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Hemisphären Tests einer LKW Fahrerkabine#


von


Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Hermann Steffan

Dipl.-Ing. Florian Feist

Institut für Fahrzeugsicherheit


Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Hermann Steffan
Hermann Steffan

Dipl.-Ing. Florian Feist
Florian Feist


© Forschungsjournal SS 05


Einleitung

Das Institut für Fahrzeugsicherheit (VSI) ist einer von 47 Partnern im „Integrated Project on Advanced Protection Systems“ (APROSYS).

Dieses von der EU geförderte Projekt konzentriert sich auf technologische und wissenschaftliche Entwicklungen im Bereich der Fahrzeugsicherheit.

Eines der neun APROSYS- Unterprojekte, welches vom VSI geleitet wird, erforscht Schutzsysteme für ungeschützte Verkehrsteilnehmer1, die in einem LKW Unfall verwickelt sind. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Entwicklung von einem so genannten „Aggressivitäts-Index“ (AI). Der Aggressivitäts-Index umfasst sowohl Aspekte der aktiven als auch der passiven Sicherheit, welche sich ihrerseits wiederum aus drei Komponenten zusammensetzt: Der Struktur-Aggressivität, der Geometrie-Aggressivität und der Überfahr-Aggressivität2. Die Struktur-Aggressivität soll mittels experimenteller Tests ermittelt werden. Für diesen Zweck führte das VSI so genannte Hemisphären-Tests durch. Hemisphären-Tests sind bisher in Verwendung, um den Schutz von PKWs gegenüber Fußgängern zu beurteilen. Eine LKW-Fahrerkabine mittels Hemisphären-Tests zu bewerten ist eine Neuheit.


Rahmenbedingungen

Die Tests wurden mit einer 2,5 kg schweren Hemisphäre (entspricht dem Kopf eines Kindes) und einer 4,8 kg schweren Hemisphäre (entspricht dem Kopf eines Erwachsenen) durchgeführt (gemäß den Test-Richtlinien von Euro-NCAP und EEVC WG 17, Phase 2).

Beginnend mit einer Testgeschwindigkeit von 20 km/h, wurde diese in 5 km/h Schritten solange erhöht bis das Verletzungskriterium HIC(d) den Wert 1000 überstieg.


Ergebnisse

Mit Hilfe eines Bildes werden die Testergebnisse zusammengefasst (siehe Abb. 1 und Abb. 2). Ausgehend von einer Notenskala (siehe Tabelle 1), wurde die LKW-Front bewertet: Dunkelrot kennzeichnet kritische, grün unkritische Bereiche der LKW-Front. Prassad und Mertz [1 bis 4] haben basierend auf Kadaver Tests einen Zusammenhang zwischen HIC3 und Verletzungsschwere AIS aufgestellt. Tabelle 1 listet typische Verletzungen in Abhängigkeit vom HIC auf. Basierend auf den Testergebnissen, zeigt das Bild die Gefährlichkeit der LKW-Front gegenüber ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Offensichtlich ist der Stoßfänger im Bereich der Aufhängung (Verschraubung)besonders gefährlich. Auf der anderen Seite verursachten der Schmutzabweiser und die Windschutzscheibe geringe Beschleunigungen und hatten damit einen kleinen HIC zur Folge. Kleine Teile, wie z.B. der Griff, mittig unter der Windschutzscheibe, waren sehr steif und verursachten hohe Beschleunigungen und damit einen HIC weit über dem Grenzwert von 1000.

Visualisierung der Testergebnisse
Abb. 1 (links): Visualisierung der Testergebnisse bei 20 km/h. Abb. 2 (rechts): Visualisierung der Testergebnisse bei 25 km/h
© Forschungsjournal SS 05


Stoßfänger:

Der Stoßfänger absorbiert nur wenig Energie und ist extrem steif (siehe Abb. 1 und Abb. 2, Area 1). Die Verformung im äußeren Bereich wird durch die dahinter liegende Fahrertreppe eingeschränkt. Daher verschlechtern sich die Ergebnisse bei höheren Testgeschwindigkeiten überproportional.

Griff:
Der Griff, welcher vom Fahrer genutzt wird, um den LKW besteigen und die Windschutzscheibe zu reinigen, ist ein weiteres kritisches Bauteil. Bei 20 km/h Aufprallgeschwindigkeit wurde bereits ein HIC von 1000 erreicht (siehe Abb. 1 und Abb. 2, Area 3). Der Griff wies infolge der Tests keine sichtbaren Verformungen auf.

Bewertungsschema
Tabelle 1: Bewertungsschema
© Forschungsjournal SS 05

Schmutzabweiser:
Der HIC überschritt selbst bei einer Testgeschwindigkeit von 25 km/h nicht den Wert 500 (siehe Abb. 1 und Abb. 2, Area 2). Der Schmutzabweiser wurde auch im Bereich seiner Fixierung getestet. Bei einer Testgeschwindigkeit von 25 km/h brach der Schmutzabweiser.

Resümee
Die Hemisphären Tests zeigten ein weites Spektrum an Ergebnissen. Mit wenigen Ausnahmen beträgt der HIC-Grenzwert in den internationalen angewandten Testverfahren 1000. Wie man in Abb. 1 und Abb. 2 sehen kann, wird dieser Grenzwert bei fast allen getesteten Bereichen bereits bei einer Testgeschwindigkeit von 25 km/h überschritten. Geht man von den Testverfahren - die in der EU Anwendung finden - und deren Rahmenbedingungen (Testgeschwindigkeit=40 km/h und geforderter HIC<1000) aus, so erscheint die Front gängiger LKWs inakzeptabel. Zum Schutz von Radfahrern und Fußgängern wären Eigenschaften, wie sie der Schmutzabweiser oder die Windschutzscheibe aufweisen, wünschenswert. Die Verwendung von energieabsorbierenden Materialien beim Stoßfänger würde dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit schwerer Verletzungen zu reduzieren.

Abgesehen vom Stoßfänger bergen die A-Säule und der Griff ein hohes Risiko für schwere Verletzungen. Insbesondere Strukturen, wie die des Griffs, könnten einfach verändert werden und dabei Komfort für Fahrer (einfaches Besteigen des Fahrzeuges, Stabilität bei Zugbelastungen) und Sicherheit für ungeschützte Verkehrsteilnehmer (Absorption von Druckkräften) verbinden. Tragende Strukturen, wie die der A-Säule, müssen einem LKW Auffahrunfall (LKW fährt auf den vorausfahrenden LKW auf) und verschiedenen Tests (wie z.B. Pendeltest oder Dachdrück-Test) standhalten. Die

A-Säule Fußgänger-freundlich zu gestalten, wird weitaus schwieriger sein als das beim Griff der Fall ist: Der Ansatz ist – wie beim Stoßfänger – eine stufenweise kollabierende Struktur zu entwickeln, welche sowohl die Energie kleiner, lokal auftretender Lasten absorbiert, aber auch hohen Kräften des LKW Auffahrunfalls standhält.


Referenz

[1] Prasad P. and Mertz H., 1985. The Position of the United States Delegation to the ISO working group 6 on the use of HIC in the Automotive Environment, SAE technical Paper Series.
[2] Shojaati, M., 2003. Correlation between injury risk and impact severity index ASI, 3rd Swiss Transport Research Conference Paper - Session Safety.
[3] N.N. Injury Risk Curves and Protection Reference Values. http://www.nhtsa.dot.gov/cars/rules/rulings/80g/80gii.html
[4] N.N. Injury Criteria. http://www.nhtsa.dot.gov/airbag/PrelimEconAssess/ chpt03.html
[5] Niewöhner, W., Berg, F.A., 2004. Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern an Kreuzungen durch rechts abbiegende LKW, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Fahrzugtechnik, Heft 54


Links
APROSYS: www.aprosys.com
VSI-Homepage: www.vsi.tugraz.at


1 „Ungeschützte Verkehrteilnehmer“ ist ein Sammelbegriff für Fußgänger und Radfahrer
2 Ein Gutteil aller tödlichen Verletzungen wird durch das Überrollen des ungeschützten Verkehrteilnehmers verursacht.
3 HIC ist ein sogenanntes Verletzungskriterium. Vereinfacht ausgedrückt ist der HIC eine mittlere Beschleunigung während einer bestimmten Zeitspanne (Δt=15ms oder 36ms) multipliziert mit der Dauer der Zeitspanne