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Wien und der Frieden#

Rezension von Peter Diem

Frieden entdecken in Wien
Buch-Cover

Leseprobe

Zugegeben: Einen "Kriegsführer" durch Wien zu schreiben wäre allemal einfacher. Der berühmte Spruch "bella gerant alii - tu felix Austria nube" ("Die Kriege mögen andere führen - Du, glückliches Österreich, heirate!") stimmt nämlich nur bedingt.

Zwar hatten die Habsburger tatsächlich die meisten Teile ihres riesigen Territoriums durch eine äußerst geschickte Heiratspolitik erworben und nicht durch blutige Eroberungsfeldzüge, doch darf man nicht annehmen, dass sie deshalb um so viel seltener ihre Soldaten in den Krieg schickten. Seit der beginnenden Neuzeit, als sich Österreich zunehmend zu einer europäischen Großmacht entwickelte, musste diese Stellung schließlich auch gehalten und gesichert werden und das geschah damals eben meist durch Krieg, der - wie der Preußengeneral Clausewitz es einmal zynisch ausdrückte - eine "Politik mit anderen Mitteln" darstellte. Die Österreicher waren dabei keine Ausnahme: es gab Angriffs- und Verteidigungskriege, blutige Niederschlagung von Revolutionen sowie militärische Annexionen, kurz - alles, was unter europäischen Mächten einst üblich war.

Ohne lange zu überlegen, kann vermutlich jeder, der sich auch nur ein bisschen in der Stadt Wien auskennt, eine ganze Reihe von prominent platzierten Denkmälern auflisten, die etwas mit diesen Kriegen zu tun haben, ob sie nun gegen Franzosen oder Preußen, Türken oder Italiener, Ungarn oder Bayern geführt wurden. Jeder Tourist kennt sie: die Reiterdenkmäler Erzherzog Carls und des Prinzen Eugen am Heldenplatz, das Monument Maria Theresias, umgeben von ihren Generälen hoch zu Ross, Admiral Teggethoff am Praterstern, Feldmarschall Radetzky vor dem ehemaligen Kriegsministerium am Ring, das Deutschmeisterdenkmal neben der Rossauer Kaserne, die Feldherrenhalle des Heeresgeschichtlichen Museums und viele, viele mehr.

Diese Denkmäler wurden alle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet und erinnern seither an "glorreiche" Schlachten, "edle" Feldherren oder "brave" Soldaten. Es war die Zeit, da der Glauben an kriegsbewährte Helden bereits in den Kinder- und Schulbüchern propagiert wurde, eine Zeit, in der man den Krieg als willkommene Gelegen- heil verstand, sich durch "mannhafte" Treue, Vaterlandsliebe und Pflichterfüllung zu beweisen. Etwa zur gleichen Zeit, als all die Denkmäler errichtet wurden, entstand in Europa die organisierte Friedensbewegung. In Wien waren Bertha von Suttner (Nobelpreis 1905) und Alfred Hermann Fried (Nobelpreis 191 1) zwei der bedeutendsten Aktivistinnen dieser Bewegung. Zwischen den Weltkriegen und nach 1945 folgten ihnen viele, die die Friedensarbeit auf unterschiedlichsten Wegen fortführten. Um zu verstehen, wie revolutionär pazifistisches Engagement in einer Stadt wie Wien anfangs war, muss man sich vor Augen führen, dass das Militär (so wie in den meisten europäischen Ländern) damals in Österreich-Ungarn eine enorme Rolle spielte.

Der Erste Weltkrieg#

Der nach Russland zweitgrößte Staat des Kontinents verfügte mit 3,5 Millionen Mann zu Beginn des Ersten Weltkriegs natürlich auch über eine der größten Armeen und über eine der zehn größten Kriegsflotten der Welt. Zwar waren die Truppen schlecht ausgerüstet und im Vergleich zum deutschen Bündnispartner schwach, doch hatten sie in Kaiser Franz Joseph einen zeitlebens unbeirrbaren und kompromisslosen Schutzherrn. So gut wie nie sah man den Kaiser ohne Uniform, was bei seinen Vorgängern keineswegs selbstverständlich gewesen war. Selbst seinen einzigen Sohn Rudolf ernannte er zum Oberst eines Infanterieregiments - und das wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, als dieser noch als Säugling in der Wiege lag. Er wollte, dass Rudolf "von seinem Eintritte in diese Welt an meiner braven Armee angehöre" (so etwas war übrigens noch nicht einmal im durch und durch militarisierten Preußen üblich!).

In der kaiserlichen Familie gab es fast niemanden, der sich der konservativen, klerikalen und militärisch geprägten Erziehung entziehen konnte. Ausgerechnet Kronprinz Rudolf, auf dem später die Hoffnungen mancher Friedenskämpfer ruhen sollten, beging Selbstmord und Erzherzog Ludwig Salvator etwa, der mit der Friedensbewegung sympathisierte und Bertha von Suttner zuweilen finanziell unterstützte, hatte nicht den geringsten politischen Einfluss und galt am Wiener Hof ohnehin als verschrobener Sonderling. Die dominierende und durchwegs positiv besetzte Rolle, die das Militär damals einnahm, machte es den Pazifisten freilich schwer, denn nur zu rasch wurden seine Kritiker öffentlich als "Vaterlandsverräter" oder "Nest-beschmutzer" gebrandmarkt.

Außerdem war das Denken in internationalen Dimensionen - also ein sehr wichtiger Wesenszug der Friedensbewegung zu allen Zeiten - um 1900 selbst in der Donaumonarchie nicht die Regel sondern die seltene Ausnahme. Österreich-Ungarn war zwar ein Staat, der aus vielen Nationalitäten und Ethnien bestand und in dem man mehrere Sprachen sprach, doch von einem friedlichen Miteinander war deshalb noch lange nicht die Rede. Im Gegenteil: immer aggressiver wurde der Ton zwischen Deutschen (also deutschsprachigen Österreichern), Tschechen, Ungarn, Polen usw.. Der immer stärker werdende Nationalismus der einzelnen Gruppen, der Hass und das gegenseitige Misstrauen mündeten nur zu oft in blutigen Straßenkrawallen, im Ausnahmezustand und gegenseitiges Blockieren im Reichrat.

Wenn Bertha von Suttner in Prag öffentlich auftrat, musste sie damit rechnen, dass deutschnationale Studenten den Vortragssaal besetzten, um wieder einmal gegen die Tschechen zu demonstrieren. Suttners Überzeugung "Der Pazifismus ist der Überwinder des nationalen Chauvinismus" wurde von ihren vielen Feinden gleichsam als Provokation verstanden. Anstatt also bewusst das Multinationale im eigenen Staat als Chance anzusehen und den Versuch zu unternehmen, es für alle gewinnbringend zu nutzen, wurden eben jene, die sich dafür einsetzten, mit Spott und Verachtung bedacht. So wie in anderen Städten Europas wurden auch in Wien die Vertreter des Pazifismus zunehmend bedroht, man versuchte sie einzuschüchtern. Wer kosmopolitisch dachte, war von vornherein suspekt, konnte - so hieß es - kein Patriot sein und galt daher als Feind im eigenen Land. Dass bei diesem, von den Deutschnationalen gebetsmühlenartig wiederholten Vorwurf meist auch eine deftige Portion Antisemitismus mitschwang, war leider selbstverständlich.

Die Friedensbewegung#

Die Friedensbewegung rund um Suttner, Fried, Lammasch und andere war zunächst stark bürgerlich geprägt, doch zeigten sich mehrere Berührungspunkte mit den Sozialisten (die seil 1907, dem Beginn des freien und gleichen Wahlrechts, in Wien sehr stark waren und mit dem Frauenwahlrecht ab 1919 endgültig zur dominierenden Kraft in der Stadt wurden). Zwar stimmten beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs die meisten ihrer Abgeordneten der sozialistischen Partei und die Publizisten in die patriotischen Hochrufe mit ein, dennoch gab es in ihren Reihen stets eine große Zahl von Frauen und Männern, die sich der Friedensidee verschrieben hatten. Die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und der Internationalismus gehörten zu den Grundlagen sozialistischer Politik. Auch der offensive Kampf für die Gleichstellung der Frauen wurde nicht zuletzt in Wien von mehreren namhaften Sozialistinnen geführt. Bereits Suttner war übrigens eine der Galionsfiguren der internationalen Frauenbewegung, worüber ihre Gegner nur höhnen konnten. In Deutschland reimte

Felix Dahn etwa auf die Friedensbewegung und Suttners "Die Waffen nieder!" gemünzt:

Die Waffen hoch! Das Schweif, ist Mannes eigen!
Wo Manna-fechten, hat das Weih zu schweigen.
Doch freilich, Männer gibt's in diesen Tagen -
Die sollten lieber Unterröcke tragen.

Als das "Fechten der Männer" im Jahr 1918 endlich vorbei war, lag Europa in Trümmern. Die österreichisch-ungarische Monarchie war nun Geschichte, doch blieb Wien weiterhin Zentrum des intellektuellen Lebens in Österreich. In der Hauptstadt der neu gegründeten Republik wurde in den Kaffeehäusern und Redaktionsräumen wieder offen diskutiert und politisiert und - jetzt allerdings ohne obrigkeitliche Zensur - publiziert.

Karl Kraus brachte "Die letzten Tage der Menschheit" heraus, der Pazifist und Kosmopolit Stefan Zweig stieg mit seinen Werken zu einem der meistgelesenen Autoren Europas auf. Der Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried, aus dem Schweizer Exil zurückgekehrt, trat bis zu seinem baldigen Tod wieder an die Spitze der "Österreichischen Friedensgesellschaft", Richard Coudenhove-Kalergi (siehe Kapitel 10) rief die "Paneuropa-Union" ins Leben und Rosa Mayreder (siehe Kapitel 6) leitete seit 1919 die "Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit". Auch die sozialistische Wiener Stadtregierung bemühte sich damals, neue Akzente zu setzen: Straßen, die einst nach Mitgliedern der Habsburgerdynastie benannt gewesen waren, wurden nun in "Friedensbrücke" oder "Freiheitsplatz" umbenannt, manche der nun neu entstehenden Gemeindebauten erhielten die Namen europäischer Pazifisten. Viele glaubten damals tatsächlich, dass der Weltkrieg mit seiner bis dahin beispiellosen Zahl an Opfern ein "heilsamer" Schock für die Menschheit gewesen, dass nun endlich - wie Stefan Zweig es ausdrückte - "die Bestie gezähmt" sei. Doch dieser Optimismus war, wie wir heute wissen, keineswegs angebracht, denn der alte Geist des Militarismus und Nationalismus war nicht nur nicht verschwunden, sondern wurde im Gegenteil immer aggressiver und extremer. Während Adolf Hitler in Deutschland nicht zuletzt mit jenen aggressiven Parolen, die er in seiner Wiener Zeit erlernt hatte, den Weg zum Reichskanzler ergeiferte, rüsteten sich in Österreich die beiden großen politischen Lager -die Sozialisten und die Christlichsozialen - zum blutigen Kampf gegeneinander. Im Februar 1934 beendete der Bürgerkrieg die Aussicht auf Verständigung. Darauf folgend brachte die Errichtung des katholisch-faschistischen Ständestaats und schließlich der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich unter nationalsozialistischer Herrschaft der Friedensbewegung ihr vorläufiges Ende.

Die nationalsozialistische Ära#

Hatte man sich zuvor als Pazifist schon an vielerlei Schmähungen gewöhnen müssen, so war das öffentliche Eintreten für Frieden und Völkerverständigung nun, unter Hitler, ein sicheres Todesurteil. In "Mein Kampf" erklärte Hitler, was er sich unter Frieden vorstellte "Ein Friede, gestützt nicht durch die Palmwedel tränenreicher pazifistischer Klageweiber, sondern begründet durch das siegreiche Schwert eines die Welt in den Dienst einer höheren Kultur nehmenden Herrenvolkes". Abgesehen davon standen die meisten Vertreter der Friedensbewegung ohnehin auf den schwarzen Listen der nationalsozialistischen Machthaber, waren sie doch entweder Juden, Sozialisten, Freimaurer, Republikaner oder stammten aus dem christlichen Umfeld.

Erst nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs und der Shoah konnten sich in Österreich wieder Menschen öffentlich zusammenfinden, die bereit waren, sich für den künftigen Frieden einzusetzen. Die "Österreichische Friedensgesellschaft Bertha von Suttner" organisierte bereits 1 950 in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum der Stadt Wien im Rathaus eine Ausstellung "Bertha von Suttner und der Beginn der Österreichischen Friedensbewegung". Im Dezember 1952 fand dann in Wien im Konzerthaus der "Völkerkongress für den Frieden" statt, unter hoher internationaler Beteiligung, während von österreichischer Seite ein "Kordon des Schweigens" um die Veranstaltung gelegt wurde, (siehe Kapitel 8) Das Land selbst, seil dem Staatsvertrag im Jahr 1955 zu "immerwährender Neutralität" verpflichtet, führte nun zwar keine eigenen Kriege mehr, doch war die weltpolitische Lage immer wieder bis zum Äußersten angespannt - und auch die österreichischen Pazifisten sahen sich dadurch gefordert. Der Kalte Krieg und die Aufrüstung mit atomaren Sprengköpfen in Ost und West beherrschten das Denken.

Stadt der Begegnung#

Wien bot sich während jener Jahrzehnte wiederholt als neutraler Boden für Gespräche zwischen den Führern der USA und der Sowjetunion an. 1961 fand hier das erste Gipfeltreffen Kennedys mit Chruschtschow statt, 1979 jenes zwischen Jimmy Carter und Leonid Breschnjew, das in der Unterzeichnung des SALT II -Vertrags mündete. Auch die jeweiligen Außenminister der beiden Supermächte trafen einander mehrmals im Rahmen der KSZE-Konferenzen in der Hofburg, um - mit wechselndem Erfolg - über Fragen der Abrüstung zu verhandeln. Die atomare Bedrohung durch die Supermächte war ab den Siebziger-Jahren freilich das dominierende Thema der Friedensbewegung in Österreich, doch verbanden sich die Aufrufe zur Abrüstung bald auch mit dem öffentlichen Widerstand gegen österreichische Rüstungsexporte an Krieg führende Länder. Dazu kam seit 1978 der zunehmende Protest gegen das damals geplante Atomkraftwerk in Zwentendorf. In jenen Jahren begann sich die viel zitierte und viel besprochene "Zivilgesellschaft" zu entwickeln und sich - aus den unterschiedlichsten politischen Lagern kommend - nun für Frieden, Menschenrechte, ökologische Belange und direkte demokratische Mitsprache stark zu machen. Dutzende Vereine, Gesellschaften und Organisationen wurden ins Leben gerufen, die sich das Eintreten für Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit zur Aufgabe machten - und weiterhin machen. Aufgabe dieses Buches soll unter anderem sein, diese vorzustellen. Darüber hinaus sollen die Personen der Friedensbewegung in Wien vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart zumindest in Form eines Überblicks bekannt gemacht werden. Neben den Trägern des Friedensnobelpreises, die in enger Verbindung zu Wien standen und stehen, wird auch über viele andere Persönlichkeiten und Organisationen in Kunst und Kultur berichtet, die auf unterschiedliche Art und Weise Alternativen zu Krieg und Militarismus entwickelten.

Am Schluss dieses Kapitels soll noch an einen frühen Verkünder von Toleranz und liberaler Emanzipation erinnert werden. Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781) hat mit seinen dichterischen Werken die Aufklärung gefördert und mit seiner Ringparabel in "Nathan der Weise" einen Appell für interkonfessionelle Toleranz formuliert, der bis heute bleibende Gültigkeit hat. Sein Denkmal steht seit 1981 auf dem Judenplatz im 1. Bezirk. Das Denkmal war 1935 von Siegfried Charoux geschaffen worden, wurde vier Jahre später jedoch von den Nationalsozialisten entfernt und später eingeschmolzen, um dann 1968 vom selben Künstler neu hergestellt zu werden. Zunächst stand es am Morzinplatz und wurde 1981 an den „alten" Aufstellungsort am Judenplatz gebracht.

Lessing-Denkmal
Lessing-Denkmal - Foto: P.Diem
Mahnmal Judenplatz
Mahnmal Judenplatz - Foto: P.Diem

Susanne Jalka (Hg.) Frieden entdecken in Wien, Pro Business Verlag Berlin, 2011, 212 Seiten und ein Stadtplan