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Andreas Lehne (Hg.): Wiener Stadt- und Burgbefestigung#

Bild 'Stadtmauer'
Wiener Stadt- und Burgbefestigung. Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege Heft 1/2 2010. Hg. Andreas Lehne, Österreichisches Bundesdenkmalamt. Verlag Berger Horn/Wien. 224 S. illustriert

Tagungsbände erscheinen meist erst lange nach den Kongressen, auf denen die Vor- bzw. Beiträge zu hören waren. Und sie richten sich meist an jenes Fachpublikum, das die Symposien besucht hat. Nicht so beim vorliegenden Band. Er lag schon wenige Monate nach der von der Akademie der Wissenschaften und dem Bundesdenkmalamt organisierten Tagung "Die Wiener Burgbefestigung" vor. Anlass war der 200. Jahrestag der Sprengung der Anlagen durch Napoleonische Truppen anno 1809.

Naturgemäß richtet sich die Publikation an ExpertInnen, doch ebenso an die interessierte LeserInnenschar. Diese ist wohl, wie die AutorInnen, unterschiedlichsten Disziplinen zuzurechnen: Archäologie, Architektur, Archivwesen, Bauforschung, Burgenforschung, Denkmalpflege, Europäische Ethnologie, Germanistik, Geographie, Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte, Landschaftspflege, Medienforschung, Militärgeschichte, Theaterwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. 19 AutorInnen zeichnen ein ebenso seriöses wie buntes Bild der Burg, der Basteien und des Glacis vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert.

Der einleitende große Überblick - von der römischen Stadtbefestigung bis zur Anlage der Ringstraße stammt aus der Feder von Ferdinand Opll, Direktor des Archivs der Stadt und des Landes Wien.

Heike Krause und Ingrid Mader präsentieren die Ergebnisse stadtarchäologischer Grabungen im Bereich Seilerstätte und Wipplingerstraße, wo gut erhaltene Bastei-Mauern gefunden wurden.

Paul Mitchell widmet sich der Hofburg als Festung (13. - 16. Jahrhundert) und illustriert seinen Beitrag mit historischen Ansichten und aktuellen Fotos. Sie zeigen beispielsweise, wie bei Arbeiten am Kongresszentrum Buckelquadern, ein Symbol der Wehrhaftigkeit, an den Fassaden zum Vorschein kamen.

Markus Jeitler wertete erstmals Schriftquellen aus, die sich auf die Errichtung der Burg- und Löblbastei beziehen. Sie enthalten Hinweise auf Bauorganisation, -materialien und ausführende Handwerker. Man erfährt, dass der Bau der "Neuen Bastei" bei der Hofburg vier Jahre (1544-1548) dauerte und 67.000 Gulden kostete.

Sybille Grün beschäftigt sich mit der Burgbastei im 15. und 16. Jahrhundert, als diese nicht nur zugleich Militär- und Profanarchitektur war, sondern auch als Plattform für Lustbarkeiten diente.

Diether Kramer und Leopold Toifl bringen einen Vergleich der Wiener mit der Grazer Stadtbefestigung, deren einzelne Festungsabschnitte zwischen Bau und Demolierung sie vorstellen.

Markus Jeitler, Richard Kurdiovsky und Anna Mader-Kratky zeichnen als Konzeptteam verantwortlich. Ihren gemeinsamen Artikel in der Publikation übertiteln sie "Niveaus und Terrains. Zur räumlichen Entwicklung der Wiener Burgbefestigung."

Andrea Sommer-Mathis beleuchtet den Aspekt "Fest und Festung". Tanzsäle und Opernhäuser werden üblicherweise nicht mit Festungsbauwerken assoziiert. Doch war die Burgbastei schon bald nach ihrer Fertigstellung im 16. Jahrhundert Schauplatz spektakulärer höfischer Feste.

Claudia Reichl-Ham gibt eine Chronologie der 62-tägigen Belagerung durch die Türken im Jahr 1683. Ihre Bilanz: Etwa 100.000 feindliche Bomben und Geschützkugeln waren abgeschossen worden. 41 Minen hatten die angegriffenen Bauwerke großteils zerstört. Auf Seiten der Kaiserlichen überlebten nur 53 Offiziere die Belagerung, 5.000 Soldaten wurden getötet und 2.000 verletzt, 1.650 Bürger starben. Die Verluste der Osmanen werden auf 48.500 Mann geschätzt.

Johannes Feichtinger behandelt unter dem Titel "Auf dem Zauberhaufen" die Funktionalisierung des Gedächtnisses an den Entsatz Wiens 1683. "Zauberhaufen" ist ein Synonym für den Burgravelin, den die Osmanen zum Zentrum ihrer Angriffe machten. Auch ein patriotisches Bild zur 200-Jahr-Feier, 1883, trug diesen Titel.

Jochen Matz geht der Frage nach der gärtnerischen Nutzung von Teilen der Burgbefestigung nach, die schon 1539 einsetzte, allerdings 100 Jahre später rückgängig gemacht wurde. Allmählicher Bedeutungsverlust führte zur Gestaltung des Geländes als Erholungsraum, der im Burg- und Volksgarten erhalten blieb.

Werner Michael Schwarz setzt sich mit der Kritik an der Stadtbefestigung auseinander. Die Reiseschriftsteller der Aufklärung wünschten sich ein "neues Wien" ohne Umwallung, die auch eine soziale Hürde zwischen der City und den Vorstädten bildete.

Anna Mader-Kratky widmet sich der Burgbefestigung im 18. Jahrhundert, als Kaiser Joseph II. das ehemals militärische Areal als Freizeitraum für die Bewohner öffnete. 1809 schließlich wurde auf Befehl Napoleons die Burgbefestigung gesprengt. Eine Veränrrung, die auch die Phantasie der Architekten beflügelte.

Daran schließt zeitlich der Beitrag von Christian Benedik an. Nach der Aufhebung Wiens als Festungssttadt 1817 verlieh der Hofarchitekt Ludwig von Remy in Zusammenarbeit mit Luigi Cargnola und Pietro Nobile dem äußeren Burgplatz sein neues Aussehen.

Reingard Witzmann schildert das biedermeierliche Bürger-Leben auf den neu gewonnenen Flächen, auf denen bald Kaffeehäuser und Limonadenzelte für die Erfrischung der zahlreichen Besucher sorgten.

Harald R. Stühlinger zeigt Fotografien vom Areal der Burgbastei und des Äußeren Burgplatzes aus der Zeit zwischen 1850 und 1865 in ihrem historischen Kontext. Der Abbruch der Stadtbefestigung wurde ab 1858 systematisch dokumentiert.

Richard Kurdiovsky beschreibt das allmähliche Verschwinden der Wiener Stadtmauer und die Planungen für Ringstraße und Kaiserforum. Dabei zeigen sich zwischen 1858 und 1876 drei Phasen, in denen die Stadtmauer im Hofburgbereich teilweise ersetzt und reduziert wurde, bis sie ganz verschwand.

Nach der Schleifung der Basteien betrachtete man diese manchmal mit theatralisch-nostalgischem Blick. Ihrer Darstellung im Film und auf der Bühne widmet sich der letzte Beitrag, den Elisabeth Großecker verfasst hat. 1923 wurde Arthur Schnitzlers Drama "Der junge Medardus" verfilmt, das 1910 im Burgtheater uraufgeführt worden war. Die befestigte Stadt mit dem Stephansdom im Zentrum bildete eine eindrucksvolle Kulisse. Doch, so schreibt Großecker: "Wie eine Metapher mutet eine Photographie an, die das Filmteam in der Miniaturkulisse von 1923 zeigt: aus dem Verteidigungswerk der Stadt war die Lieblingspromenade der Wiener geworden und schlussendlich eine Kulisse verlorener Erinnerung."