Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Michael Maurer (Hg.): Festkulturen im Vergleich #

Bild 'Festkulturen'

Michael Maurer (Hg.): Festkulturen im Vergleich. Inszenierungen des Religiösen und Politischen. Böhlau Verlag Wien Köln Weimar 2010. 356 S., € 44.20

"Festkulturen im Vergleich" ist kein spezifisch österreichisches Buch, sondern ein europäisches. Dennoch lassen sich erhellende Parallelen zum hiesigen Festgeschehen ziehen. Ganz besonders im Hinblick auf die "Bemerkungen zur Festkultur der Gegenwart". Winfried Gebhardt referiert darin die Veralltäglichung des Festes in der Eventkultur. Schon 1968 war der Soziologie die "Vervielfachung des festlichen Angebots, die wachsende Zahl von Volks-, Bier-, Wein-, Schützen- und Musikfesten, von Stadt- und Stadtteilfesten, Rock-, Jazz- und Popfestivals …" aufgefallen. Gebhardt nennt Events die "spätmodernen Formen des Festlichen", die seit den 1990er Jahren die Hoch-, Populär- und Alltagskultur dominieren. Dabei arbeitete er fünf Entwicklungen heraus: Deinstitutionalisierung - Feiern klassischer Institutionen verlieren an Akzeptanz und Legitimation. Events sollen spektakulär sein und prominente Stars aufbieten. Entstrukturierung- die früher typische Homogenität der Teilnehmer löst sich auf. Events kombinieren Gestaltungselemente aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Ein Gesamtkunstwerk ist gefragt, das als schönes Erlebnis in Erinnerung bleibt. Profanisierung - Rituelles und Vorgeschriebenes wird abgelehnt, das Event soll "Spaß machen". Multiplizierung' - die Zahl der Events nimmt ständig zu. Ökonomisierung - Events werden veranstaltet, um damit direkt oder indirekt Geld zu verdienen. Diese Entwicklungen verändern die Feste. In der Erlebnisgesellschaft ist die Form wichtiger als der Inhalt. Alte Feste wirkten gemeinschaftsstiftend. Bei Events beschränkt sich die Gemeinsamkeit auf die Dauer des Ereignisses. Beispiele dafür geben kirchliche Jugendtreffen ebenso wie Flash mobs oder Public viewing von Sportveranstaltungen. Es wächst die Bedeutung des Emotionalen, Ekstatischen bis zum Exzessiven. Die spätmodernen Formen stellen Fluchtpunkte dar, "in denen das im Alltag zunehmend als spezifischer 'Einzelkämpfer' auftretende Individuum die Chance zu haben glaubt, sich für den Moment als Teil eines größeren Ganzen zu fühlen, ohne sich auf Dauer binden zu müssen. Das macht sie attraktiv und auf unabsehbare Zeit unverzichtbar."

Der Herausgeber Michael Maurer verweist auf den Plural "Festkulturen". Der Band vereint 17 Beiträge und dokumentiert eine Tagung, die 2009 in Jena stattgefunden hat. Der Vergleich früherer und späterer Krönungsfeste führt in die Welt des Höfischen und Städtischen. Universitäre Solennitäten stellen sich als "rites de passage" und Signale akademischer Freiheit dar. Geburtstagsfeste wurden erst im 18. Jahrhundert zu einem Familienritual der Bürger (deren Stand durch Besitz und Bildung charakterisiert war). Zuvor hatte nur der Adel Geburtstagsfeiern inszeniert, die einen willkommenen Anlass für Selbstdarstellung und Loyalitätsbekundungen boten. Fragen des Kulturtransfers spielen in die Festgeschichte, wenn etwa höfisches Feiern zum Symbol kultureller Beziehungen wurde, oder wenn sich Ähnlichkeiten politischer Massenveranstaltungen in Deutschland und Italien während der 1930er Jahre zeigten.

Den deutschen evangelischen Theologen Johann Hinrich Wichern (1808-1881) kennt man als Gründer der Inneren Mission und Erfinder des Adventkranzes. Er übernahm die Idee des "Rettungshauses" für befürsorgte Jugendliche von dem eine Generation älteren Johannes Daniel Falk (1768-1826), der in Weimar ein ähnliches Hilfsprojekt ins Leben gerufen hatte. Falks Erziehungsstil war in gewisser Weise offener und nicht konfessionsbezogen, doch stand er Festen und Tanzunterhaltungen mißtrauisch gegenüber. In Wicherns "Labor der Sozialpolitik" war hingegen das Feiern ein allgegenwärtiges pädagogisches Prinzip. Die Jugendlichen, die in seinem Heim in familienähnlichen Kleingruppen wohnten, sollten das Leben als "immerwährendes Fest" erleben. 1845 verfasste er das "Festbüchlein des Rauhen Hauses zu Horn", in dem er schreibt: " Außer den regelmäßig wiederkehrenden Festen an den jährlichen Gedächtnistagen feiern wir noch manches andere Hausfest … ein besonderes Erntefest, ein Kartoffelfest, ein Liederfest, und was sonst Anlass gibt zu besonderer Freude und Festlichkeit, woran es ja in einem Hause, wo man sich lieb hat, nicht fehlen kann."