saal in seinem Keller betrieb er auch eine Radfahrschule, was damals aber nichts außergewöhnliches war.

Dem Bericht des Ladislaus Jonasz widerspricht die Aussage des Alois Christian, der zur gleichen Zeit wie Blum bei Marcus in der Lehre war und von einem Wagen nichts wusste, wie er Kurzel-Runtscheiner (1883-1957, Vizedirektor des Wiener Technischen Museums) wissen ließ. Wohl aber wusste Christian über die Versuche Marcus, mit Oberflächenvergasern in den 1860-er Jahren bescheid und erzählte von der Installation einer elektrischen Klingel in der Wiener Hofburg. Auch Moritz Ritter von Pichler (1847-97) schrieb 1888 in der "Wochenschrift des Österreichischen Ingenieur- und Archtekten-Vereines": "...wurde 1870 ein Motor gebaut, der, vertical gestellt, einfach wirkend, an seiner unteren Cylinderseite mit Hähnen regulierbar, das damals hochflüchtige Betriebsgemisch aufnahm" und, weiters, "....( Marcus) schon im Jahr 1870 einen Petroleummotor gebaut hat, mit dem er, einen Wagen treibend, auf der Mariahilferstrasse herumfuhr". Ebenso ist in "Ackermann's Gewerbe-Zeitung" , siehe oben, vom September 1870 die Rede, in genauer Übereinstimmung mit der Anmerkung auf einer der Fotografien.

Im Schreiben vom 1.2.01 spricht die Firma Märky, Bromovsky und Schulz, der Hersteller des Zweiten Marcus Wagens, davon, dass dieser (zweite, von ihr 1888/89 hergestellte) nicht .... mit dem identisch (ist), mit welchem Marcus bereits in den 70er Jahren Fahrversuche gemacht haben soll.

Da Marcus seinen Oberflächenvergaser 1865 und 1866 patentieren ließ, ist ein Entstehen des Fahrzeuges vor dieser Zeit nahezu auszuschließen. Sollen die von anderen Zeitzeugen widersprochenen Angaben von Blum, bzw. Jonasz, und Curjel Grund genug sein, das von Marcus selbst angeführte Jahr 1870 als Herstellungsdatum in Frage zu stellen? Die Einfachheit des Wagens zum Zeitpunkt der Fotoaufnahmen lässt darauf schließen, dass er keine lang dauernden Versuche hinter sich hatte. Welchen Sinn hätten viele Fahrversuche mit diesem unlenkbaren und unbremsbaren Fahrzeug gehabt? Auch das untermauert die Datierung mit 1870. Und, kommt es auf ein paar Jahre mehr oder weniger überhaupt an?
Es fällt auf, dass weder Curjel, noch Pichler oder Jonasz jemals über den jüngeren, Zweiten Marcus Wagen berichtet haben. Auch Pichler dürfte Marcus persönlich gekannt haben und Jonasz war "über mehrere Ecken" mit Marcus geschäftlich verbunden. Der Direktor des Fiat-Werkes in Floridsdorf war Adolf Egger, der Sohn des Technikpioniers Egger, mit dem Marcus Ende der 1870-Jahre auf dem Gebiet der Elektrobeleuchtung eng zusammen gearbeitet hat.

Technikhistoriker lehnen bei komplexen technischen Gebilden die Begriffe "Erfindung" und "Erfinder" ab und sprechen von Erfinderreihen. Daher wird hier die Frage, ob Marcus mit dem beschriebenen Fahrzeug das Auto erfunden hat, weder aufgeworfen, noch beantwortet. Einen Platz in der "Hall of Fame" der Väter des Autos hat sich Marcus mit seiner Pionierleistung, als Erster Vergaser, Benzinmotor und Wagen zu einer Einheit zusammen zu fassen, aber für alle Zeiten gesichert.

Quellen:

Erich Kurzel-Runtscheiner, "Siegfried Marcus: Lebensbild eines österreichischen Erfinders", Wien 1956.
Gustav Goldbeck, "Siegfried Marcus, ein Erfinderleben", VDI-Verlag, Düsseldorf 1961.
Hans Seper, "Damals, als die Pferde scheuten", Wien 1968, Österr. Wirtschaftsverlag.
Albert Lorenz, "Alte Autos, junge Liebe", Wien 1963, Kremayer & Scherian.
Ursula Bürbaumer, "Das erste Auto der Welt?", Wien 1998, Erasmus Verlag.
Alfred Buberl, "Siegfried Marcus, Erfinder des Automobils", Verlag Siegfried Marcus Forschungsgesellschaft, Stockerau, 1999.
Horst Hardenberg, "Siegfried Marcus, Mythos und Wirklichkeit", aus der Wissenschaftlichen Schriftenreihe des DaimlerChrysler Konzernarchivs, Bielefeld 2000, Delius & Klasing Verlag.
Helmuth Grössing (Herausgeber), Ursula Bürbaumer, Johannes Steinböck, Horst Hardenberg, Gerhard Schaukal und Ladislav Mergl, in "Autos-Fahrer - Konstrukteure", Wien 2000, Erasmus Verlag.
Seper, Pfundner, Lenz. "Österreichische Automobilgeschichte", Klosterneuburg 1999, Eurotax Verlag.
Bruner, Reitgruber, "Hundert Jahre Fahrzeugbau in Wien", Wien 2001, Verein zur Förderung historischer Kraftfahrzeuge der Österrr. Automobilfabriken ÖAF-Gräf & Stift AG.
Günter Rott, "Der motorisierte Handwagen des Siegfried Marcus", in "Austro Classic", Kierling, Juni 2003.
Der Erfinder des Automobils?

Der Motor des ersten Marcus Wagens
Der Motor des ersten Marcus Wagens, von Siegfried Marcus eigenhändig mit "...konstruiert von Siegfr. Marcus 1870." datiert
Erster Marcus Wagen
Erster Marcus Wagen (fotografiert am 3. Sept. 1870)

Weiterführendes#

Quellen#


Zusammenstellung: Hermann Maurer