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Hubert Hinterschweiger: Wien im Mittelalter#

Bild 'Hinterschweiger'

Hubert Hinterschweiger: Wien im Mittelalter. Alltag und Mythen. Konflikte und Katastrophen. Pichler Verlag. Wien, Graz, Klagenfurt 2014. 312 S., ill. € 24,95

Das Mittelalter ist eine Trendepoche. Das zeigt nicht zuletzt der Erfolg der zahlreichen Mittelalterfeste. Auf den Events ist keine Spur von "finster", es herrscht Fröhlichkeit und Lebensfreude. Bei den Akteuren handelt es sich weniger um akademisch ausgebildete Historiker, als um engagierte Laien, die sich bemerkenswertes Detailwissen angeeignet haben und ihre Zeitreise - entsprechend "gewandet" - sehr ernst nehmen.

Bei der Lektüre dieses Buches fühlt man sich an einen Mittelaltermarkt erinnert. Vielerlei wird hier geboten, u a. Artikel über Stadtentwicklung, Befestigungen, Kirchen, Kleiderordnungen , Schulen, Sagen, grausame Spektakel, Katastrophen, Zünfte, Feste, Krankheiten und Aberglauben. Geschichte(n) über herausragende Persönlickeiten dürfen nicht fehlen: Richard Löwenherz, Rudolf IV., Friedrich III., oder Matthias Corvinus.

Der Autor, Hubert Hinterschweiger, geboren 1931 in Wien, ist ausgebildeter Textilfachmann und war als Unternehmensberater im In- und Ausland tätig. Im Ruhestand widmet er sich seiner lebenslangen Leidenschaft, der Geschichte. Er hat sich eingehend damit beschäftigt, das zeigt die Fülle des Materials und die Themenvielfalt in seinem, schon in 2. Auflage erschienenen, Buch. Schade, dass Anmerkungen und Literaturangaben fehlen, manches Gelesene hätte man gerne weiter vertieft.

Auf mehr als 300, reich und treffend illustrierten, Seiten webt er einen detailreichen Gobelin, den man lange betrachten und dabei vieles entdecken kann. Das Jahrtausend des Mittelalters erscheint farbenfroh und hat doch dunkle Punkte (Stichworte: Katastrophen, Krankheiten, Gerichtsbarkeit…). Sagen und Überlieferungen werden eingeflochten. Man hört sie immer wieder gerne. Auch wenn manches anderes war - die eingeritzte Kreisform am Portal des Stephansdoms ist keineswegs ein Maß für Brot, die Laibe wurden nach dem Gewicht, nicht nach ihrem Umfang geeicht. Auch "ein bisserl" (ein Lieblingswort des Autors) Frivolität blitzt durch, bei der "Legende vom Venusgürtel" oder den Freudenhäusern am Spittelberg. Dieser wurde allerdings nach 1568 verbaut und erlangte seinen üblen Leumund erst in Maria-Theresianischer Zeit. Der Autor entwirft bunte Muster von Alltag und Festen, religiös und profan, formt Arabesken über die Epoche der Kreuzzüge, ziert mit Ornamenten über Bade- und Tafelfreuden und wirkt auch immer wieder ernste Themen in sein Werk, wie Judenverfolgungen oder Inquisitionsverfahren.

Hubert Hinterschweiger ist ein begnadeter Erzähler. Er schreibt packend, lebendig und humorvoll. Er leuchtet Hintergründe aus, die aus der zeitlichen Distanz oft schwer nachvollziehbar erscheinen, wie dynastische Rankünen und Intrigen oder die Allgegenwart der Institution Kirche und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben: "Eigentlich wurde alles verurteilt, was nicht dem tiefen Glauben diente, den man ohnehin nie gelebt hatte." Der rote Faden durch die Geschichte des Mittelalters endet mit der Zeit der Erfindungen und Entdeckungen, Renaissance und Reformation. "Das Jenseits war nicht mehr der Mittelpunkt, der Mensch im diesseitigen Leben rückte an seine Stelle …," schreibt der Verfasser, dessen Kindheit in den Zweiten Weltkrieg fiel. Wenig optimistisch endet er mit den berühmten Goethe-Versen des Zauberlehrlings: "Herr, die Not ist groß, Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los." Da ist doch der Ausflug zu einem Mittelalterfest viel erfreulicher.