Über den Forschungsschwerpunkt „Sichere verteilte intelligente Multimedia-Prozesse und -Strukturen für die e-University“#
Von
O.Univ.-Prof. Dr.phil. Hermann Maurer
Institut für Informationssysteme und Computer Medien
Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Karl-Christian Posch
Institut für Angewandte Informationsverarbeitung und Kommunikationstechnologie
Die Zukunft des Googelns, das Verschwinden der Elektronik und das Internet der Dinge leiteten diesen Aufsatz ein. Einige Antworten auf diese Entwicklung gibt der Forschungsschwerpunkt „Sichere verteilte intelligente Multimedia-Prozesse und -Strukturen für die e-University“ der TU Graz. Eine kleine Auswahl aus den Forschungsarbeiten dieses Schwerpunkts wird in diesem Aufsatz skizziert.
Die Entwicklung der Informationstechnologie
Etwa alle zehn Jahre beschert uns die technologische Entwicklung ein neues Paradigma in der Computerwelt. So waren die 80er-Jahre durch die Einführung des Personal-Computers gekennzeichnet und die 90er wurden durch die Verbindung zwischen diesen Computern dominiert. Schon zu Beginn dieses Jahrzehnts zeichnet sich ab, dass der nächste Schritt in der Bedeutung der weltweiten Ansammlung von Computern und den darauf gespeicherten Daten besteht. Arbeitete man noch vor einigen Jahren hauptsächlich an der Kommunikationstechnik an sich, so drängt sich derzeit der Umgang mit der Riesenauswahl an verfügbaren Daten sowohl im Alltag als auch in der Forschung in den Vordergrund. Das vermutlich deutlichste Zeichen im deutschen Sprachraum für diese rasche Entwicklung ist die Aufnahme des Wortes „googeln“ in den deutschen Wortschatz: Seit 2004 dürfen laut Duden auch alle Deutsch Sprechenden googeln und downloaden ohne die Regeln der Sprache zu verletzen. Selten zuvor hat es eine neue Wortschöpfung so rasch in den Duden geschafft.
Ein zweiter wesentlicher Trend besteht im „Verschwinden der Elektronik“. Die fortwährende Miniaturisierung in der Mikroelektronik beschert uns immer kleiner und auch billiger werdende Geräte, deren Größe meist nur mehr durch Bildschirm und Tastatur, sofern vorhanden, definiert wird. Dieses Verschwinden geht auch mit einer Reduktion des Energieverbrauchs jedes einzelnen Gerätes einher. Leider wirkt sich diese Energiereduktion durch die starke Zunahme der Anzahl der Geräte in Summe nicht aus. Immer mehr solcher Geräte finden wir auch vernetzt, sodass wir eine Entwicklung zum „Internet der Dinge“ feststellen können. Diese Kollektion von „intelligenten“ Dingen („Things That Think“) und der von diesen Dingen zur Verfügung gestellten Daten führt zu neuen wissenschaftlichen Fragestellungen, zu neuen wirtschaftlichen Lösungen und wird wohl die Entwicklung der Informationstechnologie in den kommenden Jahren dominieren.
Die Kollektion von „Things That Think“ und die in Datenbanken akkumulierten und vernetzten Daten bescheren uns das Substrat für ein breites Feld von wissenschaftlichen Arbeiten. An der TU Graz gibt es Forschergruppen an derzeit nahezu zehn Instituten, welche zum Teil seit vielen Jahren auf dem oben skizzierten Themenfeld arbeiten. Diese Forscher haben vor, gemeinsam im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Sichere verteilte intelligente Multimedia-Prozesse und -Strukturen für die e-University“ systemintegrierend zur verbesserten Positionierung des „Wissensstandorts TU Graz“ in Forschung, Entwicklung und Lehre zu wirken.
In diesem Aufsatz beschreiben wir die Ziele dieses Forschungsschwerpunkts, gehen auf den Nutzen für die TU Graz ein und skizzieren einige Projekte und Realisierungen.
Ziele und erste Erfolge
Die Ziele des Schwerpunkts sind sowohl forschungsorientiert als auch praxisorientiert. Als praxisorientiertes Ziel haben wir eine e-University vor Augen, welche ihre Kernaktivitäten Lehre und Forschung sowie die dazu notwendigen administrativen Prozesse und Strukturen mit einer zukunftsgerechten geeigneten informationstechnologischen Infrastruktur unterstützt. Als forschungsorientiertes Ziel wollen wir die Vernetzung von mehreren Bereichen der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung im Bereich der Informatik und der Informationstechnologie über das bereits bestehende Ausmaß hinaus vorantreiben.
Erste Erfolge sind bereits wenige Monate nach der Bildung dieses Schwerpunkts im Juni 2004 sichtbar. So sind zum Beispiel im Rahmen des Projekts MISTRAL nahezu alle Forschergruppen des Forschungsschwerpunkts beteiligt. Im europäischen Projekt SCARD ist die TU Graz der wissenschaftliche Koordinator – auch hier wirken mehrere Forschergruppen des Forschungsschwerpunkts mit. Diese beiden Projekte sind zusammen mit etwa 1,7 Millionen Euro für die TU Graz dotiert. Weitere Forschungsvorhaben, wie etwa das Projekt GRADL, sind derzeit im Antragsstadium. In anderen Aufsätzen dieses Journals werden zusätzliche Projekte des Schwerpunkts beschrieben.
Praxisorientierung
Das praxisorientierte Ziel des Schwerpunkts besteht darin, wichtige Komponenten einer e-University zu realisieren und die TU Graz als ein Vorbild in Richtung e-University zu platzieren. Dazu gehören:
- Ein e-Knoten für Wissensvermittlung (z.B. e-Learning als Teil von GRADL)
- Ein e-Knoten für Wissen (digitale Bibliothek als Teil von GRADL)
- Ein e-Knoten für administrative Prozesse (Einsatz von sicheren elektronischen Signaturen als Basiselement bei administrativen Prozessen)
- Ein e-Knoten für Vorzeigeprojekte. Beispiele dafür sind:
- SCARD: Informationssicherheit als notwendiger Bestandteil von Informationssystemen bis hin zu den „Things That Think“
- Digital Visual Information Processing als Integration zwischen Computergrafik und Visualisierung
- Robotik-Anwendungen als Motor für Forschung auf dem Gebiet Maschinelles Lernen
- Cognitive Vision als Verbindung von Maschinellem Lernen und Objekterkennung
- Industrielle Geometrie
- Brain-Computer-Interfaces als wichtiger Teilaspekt des Massive Data Processing
- Intelligenter Meeting-Room
Mit der Konzentration auf verschiedene Formen von e-Knoten unterstützt der Schwerpunkt die grundsätzliche Rolle der TU Graz im weltweiten Forschungs- und Bildungsnetzwerk. Zusätzlich wird auch die Transformation der Organisationsabläufe der TU Graz mit Hilfe des Einsatzes informationstechnischer Werkzeuge in Richtung e-University vorangetrieben.
Existierende wissenschaftliche Basis
Die existierende Basis von mehreren Forschungsaktivitäten wer den in eine Richtung vorangetrieben, sodass die bereits vorhandene Verzahnung einerseits intensiviert wird und andererseits Resultate liefern soll, welche an der TU Graz erprobt werden können. Die Basis des Forschungsschwerpunkts stellen existierende Grundlagenprojekte in der Informatik und in der Informationstechnik dar. Nachfolgend stellen wir einige solche Themen vor, wobei jedes von zumindest drei Forschergruppen gemeinsam bearbeitet wird:
- Intelligentes Suchen und Verwalten von Datenbeständen
- Verlässliche, korrekte und sichere Systeme
- Auffinden von Ähnlichkeiten in Texten und anderen Datenbeständen
- Modellierung von Nicht-Text-Daten auf verschiedenen Granularitätsebenen
- Große verteilte Software-Systeme: Entwurf, Verifikation und Zertifizierung
Nutzen für die Universität
Folgende für eine Universität wichtigen Aspekte sollen von der integrierenden Arbeit über mehrere Forschungsprojekte hinweg und der exemplarischen Umsetzung dieser Arbeit profitieren:
- Die TU Graz als Innovator bei der Wissensvermittlung
- Die TU Graz als Wissensknoten
- Die TU Graz auf dem Weg zur e-University
Drei Projektbeispiele aus dem Forschungsschwerpunkt
Die folgenden Kurzbeschreibungen von drei Projekten zeigen, wie durch die Zusammenarbeit von mehreren Forschergruppen der TU Graz neue wissenschaftliche Themengebiete erschlossen werden können.
MISTRAL: Measurable intelligent and reliable semantic extraction and retrieval of multimedia data
Fast alle Forschergruppen des Forschungsschwerpunkts sind bei diesem Projekt beteiligt. Das Thema von MISTRAL ist aus dem Bereich „Semantic Systems“ und wird im Rahmen von FIT-IT vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie gefördert. MISTRAL beschäftigt sich mit effektiven Methoden der automatischen Extraktion von Bedeutungsinhalten aus multimedialen Dokumenten. Dabei ist auch die Ermittlung semantischer Beziehungen zwischen mehreren Dokumenten über verschiedene Medientypen hinweg von Bedeutung. Die ermittelten Zusammenhänge werden
als Metadaten in die Dokumente integriert. Mit den Ergebnissen von MISTRAL wird es gelingen, sich dem „semantischen Web“ einen wichtigen Schritt zu nähern. Vereinfacht gesprochen geht es um folgende typischen Probleme: Wie erkennt man in vertonten Videodaten automatisch einen kläffenden Hund? Damit könnte eine zukünftige Suchmaschine folgende Anfrage erlauben und erfolgreich beantworten können: „Suche alle Videosequenzen mit einem bellenden Hund im Hintergrund und mit spielenden Kindern im Vordergrund“.
Digitale Bibliotheken und e-Learning: Das Projekt GRADL
Forschung und Lehre waren nie ohne Zugriff auf gut ausgerüstete Bibliotheken möglich. Es ist offenkundig, dass sich traditionelle Bibliotheken immer mehr zu Einrichtungen entwickeln müssen, die sich auf digital in vernetzten Datenbanken vorliegende Materialien abstützen, auf eine so genannte „Digital Library“ (DL). Gleichzeitig wird an vielen Orten experimentiert, wie man vernetzte Computersysteme zur Verbesserung des Wissenstransfers verwenden kann, wobei dafür meist der Begriff „e-Learning“ verwendet wird. Fast universell wird übersehen, dass e-Learning ohne große DL wenig sinnvoll ist, ja der Misserfolg fast aller e-Learning-Initiativen auf das Fehlen einer mächtigen DL oder zumindest die Integration mit einer solchen zurückzuführen ist. Ein Grazer Digital-Library-Portal (GRADL) würde weltweit erstmals diese Schwachstelle beseitigen.
Das angestrebte ideale Endziel kann etwa so skizziert werden: Umfangreiche Ressourcen sind über eine einheitliche Schnittstelle verfügbar (darum der Begriff „Portal“) und können von allen einschlägigen steirischen Einrichtungen aber auch Institutionen in aller Welt über ein Computernetzwerk verwendet werden. „Zur Verfügung stehen“ bedeutet aber sehr viel mehr, als nur Informationsabruf zu erlauben: vielmehr sind viel mächtigere Methoden, die aus dem Knowledge-Management stammen, anwendbar und können insbesondere Informationsbruchstücke problemlos zu größeren Einheiten verbunden werden. Auf diese Weise entstehen ohne großen Aufwand Lehreinheiten, die unterstützt durch kollaborative Einrichtungen wie Teletutoren, Diskussionsforen, etc., eine gute Ergänzung, ja sogar eine echte Alternative zum Präsenzstudium anbieten.
Vereinfacht soll dies durch die Abb. 1 und 2 verdeutlicht werden. Das IICM zusammen mit dem Institut für Wissensmangement und JOANNEUM RESEARCH beschäftigt sich intensiv mit neuen Methoden der Wissensauffindung in digitalen Bibliotheken. Ein Beispiel ist die von diesen Gruppen entwickelte elektronische Version des großen Brockhaus. Man sucht etwa nach dem Komponisten Locatelli und findet diesen nicht; man weiß aber, dass er etwas mit der Bolognesischen Gruppe zu tun hat und sucht deshalb nach dieser. Dann findet man nicht nur Information zu dieser Gruppe, sondern ein automatisch generiertes „Wissensnetz“. Dieses zeigt alle Dokumente, die mit der Gruppe in Zusammenhang stehen, grafisch an. Darunter findet man auch den Eintrag Locatelli, und nun durch ein oder zwei Mausklicks Information zu Loactelli, inklusive z.B. eines Bildes (Abb. 3). Der wesentliche Punkt ist das automatisch generierte Wissensnetz; diese Arbeit wurde übrigens schon zum dritten Mal bei der Frankfurter Buchmesse mit dem ersten Preis „Gigamaus“ ausgezeichnet.
SCARD: Side Channel Analysis Resistant Design Flow
Ein „Internet der Dinge“, wie zu Beginn dieses Aufsatzes apostrophiert, schafft eine Reihe von Sicherheitsproblemen. Sind die Daten authentisch? Wie können Daten und deren Austausch aus datenschutzrechtlichen oder lizenzrechtlichen Überlegungen vermieden werden? Das typische Werkzeug für den Umgang mit solchen Fragestellungen verwendet kryptografische Methoden. Dabei werden immer wieder geheime Schlüssel verwendet. Wird dieses Geheimnis preisgegeben, dann hat man ein Sicherheitsproblem. Die geeignete Realisierung von kryptografischen Methoden wird von einigen Forschergruppen des Schwerpunkts in mehreren Projekten verfolgt. Als Beispiel dafür sei hier das Projekt SCARD erwähnt, in welchem geeignete Entwurfsmethoden für Mikrochips entwickelt werden, welche sich gegenüber der so genannten Seitenkanalanalyse resistent zeigen. Die Seitenkanalanalyse nutzt typischerweise das vom Mikrochip abgestrahlte elektromagnetische Feld oder dessen Stromverbrauch aus und ermittelt daraus den geheimen Schlüssel, welcher im Mikrochip zur Verschlüsselung heran gezogen wird.
Als Beispiel eines Mikrochips, welcher kryptografische Berechnungen durchführt, sei auf Abb. 3 verwiesen. Dieser Mikrochip stammt aus dem Projekt „Authentication for Long-Range RFID Technology“. Die Verschlüsselung auf diesem Chip verwendet den Advanced Encryption Standard und kommt mit weniger als 3 Mikroampere aus. Dies ist Weltrekord. Damit können RFID-Mikrochips in Zukunft mit starker Kryptografie ausgestattet werden. Viele Probleme aus der Informationssicherheit und dem Datenschutz sind damit lösbar.