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Konrad Paul Liessmann: Das Universum der Dinge#

Bild 'Dinge'

Konrad Paul Liessmann: Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen Verlag Zsolnay Wien 2010. 208 S. € 18,40

Einst wusste man, woher alles kam, was man zum Leben brauchte. Die Handwerker arbeiteten um die Ecke, die Produktion sichtbar, hörbar und riechbar. Mechanisierung und und Industrialisierung brachten das Handwerk zum Verschwinden, später zogen auch die Fabriken weg. Heute spricht man von Globalisierung und Automatisierung. Kaum jemand weiß, oder denkt darüber nach, woher Gebrauchsgegenstände kommen. Einer, der nachgedacht hat, ist der publicity- und publikationsfreudige Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann. Sein jüngstes Buch "Das Universum der Dinge" handelt von der Ästhetik des Alltäglichen. Für Philosophen hat die Beschäftigung damit einen "Hauch von Luxus", wie der Autor sein Vorwort übertitelt. "Das Banale und Gewöhnliche unseres Lebens wird als illegitimer Gegenstand für die Philosophie plötzlich zum Außergewöhnlichen". Dabei geht es doch nur "schlicht darum, einige Dinge, mit denen wir Tag für Tag zu tun haben, ein wenig besser zu verstehen." Für den "geneigten Leser" werden sich die Betrachtungen, um ein Lieblingswort des Autors zu zitieren, als "spannend und lustvoll" erweisen.

Konrad Paul Liessmann ist ein Meister der seltenen Kunst, komplizierte Zusammenhänge so zu schildern, dass man ihnen nicht nur folgen kann, sondern es auch gerne tut. Einmal neugierig geworden, will man das Buch nicht mehr weglegen. Es handelt sich um eine Bündelung von Gedankengängen, die der Autor in den letzten drei Jahren als Vorträge oder in Artikeln geäußert hat. Zwölf Themen erscheinen, nun in eine einheitliche Form gebracht, als harmonisches Ganzes. Das erste Kapitel widmet sich dem titelgebenden "Universum der Dinge", der Metaphysik der Alltagsgegenstände. Es handelt von den Waren, von denen keiner weiß, woher sie kommen und wohin sie gehen, von Fabriken, Shopping-Malls und Humanität, und es mündet in Fragen wie "Vielleicht sollte man wieder einmal den Gedanken riskieren, dass es neben Arbeit und Konsum auch andere lebenswerte Formen der Existenz geben könnte. Muss sich immer alles um Wachstum, Märkte und Steigerungsraten drehen ?"

"Grünes Licht" rückt den Untertitel ins Zentrum und handelt von den Gesetzen der Alltagsästhetik. Durch Reflexion darüber verliert das Alltägliche seine Banalität.

"Der Guckkasten. Zur Ästhetik der Ansicht" resultiert aus einem Vortrag anlässlich der Alt-Ausstellung in der Albertina. Im Vormärz beauftragte Kaiser Ferdinand I. die Aquarellisten Jakob und Rudolf von Alt, eine große Serie von Guckkastenbildern herzustellen. Die Künstler malten keine biedermeierliche Idylle, "sondern eine Welt der schönen Ausschnitte". Auch heutige Medienkonsumenten nehmen die Guckkastenperspektive ein. Sie haben Bilder eines Ortes im Kopf, bevor sie ihn gesehen haben, und sie sind nicht selten enttäuscht, wenn die Realität anders aussieht. Dennoch ist es häufig gerade der ästhetisierende Guckkasten-Blickwinkel, der das Leben erträglich macht.

"Die mörderischste Droge der Welt" ist ein Beitrag zur "Logik der Rührung". Es geht um Kitsch und Kunst. "Echter Kitsch" ist massenhaft, bunt und erinnert an die Kindheit. Nicht zuletzt deshalb sind Weihnachtsmärkte so beliebt. "Natürlich laufen alle Definitionsversuche von Kitsch so fehl wie von Kunst. Und trotzdem haben die meisten Menschen ein untrügliches Gespür für den Kitsch." Postmoderne Künstler ironisieren ihn mit Kitsch-Art: Kitsch wird Kult.

"Die Schneeschaufel. Wie man mit Theorien Kunst erzeugt". Aus diesem Kapitel sollte man überzeugten Vernissagengehern einiges ins Stammbuch schreiben. "Es gibt Kunstwerke, die dadurch gesetzt sind, dass irgendein je schon vorhandenes Objekt einfach zu einem Kunstwerk erklärt wird." So kann beispielsweise eine Schneeschaufel aus dem Baumarkt unter bestimmten Bedingungen durch einen bestimmten Diskurs als Kunstwerk identifiziert werden. "Je umfangreicher, elaborierter, begriffsgesättigter diese Texte erscheinen, je prominenter sie plaziert werden können, desto größer ist die Chance, dadurch eine ästhetische Konstitution, eine 'Setzung' zu bewirken." Allerdings ist die Gabe der Unterscheidung gefragt, denn: "Handelt es sich dabei um schlechte, standardisierte oder gar dumme Texte … sollten wir diese gemeinsam mit den vermeintlichen Kunstwerken … ohne schlechtes Gewissen entsorgen."

"Die Kunst des Hörens" ist eine Abhandlung "über den Umgang mit Musik". Hier wird, sehr nachvollziehbar, über Zwangsbeschallung, emotionalisierende Kaufhausmusik und Klingeltöne philosophiert, auch über das Publikum, das "nach einem Streichquartett von Franz Schubert erschüttert" das Konzerthaus verlässt. Der Autor plädiert für eine neue "Kunst des Hörens", die mit der - selten gewordenen Stille beginnt.

Im nächsten Kapitel "Die Objekte der Lust" geht es wieder um Visuelles, "die Blutsverwandtschaft zwischen Erotik und Kunst".

"Hier wird's Ereignis" führt mitten in die Eventkultur. Jeder kennt das Faust-Zitat "… das Ewig-Weibliche zieht uns hinan", weniger bekannt sind die Zeilen davor: "Das Unzulängliche, hier wird's Ereignis". Das Unzulängliche, das zum Ereignis wird, könnte als Motto und Charakteristkum über der Eventkultur stehen.

"Das runde Leder. Reflexionen über das Fußballspiel" und "Die letzte Kehre. Hommage an das Rennrad" - mit einem Ausflug, den der "alternde Intellektuelle" in ein Fitnesstudio unternimmt - , "Die falschen Götter. Schöne Menschen und ihre Idole" widmen sich der Körperkultur.

Das "Umkreisen ähnlicher Themen, die an der Schnittstelle von Ästhetik und Alltag, von Kunst und Kommerz, von Geld und Gesellschaft angesiedelt sind", kulminiert in den abschließenden Überlegungen "Koboldschätze. Über das Ding an sich", das Geld. Die Grundsätze über Geldgeschäfte, die der Philosoph hier zitiert, stammen aus dem ersten Buch über Börsenspekulation, erschienen 1688: "1. Man soll niemandem einen Rat erteilen, Aktien zu kaufen oder zu verkaufen. 2. Man soll jeden Gewinn mitnehmen, ohne Reue über entgangenen Nutzen zu empfinden. 3. Börsengewinne sind Koboldschätze, bald Diamanten, bald Kiesel. 4. Wer in diesem Spiel gewinnen will, muss Geld und Geduld haben." Die philosophische Gelassenheit scheint angesichts dessen als einzig richtige Verhalten. "Sich diese aber leisten zu können, ist - wie könnte es auch anders sein - purer Luxus."

Kein Luxus - sondern anregende Pflichtlektüre - sollte hingegen die literarische Entdeckung des Universums der Dinge sein.