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Wildschützen#

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Wildschützen
Kampf zwischen Wildschützen und Jägern. Um 1880. Chromolithographie
© Brandstätter Verlag

Wildschützen (auch Wilderer) können als soziale Rebellen und Symbolfiguren des Widerstands gegen landes- und grundherrliche Machtausübung angesehen werden. Als »ein privilegiertes Betätigungsfeld gehässiger Klassengesetzgebung« hat einmal der Geschichtsschreiber der deutschen Rechtswissenschaft, Ernst Landsberg, den Wilddiebstahl bezeichnet. Für Gegner und Verfolger ist der Wilderer, wie Ludwig Fuchs in seinem Buch über die Bekämpfung der Wilddiebe (1936) schrieb, »für gewöhnlich ein Mensch, der die Jagd ausübt, ohne hiezu eine Berechtigung zu haben. Der Wilderer wird in manchen Gegenden auch Raubschütz, Schwarzschütz oder Schwarzgeher genannt. Der Jäger nennt ihn kurz und treffend Lump«.

Die Germanen konnten im Fangen von Wild kein Unrecht sehen. Sie ernährten und kleideten sich von dem, was ihnen die freie Wildbahn bot. Erst mit der Anerkennung des Privateigentums einerseits, wonach jedem Grundeigentümer auf seinem Gut die Jagd als Teil seiner grundherrlichen Rechte zukam, und mit dem Entstehen der königlichen Bannforste andererseits verloren die jeweiligen Gemeindemitglieder das Recht zu jagen, taten sie es trotzdem, wurden sie strafrechtlich verfolgt. Damit wollte sich ein großer Teil der Bevölkerung aber nicht abfinden, denn sie war auf die Jagd angewiesen, da die fortwährenden Kriege die Lebensbedingungen verschlechtert, teilweise sogar überhaupt in Frage gestellt hatten. Noch ein weiterer Grund kam hinzu, der die Bauern geradezu zwang, der verbotenen Jagd nachzugehen: der immer größer werdende Wildbestand, auf dessen Hegung und Vermehrung der Landesherr bedacht war, und der dadurch verursachte ungeheure Wildschaden. »Das ganze Land ist ein Tiergarten zum Verderben der Untertanen«, konstatierte Freiherr von Gagern. Damit aber nicht genug: Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde in Deutschland die Parforcejagd eingeführt. Man verfolgte den »edlen« Hirsch querfeldein, bis er nicht mehr weiter konnte, ohne Rücksicht auf die Felder und den Stand der Saat. Diese Zustände zwangen die Bauern zur Selbsthilfe, den Wildschaden durch Abschuß erträglicher zu machen. Die in ihren Privatinteressen verletzten und in ihrer »fürstlichen Lust« beeinträchtigten Landesherren antworteten mit grausamsten Verstümmelungsstrafen und erhoben schließlich die Tat zum todeswürdigen Kapitalverbrechen. Wilddieben wurden die Augen ausgestochen, die Hände und Finger abgehauen, die Ohren abgeschnitten, und wenn sie zu Zwangsarbeit verurteilt waren, so verschärfte man die Strafe dadurch, daß sie »in Eisen und Banden« mit einem am Kopf festgebundenen Hirschgeweih schuften mußten. In ihrem Eifer und Haß ließen die Landesherren häufig auch ungesetzliche Strafen vollstrecken. So soll Herzog Moritz von Sachsen befohlen haben, einen Wilddieb in das Geweih eines lebendigen Hirsches zu binden und das verängstigte Tier dann mit Hunden durch den Wald zu hetzen, damit dieser unselige Mensch von den Bäumen und Hecken zerfetzt wurde. In die Hirschhaut nähen und von Hunden auf dem Markt zerfleischen ließ der Fürsterzbischof von Salzburg 1557 einen Bauersmann, der einen Hirsch erlegt hatte. Und von Herzog Galeatus Sforza von Mailand wurde berichtet, er habe den Erleger eines Hasen gezwungen, das Tier mit Haut und Haaren zu essen, woran dieser jämmerlich zugrunde gegangen sei. Statt selber jagen zu dürfen, wurde die bäuerliche Bevölkerung gezwungen, Fronarbeiten bei adligen Jagdpartien zu leisten. Aus den Memoiren des Baron von Wimpfen, eines Höflings des Herzogs Karl Eugen von Württemberg, erfährt man, daß für ein Jagdvergnügen die Bauern nicht weniger als sechstausend Hirsche zum Jagdschloß Solitude zusammentreiben mußten. Genau 21 584 Männer und Knaben mit zusammen 3237 Pferden waren damit wochenlang beschäftigt. Sie erhielten keinen Lohn, mußten sich sogar selbst verköstigen und mit der Bewachung des zusammengetriebenen Wildes ihre Zeit vergeuden. Der verzweifelte Kampf der Bauern gegen die Tyrannei und den Wildschaden rief schließlich die Wilddiebstahlsbanden mit politischem Hintergrund auf den Plan, die sich als Vorkämpfer der Unterdrückten ansahen und für sich die Entschuldigung rechtmäßigen Handelns in Anspruch nahmen. Keine dieser Banden ist bekannter geworden als die des Matthäus Klostermaier, der als Bayerischer Hiasl in die Geschichte eingegangen ist und der am 6. September 1771 in Dillingen an der Donau unter dem Jubel der Jägerschaft hingerichtet wurde. Zuerst erdrosselte man ihn, dann wurden seine Glieder mit dem Rad gebrochen; schließlich schlug der Henker Klostermaiers Kopf ab und zerteilte den Körper in vier Stücke.

Das Wildern besitzt also eine lange historische Entwicklung und Tradition, die eng mit der Existenz des bäuerlichen Menschen, besonders mit den Gebirglern, verbunden war und etwa bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts gepflegt wurde. Mit der Überlegung, daß alle Menschen ein Recht an der Jagd hätten, rechtfertigte der Wildschütz sein rechtswidriges Handeln. Auf dieses »ererbte Jagdrecht« bezog sich Anton Schlossar, der Autor des 1879 veröffentlichten Werkes Österreichische Cultur- und Literaturbilder, in dem er feststellte: »Dem eigentlichen Jäger tritt nun in den Bergen freilich noch eine Gestalt zur Seite, nicht minder unentbehrlich für die Charakteristik der Gebirgslandschaft, nämlich der Wildschütz, der ›Wildpratschütz‹, wie er eigentlich im Volksmund heißt. Der Wildschütz recrutiert sich aus der ganzen männlichen Bevölkerung der Gegend, mit Ausnahme natürlich des berechtigten Jägers, er betrachtet es als eine Verhöhnung der ihm von Gott gegebenen Rechte, daß es verboten sein soll, ›Gamserl‹ zu schießen, und gerade für diese so gefährliche Jagd ist er am meisten eingenommen, und sie pflegt er eigentlich wie der Jäger ununterbrochen, jeder Gang zum ›Dirndl‹ auf die Alm bietet Gelegenheit, offen oder verborgen den Stutzen mitzunehmen, und nicht selten bringt er bei der Rückkunft einen feisten Gamsbock mit, unbekümmert um alle Paragraphen des Strafgesetzes, deren Bestimmungen er nur als eine Entehrung seiner Würde sieht.« Neben dem »ererbten Recht« und der Genug -tuung, das herrschaftliche Jagdmonopol zu durchbrechen, war es aber immer wieder die Not und Armut der Bevölkerung, weniger die Jagdleidenschaft, die zum Wildern verführte. Außerdem verschaffte es Ansehen innerhalb der Gemeinschaft junger Männer im Dorf und war ein Beweis für Mut, Unerschrockenheit und Schläue. Der Wildschütz mußte sein »Revier« außerordentlich gut kennen, die geheimen Pfade und Schlupfwinkel, und im Alpenland ein geübter Bergsteiger sein.

Geschah es, daß ein Wilderer von einem Jäger oder Gendarmen ertappt und erschossen wurde, gestaltete sich das nachfolgende Begräbnis meist zu einer Demonstration der Solidarität mit dem Toten. Man trug zum Trotz die Symbole der Jägerschaft, wie den Gamsbart am Hut, warf einen frischen »Bruch«, das grüne Tannenzweiglein, auf den Sarg, und nicht selten schworen die Angehörigen noch am offenen Grab blutige Rache. Die Wirklichkeit des Kampfes Jäger gegen Wildschütz und umgekehrt, die bisweilen recht brutal war, wurde in unzähligen Bänden der Trivialliteratur idealisierend beschrieben, und auch der Heimatfilm nahm sich oft und gerne dieses Themas an.

Quellen#

  • Verschwundene Arbeit, R. Palla, Christian Brandstätter Verlag, 2010


... mit freundlicher Genehmigung des Christian Brandstätter Verlags.