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Leopold Rosenmayr: Im Alter - noch einmal - leben#

Bild 'Alter'

Leopold Rosenmayr: Im Alter - noch einmal - leben. Mit einem Vorwort von Hubert Christian Ehalt. LIT Verlag Wien 2011. 216 S., € 19.90

Ein alter Herr blickt mit großen, dunklen Augen vom Cover des Buches. Der Gesichtsausdruck wirkt weise, vertrauensvoll und verrät hintergründige Fröhlichkeit. Das Bild zeigt Leopold Rosenmayr, geb. 1925, em. Universitätsprofessor für Soziologie und Sozialphilosophie. Nach mehr als 30 Büchern setzt sich der "Alternsforscher der Nation" mit "humanen Erneuerungskräften" auseinander. Wortgewandt, wie man es von ihm gewohnt ist, zeigt er Alternativen zur landläufigen pessimistischen Sicht, die Altern als Prozess von Abbau und Verlust darstellt. Für den in den heutigen Gesellschaften möglichen, neuen Lebensabschnitt empfiehlt Rosenmayr Offenheit, und er ermutigt, Neues zu erkunden. Wie das möglich ist, zeigt er an Beispielen historischer und rezenter Kulturen, anhand von Überlieferungen, eigener Feldforschung in verschiedenen Kontinenten und sehr persönlichen Erfahrungen.

Üblicherweise findet man das Portrait eines Autors nicht auf dem Umschlag, sondern beim Klappentext eines Buches. Bei diesem steht aber ein Symbolbild: Eine bizarre Föhre, die aus einer kahlen, steilen Feldwand wächst. Sie markiert den Beginn von Rosenmayrs neu gewonnenem Leben, ihre Äste boten dem abstürzenden Kletterer Halt. Den einzelnen Kapiteln sind Bilder beigegeben, die den Text verstärken und zu denen der Autor eine besondere Beziehung hat: eigene Zeichnungen, Fotos von ethnographischen Plastiken oder seinem Urgroßvaters, einem Mühlviertler Bauern, der das 100. Lebensjahr erreichte.

Das Buch besteht aus fünf großen Teilen. Das Vorwort hat Hubert Christian Ehalt verfasst, den der Autor treffend als "ebenso klarsichtige wie hochgebildete Persönlichkeit der Kulturförderung und Kulturpolitik" charakterisiert. Ehalt wiederum bezeichnet seinen Fachkollegen als Vertreter eines Gelehrtentypus, "der sehr selten geworden ist": "Leopold Rosenmayr hat sich nie damit begnügt, 'Soziologe' zu sein, er war stets Philosoph, hatte aber mit seinem historischen Interesse immer auch einen Blick auf die 'longe duree' des Sozialen. … (Er) gibt Rat für etwas, was heute schick Empowerment heißt, was aber bei Posenmayr zur brandaktuellen Beschreibung und Postulierung einer alten Tugend - ars vivendi und ars moriendi - wird."

In seiner Einleitung schreibt der Autor: ' "Der Mensch wird mit vielen Möglichkeiten geboren. Weder die Genetik oder die Umwelt allein, noch beide zusammen, legen ihn fest. Er selber muss sich daran beteiligen, um ihm selber entsprechend seinen Weg durch das Alter zu finden. Es bleibt genug Spielraum für eigenes Unglück und Glück. 'Noch einmal leben' heißt daher, noch einmal hinschauen, überprüfen und ausloten … Liebe zu gewinnen und zu geben … Im Alter noch einmal zu leben, heißt nicht, alles neu anzugehen und das Vergangene zurückzustellen oder in Bausch und Bogen zu verurteilen. 'Noch einmal leben' ist als ein neuer Anlauf in einem bereits gelebten Leben gedacht. Die Zukunft ist ein Angebot für uns, und auch unsere Aufgabe, individuell und sozial! Wir brauchen Mut, um in den sich wandelnden Verhältnissen Chancen zu finden. Daraus können wir für unser 'Noch einmal leben', wenn wir die Kräfte dazu finden, das herausholen, herauskämpfen und gewinnen, was sich für die neuen Schritte des nochmaligen Lebensversuches als nötig erweist ..."

Im zweiten Teil, "Langlebigkeit als Aufgabe", stellt sich u.a. die Frage, ob die in den vergangenen 150 Jahren auf das Doppelte gesteigerte individuelle Lebenserwartung "Fluch oder Segen" sei. Um die gewonnenen Jahre zu nutzen, wird es nötig sein, eigene finanzielle, körperliche und geistige Rücklagen aufzubauen, neue Formen der Zuwendung zu finden, Verwandlungsfähigkeit zu erproben, für Gesundheit und innere Harmonie zu sorgen. Dabei ließe sich viel aus anderen Kulturen lernen. Als weitere "Bausteine" nennt der Sozialphilosoph: Auswahlfähigkeit, Lebenslust, Sinngebung, Vertrauen, Rückblick und Vorausblick im Leben, Fantasie und Liebe, einen Freundes- und Bekanntenkreis, sportliche Betätigung, Selbstbestimmung, -achtung und -sicherheit, alles in allem eine "salutogene Lebensführung". Dass in unserer Gesellschaft alte Menschen prinzipiell nicht wertgeschätzt und aus dem Berufsleben hinausgedrängt werden, hängt damit zusammen, dass man sich von ihrem Wissen und ihrer Erfahrung nichts erwartet. Der historische Kulturvergleich zeigt ein anderes Bild, wie es später heißt: "Der soziale Hintergrund. welcher das Chaos bannte und durch das Senioritätsprinzip Ordnung aufrecht hielt, war die Anerkennung der Alten. Es war dies die persönliche wie auch die durchgehende soziale Anerkennung der von den Alten in in ihrem Leben erworbenen Weisheit. … Die Alten wurden zu Menschen, die sagen konnten, wie es weitergehen sollte. "

Der dritte Teil schlägt die Brücke von der Forschung zur Erzählung. Da sind zunächst Erinnerungen an den 100-jährigen Urgroßvater. Die folgenden Kapitel berichten von Expeditionen in den Urwald von Mali, der Rettung einer "Hexe" in einem afrikanischen Dorf und dem entbehrungsreichen Leben der Arbeiterinnen in der dortigen Baumwollfabrik.

Der vierte Teil ist "Unerfülltes und Erfüllbares" übertitelt. Ebenfalls in Mali begegnete der Forscher einem afrikanischen Heiler, der ihn von einer lebensbedrohenden Gelbsucht befreite und dem er zeitlebens verbunden blieb. Bei den Dogon in Westafrika suchte er die Begegnung mit einem Hogon, dem spirituellen Oberhaupt eines Dorfes. Der asketisch lebende weise Greis beeindruckte den Forscher so sehr, dass er nicht wagte, ihn zu fotografieren. Ebenfalls im Dogonland traf er unter dramatischen Umständen auf einen Schlangenfänger und besuchte die Rastplätze für die Ahnenseelen. Hingegen erlebte er anlässlich eines Kongresses eine "späte Liebe in Japan", die er detailreich beschreibt.

Der fünfte und letzte Teil nennt sich "Zur Erweiterung von Sinn". Es geht um das Bergsteigen, einen Felssturz der - wäre er einige Sekunden früher eingetreten - den Autor das Leben gekostet hätte, Philosophisches und Literarisches: Elias Canettis Angst vor dem Tod, Rainer Maria Rilkes "Stundenbuch", Sokrates' "Symposion", die indischen Upanishaden und das babylonische Gilgamesch-Epos. "Der Schluss wäre … 'Noch einmal leben ' verlangt Distanz zu sich selber und erfordert neue Handlungskräfte. Keine 'neuen Blicke durch die alten Löcher' forderte der Aufklärer und Philosoph Georg Christian Lichtenberg (1742-1799)."