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Der Komplize #

von Alexander Horwarth

Die offiziellen Bezeichnungen für all die Tätigkeiten, die Wolfgang Ainberger seit Anfang der 1970er Jahre rund um – und für – das österreichische Filmschaffen ausgeübt hat, treffen das Eigentliche nicht. Diese offiziellen Bezeichnungen lauten unter anderem: Verlagslektor, TV-Redakteur, Dramaturg, Co-Produzent, Drehbuchautor, Commissioning Editor, Festivalleiter, Direktor der Filmförderung… Darin artikuliert sich schon eine ganz spezielle Vielfalt, Vielfarbigkeit.

Aber das Eigentliche liegt dennoch woanders: nicht in der "job description", die von außen kommt, sondern in der "job transcription" durch den, der diese Tätigkeiten konkret ausübt; d.h. in der Art, in der jemand eine trockene Berufsbezeichnung zu etwas ganz Persönlichem macht, wie er sie für sich selbst übersetzt, interpretiert, umschreibt, neu formuliert, und damit auch ein Vorbild schafft für die, die ihm in der jeweiligen Tätigkeit nachfolgen. Etwas Spürbares, das Spuren hinterlässt; etwas, an dem man sich reiben kann, das nicht in der Funktion verschwindet, sondern eine eigene Form gewinnt, Resultate hervorbringt, Werke.

Wolfgang Ainberger hat seine Tätigkeiten immer zugunsten derer interpretiert, deren Werke er auf den Weg bringen wollte (oder deren Ideen noch weit von der „Werkförmigkeit“ entfernt waren). Er betrachtet diese Leute – Filmkünstlerinnen und -künstler – nicht als „Klienten“, „Bittsteller“ oder als „notwendiges Übel“ (wie es manchmal im Kontext der TV-Produktion oder der Filmförderung praktiziert wird), sondern als essentielle Voraussetzung für sein eigenes Tun: Ohne sie gäbe es das ganze Rundherum nicht, keine Filmkultur, keine Lektoren, Dramaturgen, Filmredaktionen, Produzenten, Filmfestivalleiter, Filmförderer, Verleiher, Kinobetreiber, Filmarchive oder Filmmuseen.

Da aber auch sie, die Filmkünstler/innen, nicht völlig autonom handeln können (wie auch sonst niemand in einer stark arbeitsteiligen Gesellschaft und in einer besonders arbeitsteiligen Branche), brauchen sie Verbündete; Personen, die ihre Energien zu teilen und zu vermehren imstande sind, die ihre Leidenschaften unter dem Gesichtspunkt der Realisierung, d.h. auch der „Machbarkeit“ betrachten und dennoch das Utopische daran zu bewahren versuchen.

Die Personen, von denen die Rede ist und unter denen Wolfgang Ainberger ein hervorstechendes Beispiel darstellt, sind die Komplizen. Unter diesem „Titel“ stand auch meine erste Begegnung mit ihm, als ich ihn darum ersuchte, für mein Buch über den Filmemacher Michael Haneke einen Essay zu verfassen. Der schöne, sehr persönliche Text, den er über die langjährige Zusammenarbeit mit Haneke schrieb, fand seinen Platz in dem Buchkapitel „Komplizen“. Er berichtet darin von den intensiven, Tage und Nächte ausfüllenden Gesprächen über Projekte und Drehbücher, von gemeinsamen Kinobesuchen, geteilten Lebenserfahrungen – und von dem Glück, noch in den schlimmsten Krisensituationen (z.B. am Drehort) ein Werk vor Augen zu haben, das alle Mühen, Reibungen, Schmerzen rechtfertigt. In diesem Text steht auch ein Satz, der Ainbergers Grundhaltung als „Möglichmacher“ (beim Österreichischen Rundfunk und anderswo) charakterisiert: „Das alte Lied: Die Mittelmäßigen, die Ellbogentechniker, kommen von selber. Die Guten muss man auffordern, ihre Skrupel und ihre Ängste zerstreuen.“

Wenn man die lange Liste von Filmprojekten und Künstler/innen studiert, die auf Wolfgang Ainbergers Komplizenschaft zählen konnten oder von ihm angeregt (bzw. zusammengebracht) wurden, zeichnet sich darin eine nahezu lückenlose Geschichte des Neuen Österreichischen Films ab – inklusive einiger wichtiger Ableger, Vorläufer, Querschläger, die normalerweise von Fernseh- und Filmförderungsanstalten keines Blickes gewürdigt werden.
Da sind einige der riskanten, heute fast vergessenen Experimente aus der Aufbruchszeit des ORF Anfang der 70er Jahre, die Ainberger noch als Lektor und „Drehbuchumschlagplatz“ in der Universal Edition betreute (Filmarbeiten von Herbert Brödl, Wilhelm Pevny, Michael Scharang, Peter Handke; auch die Alpensaga von Turrini/Pevny/Berner nahm hier ihren Ausgang.

Da ist die legendäre Blüte des österreichischen Fernsehfilms Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre (ein erster Drehbuchauftrag an Ernst Hinterberger, den späteren Erfinder des „Mundl“; das Zusammenbringen von Peter Patzak und Helmut Zenker, woraus Kottan und Kassbach entstehen sollten; der Mehrteiler Lebenslinien von Käthe Kratz; mehrere Werke von Fritz Lehner, darunter dessen bester Film Schöne Tage; vier herausragende TV-Filme als Redakteur von Michael Haneke, usf.).

Da ist die engagierte Unterstützung von Erstlingsfilmen, also die „Wette“ des Filmförderers auf junge Filmemacher/innen, die alles andere als eine „sichere Bank“ darstellen (Angela Summereders Zechmeister, Andreas Grubers Drinnen und Draußen, Niki Lists Malaria, Paulus Mankers Schmutz, Michael Kreihsls Idomeneo, Wolfgang Murnbergers Himmel oder Hölle, Michael Glawoggers Die Ameisenstraße, Barbara Alberts Nordrand u.v.a.).

Da ist das Interesse und der Einsatz für den Autoren-Dokumentarfilm, für kantige Gegenstücke zu den glatten TV-Doku-Formaten (Ulrich Seidls erster Langfilm Good News, die Filme des radikalen Außenseiters Peter Schreiner, Leopold Lummerstorfers Der Traum der bleibt, und nahezu alle Filme von Egon Humer). Und da ist schließlich – im Rahmen der von Ainberger massiv geprägten „Kunststücke“-Reihe des ORF – die Lust, das Fernsehen auch für die ebendort höchst „unwahrscheinlichen“ Filmkünstler/innen zu öffnen, nämlich die Exponenten der österreichischen Avantgarde (Produktionsaufträge an Valie Export, Hans Scheugl, Peter Weibel, Präsentationen von Kurt Kren, Linda Christanell, Lisl Ponger, Dietmar Brehm – zu letzterem gab es eine ganze Filmnacht samt Porträtfilm).

Aus all dem spricht vor allem eines – etwas, das in den Institutionen, für die Wolfgang Ainberger tätig war, zu den seltensten Gütern gehört: die Passion für die Sache Film (anstatt für die jeweilige Funktion oder Institution oder das gerade en vogue befindliche). Und: der Wille, die „Skrupel und Ängste“ derer zu zerstreuen, die man für sich als die „Guten“ identifiziert. Man wird bei solch einer Aufgabenstellung nicht immer „Recht behalten“ – aber darum geht es in Wirklichkeit gar nicht. Worum es geht, ist der Versuch, sich ein Stück weiter als die anderen aus dem Fenster zu lehnen, um die frische Luft aufzunehmen, die von überall, aus ganz unerwarteten Richtungen daherzuströmen beliebt.

A.H., November 2008