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Das Weinviertel#

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Das Weinviertel. Mehr als Idylle. Hg. Volkskultur Niederösterreich GmbH. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2013. € 32,90. Autoren: Eva Rossmann, Erich Landsteiner, Ernst Langthaler, Richard Edl, Oliver Fries, Robert Kuttig, Mella Waldstein, Veronika Plöckinger-Walenta, Ulrike Nehiba, Luzia Schrampf, Werner Lamm, David Staretz, Birgit Johler, Benjamin Steininger, Ernst Lauermann, Thomas Kuhtreiber, Alfred Plischnack, Richard Kurdiovsky, Irene Suchy, Wolfgang Christian Huber, Reinhold Eichinger, Christoph Lind, Franz Grieshofer, Martin Haslinger, Sylvia Treudl, Wolfgang Krug, Carl Aigner, Anne Katrin Fesler, Josef Schick, Michael Stavariè.

Zeitgerecht zur Niederösterreichischen Landesausstellung "Brot und Wein" beschäftigt sich das Jahrbuch der Volkskultur Niederösterreich 2013 mit dem Weinviertel. Nach Publikationen zum Mostviertel, Waldviertel und Industrieviertel ist es bereits das vierte "Viertelsbuch". In bewährter Weise und Ausstattung von Mella Waldstein redigiert, mit Beiträgen von 27 Autoren und zauberhaften Fotos von Manfred Horvath, bietet es eine interessante Mischung aus wissenschaftlichen Beiträgen, Essays und Reportagen.

Das Buch versteht sich als "eine einzigartige Liebeserklärung an die Landschaft des Weinviertels und berichtet in 27 Kapiteln von archäologischen Funden, die spektakulär (Stichwort: Kreisgräben) und rätselhaft (Stichwort: Erdställe) erscheinen, von Kriegsschauplätzen und den dunklen Rändern der Zeitgeschichte, von Hausberganlagen, Burgen und den eleganten Marchfeldschlössern, von der Malerei, der Musik und der Kunst im öffentlichen Raum, von der Geschichte des Erdöls an der Brünner Straße."

Da wird nicht zu viel versprochen. Den Einstieg bietet Eva Rossmann, Juristin, Journalistin, Krimiautorin und - hier vor allem wichtig - im Weinviertel Lebende. So sinniert sie über die "Ui-Mundart", die Künstler, die es gleich ihr in die grüne Landschaft gezogen hat, idyllische Weinhügel, Windräder und Ölpumpen. Ihr Fazit: "Es lohnt sich, genau hinzuschauen." Dazu gibt es auf großformatigen 300 Kunstdruckseiten (Grafik: Gottfried Eilmsteiner) reichlich Gelegenheit. Die Historiker Erich Landsteiner und Ernst Langthaler bieten eine profunde Einführung über "Das Weinviertler Dorf als natural-soziales System". Beginnend mit der Kolonisation im 11. und 12. Jahrhundert, über die bis 1848 bestehende Zeit der Grundobrigkeit, bis zu den Auswirkungen des "Gravitationszentrums Wien" auf den Strukturwandel der Weinviertler Dörfer im 20. Jahrhundert.

Auch das zu neuen Ehren gekommene Museumsdorf Niedersulz liegt im Weinviertel. Der Wiener Arzt Richard Edl engagiert sich seit Jahrzehnten für das Freilichtmuseum und ist derzeit Obmann der Museumsfreunde. Er verfasste den Artikel über die traditionelle Architektur der Gegend, würdigt Streckhöfe, Häuslerhäuser, Kellergassen und Stadelzeilen. Die Antwort auf seine Frage "Was blieb?" fällt eher traurig aus. Die Bauforscher Oliver Fries und Robert Kuttig gehen der anonymen Baukultur zwischen 1800 und 1950 auf den Grund. Als charakteristische historische Baustoffe fanden sie vor allem ungebrannten Lehm. Die Großstadtnähe ließ in den Dörfern bis in die Zwischenkriegszeit auch Jugendstilfassaden entstehen. Der Beitrag endet im Appell, es nicht bei einzelnen exzellenten Sanierungsmodellen, wie dem Brandlhof in Radlbrunn, zu belassen, sondern wirksame und innovative Schutz- und Fördermöglichkeiten für Revitalisierungen zu schaffen.

Mella Waldstein, Autorin und Mitarbeiterin zahlreicher Kulturmagazine, hat sich eines zu Unrecht sonst vernachlässigten Themas angenommen. Sie schreibt über Gutshöfe rund um Laa an der Thaya. Die Meierhöfe in adeligem Besitz waren einst eine eigene Welt abseits der Dörfer. "Höfler" und "Dörfler" hatten kaum miteinander zu tun. Heute befinden sich darunter Bio-Landwirtschaften wie in Alt-Prerau und Blaustauden oder der Hardegg'sche Musterbetrieb in Seefeld-Kadolz. Gleich zwei Kapitel sind dem Museumsdorf Niedersulz gewidmet. Die wissenschaftliche Leiterin, Veronika Plöckinger-Valenta, schreibt über die Geschichte des Museums, seine Aufgaben und zukünftigen Projekte. Es begann vor mehr als 30 Jahren, als der Kirchenmaler Josef Geissler begann, Gebäude zu translozieren. Seit 1979 baute er unermüdlich an seinem Museumsdorf, bis 2008 Kultur.Region.NÖ die Trägerschaft übernahm. 2012 wurde das großzügige moderne Museumsportal eröffnet. In Hinkunft wird ein Schwerpunkt auf der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Vermittlung der historischen Dorfkultur liegen. Das zweite wichtige Standbein ist der Grünraum: Hausgärten, Nutzgärten und Obstbäume. ihm widmet sich im Dorf und im Buch die Ökologin Ulrike Nehiba. Fast selbstverständlich, dass sie sich der Pflege alter Sorten verschrieben hat.

Die auf Wein spezialisierte Journalistin Luzia Schrampf beschreibt die Kellergassen, die im Viertel die Landschaft prägen. Schönheit und Funktion kommen hier zusammen. Weil sich aber die technischen Notwendigkeiten geändert haben, werden die Keller nicht mehr bewirtschaftet. Dafür hat sich die Tourismuswirtschaft ihrer angenommen, veranstaltet Events und bildete bisher 380 professionelle Kellergassenführer aus. Werner Lamm, Verfasser vieler kulturhistorischer Beiträge, kennt die Städte des Weinviertels besonders gut. Er unternimmt einen Streifzug von Retz im Nordwesten bis Gänserndorf im Südosten. Der Reisejournalist und Künstler David Staretz beschäftigt sich mit Verkehrsfragen und nennt seinen besonders reich illustrierten Beitrag "Peripherie als Schüttbild". Die Ethnologin Birgit Johler und der Kulturwissenschaftler Benjamin Steininger schreiben unter dem Titel "Ölviertel" Anmerkungen zu einem niederösterreichischen Bodenschatz. Beim Landesarchäologen Ernst Lauermann lernt man Eiszeitflöten und Kalenderbauten kennen. In sein Kapitel fallen auch die Kreisgrabenanlagen und Erdställe. Um beim Rätselhaften zu bleiben, schließt der Ur- und Frühgeschichtler Thomas Kuhtreiber mit Überlegungen zu Erdhügeln, Ruinen, Burgen und Schlössern an. Der Jurist Alfred Plischnak referiert über Kriegsschauplätze. Mit dem Sieg über die Osmanen begann am flachen Land östlich von Wien der Bau barocker Schlossanlagen, die auf neuartige Weise eine Verbindung von Innen- und Außenraum darstellen - nachzulesen beim Kunsthistoriker Richard Kudrnovsky.

Irene Suchy, Gestalterin von Ö1-Musiksendungen, wirft einen Blick auf die Zeitgeschichte. Wolfgang Christian Huber, Sammlungskurator im Stift Klosterneuburg, berichtet von steinernen Bibeln, kleinen Königreichen, Pestpatronen und reisenden Katakombenheiligen. Unter das Kapitel "Glaube" fallen auch die Artikel von Reinhold Eichinger, der die vergessene Geschichte der Hutterer erforscht, und des Historikers Christoph Lind über "Jüdische Spuren". Besonders umfang- und aufschlussreich ist der Artikel von Franz Grieshofer, dem ehemaligen Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde. Unter dem Titel "Tradition und Trademark" stellt er alte Bräuche und neue Feste vor, ebenso den Alltag, Lebenslauf, Gemeinschaften und ungeschriebene Gesetze. Der Musiker Manfred Haslinger schließt mit einem Beitrag über Volksmusik und Tanz an. Die Lyrikerin Sylvia Treudl stellt Literatinnen und Literaten vor, Irene Suchy die Musik, Wolfgang Krug die Malerei. Krug ist Kustos der Kunstsammlung des Landes Niederösterreich. Carl Aigner, Direktor des Niederösterreichischen Landesmuseums, zitiert Adolf Frohner: "Kunst macht Sinn", wenn er das Weinviertel als Kunstviertel beschreibt. Dazu trägt wohl auch die Kunst im öffentlichen Raum bei, der die Kunstkritikerin Anne Katrin Feßler "Dialogische Fähigkeiten" zuspricht. Josef Schick, Leiter der Kulturvernetzung Niederösterreich, gibt einen Stimmungsbericht über Kulturinitiatven im Weinviertel. Dazu zählen so unterschiedliche Angebote wie Nonseum, Märchensommer oder Eisenbahnmuseum. Das Finale bildet ein Essay des Literaturpreisträgers Michael Stavaric: "Glücklich heimatlos".