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Johannes Sachslehner: Schicksalsorte Österreichs#

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Johannes Sachslehner: Schicksalsorte Österreichs. Verlag Styria Wien - Graz. Band 1. 320 S., illustriert (2009), Band 2. 288 S. , illlustriert (2010), je € 29,95

"Erinnern wir uns zu viel ?", fragt Johannes Sachslehner. Eine Frage, die er in zwei Bänden - von denen der erste binnen kurzem eine Neuauflage erlebte - umfassend verneint. Dabei beginnt er mit einem erschütternden Beispiel: dem Tod des 68-jährigen französischen Soziologen Maurice Halbwachs im KZ Buchenwald. Sein Werk über das kollektive Gedächtnis wurde 1950 posthum publiziert. Es setzt sich mit der Bedeutung eines übergreifenden, gemeinsamen Gedächtnisses für Kulturen und Gesellschaften auseinander. Geschichte besteht nicht nur aus Zahlen und Fakten, sondern auch aus Millionen von Erinnerungen, interpretierten Erfahrungen und Erzählungen.

Erinnerungen sind mit Orten verbunden. Sachslehner hat 44 österreichische Erinnerungsräume oder Schicksalsorte besucht und beschrieben. Er motiviert seine LeserInnen, sich auf die Vergangenheit einzulassen, was, wie er meint, vielfach verweigert wird. "Es geht nicht um das Durchstöbern von totem, verstaubtem Geschichtsmüll und künstliche Wiederbelebung, sondern um ein Neugewinnen von Verlorenem und Verschüttetem, um spannungsreiche, aufregende Begegnungen." Die so vermittelte Geschichte ist alles andere als erfreulich, oft auch anders als die Darstellung in Schulbüchern und Traditionen.

Das einleitende Kapitel "Von Landschaften und Orten" beginnt in der mittleren Altsteinzeit vor etwa 50.000 Jahren. Durch Generationen gewann die namenlose Landschaft Identität und Mythen entstanden, über Götter, Kulte, Helden, Orte … "Es füllt sich der Speicher des kollektiven Österreich-Gedächtnisses mit immer neuen Ereignissen, es wächst das Bewusstsein, einer 'Schicksalsgemeinschaft' anzugehören." Dem "Geschäft mit Richard Löwenherz - Dürnstein, 1193" ist das erste Kapitel gewidmet. Wie in den folgenden spricht hier der Historiker, der zugleich ein spannender Erzähler ist und es versteht, komplizierte Zusammenhänge verständlich zu machen. Es gelingt ihm auch immer, sprechende Bilder zum Text zu finden. Neben Farbfotos gibt es zeitgenössische Zeichnungen, Dokumente. historische oder historistische Ansichten. Weitere Stationen auf dem Weg durch die Zeit und durch Österreich bilden die Schlachten bei Dürnkrut und Jedenspeigen 1278, der "Ketzerfriedhof" in Steyr 1397, die Wiener Geserah (Judenplatz) 1420, die Doppelhochzeit (Maximilian und Anna, Ludwig und Maria) im Stephansdom 1515, das Frankenburger Würfelspiel 1625, der Sieg der kaiserlichen Armee über die Osmanen bei Mogersdorf 1664, das Blutbad in Perchtoldsdorf 1683, die Entsatzschlacht auf dem Kahlenberg 1683, der Sieg der Tiroler über Bayern und Franzosen im Inntal 1703, der Kuruzzenüberfall in Zistersdorf 1706, der Widerstand der Salzburger Protestanten 1751, Napoleon bei Aspern 1809, Andreas Hofer am Bergisel 1809, der Hainfelder Parteitag 1889, die "Habsburgische Tragödie" in Mayerling 1889, der "Auftakt zum Weltkrieg" in der Kaiservilla von Bad Ischl 1914, "Der letzte Tag der Monarchie" in Schönbrunn 1918, der Zusammenstoß von Schattendorf 1927, "Der Tod des Koloman Wallisch" in Leoben 1934, die Heldenplatz-Kundgebung 1938, der Aspangbahnhof als Ausgangspunkt der Deportationen 1939-1942, KZ Mauthausen 1938-1945, "Drama am Südostwall", Rechnitz 1945, der Staatsvertrag, Wien-Belvedere 1955 und die Brücke von Andau, die 1956 für die Ungarnflüchtlinge zum "Weg in die Freiheit" wurde.

Im zweiten Band seiner Reise zu den markanten "Knotenpunkten" überschreitet Johannes Sachslehner die Grenzen des jetzigen Österreich. Er rührt an Wunden, spricht von Sünden, Opfern und Tätern, vermeintlichen Helden und scheinbar Besiegten. Die Orte der Erinnerung liegen in der Schweiz (Sempach), in Tschechien (Prag, Eger, Brünn, Königgrätz), in der Slowakei (Presov), in Mexiko, Bosnien-Herzegowina (Sarajewo), Polen (Uszok-Pass), Italien (Trient, Pasubio, Padua), Frankreich (Saint-Germain-en-Laye) und Russland (Moskau, Stalingrad, Kolymagebirge).

Mit den hier versammelten Beispielen "negativer Vergangenheit" will der Autor aufrütteln: "Das Erzählen 'negativer Vergangenheit' zielt darauf, empfänglich zu machen für die Beschäftigung mit historischem Geschehen, es bietet Identifikationsflächen mit Gut und Böse, mit Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Gnade und Unbarmherzigkeit. Und es vergisst auch nicht, dass es Grauzonen gibt, ein eigentümliches Oszillieren zwischen Opfer- und Täterstatus (…)"