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Walter Hämmerle: Der neue Kampf um Österreich#

Hämmerle: Der neue Kampf um Österreich

Der Chefredakteur der „Wiener Zeitung“, Walter Hämmerle, hat es unternommen, die politische Geschichte der Republik Österreich seit ihrer Gründung am 12. November 1918 bis zur letzten Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 in leicht lesbarer Form darzustellen. Das Besondere an seiner Erzählung besteht darin, die Konfliktzonen, die er „Spaltungen“ nennt, sehr genau zu untersuchen. So kommt er zur These, dass Österreich bis auf den heutigen Tag ein „gespaltenes Land“ ist. Diese These trifft sich mit neuesten soziologischen Erkenntnissen, nach denen Österreich – wie andere Länder der industrialisierten Welt – in sehr unterschiedliche „Milieus“ gegliedert ist, die sich nicht nach ökonomischen Kriterien sondern vor allem durch ihre Wertvorstellungen von einander unterscheiden. Unter diesen sogenannten „Sinus-Milieus“*) sticht vor allem die „bürgerliche Mitte“ hervor, die mittlerweile 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung umfasst. Während in der Ersten Republik und weit hinein in die Zweite Republik Konflikte vor allem ökonomische und ideologische Gründe hatten, ist dies in der entwickelten Industriegesellschaft nicht mehr der Fall. Zumindest moderater Wohlstand für alle und das weitgehende Fehlen religiöser und parteipolitischer Bindungen gehen leider nicht einher mit Zufriedenheit und nationalem Konsens. Durch Abstiegs- und Zukunftsängste der breiten Mittelschichten, befeuert durch xenophobe Gefühlslagen, werden Kandidaten wie Donald Trump gewählt und Abstimmungen wie jene über den Brexit gewonnen. Weiters seien uns, so Hämmerle, zwei zentrale Fähigkeiten als Gesellschaft abhanden gekommen, die wir gerade heute dringend benötigen: „Wir haben verlernt, die aktuellen Vorgänge in der Politik angemessen zu beschreiben und zu analysieren. Und wir können die Zukunft nicht mehr positiv denken“ (S. 268). Damit nimmt er vor allem auch die Medien in die Pflicht.

Österreich heute und morgen#

Die Nationalratswahl 2017 wurde von ÖVP und FPÖ mit großer Mehrheit gewonnen, weil es gelang, die oben geschilderten Ängste der „gekränkten Mitte“ zu mobilisieren. Jetzt geht es darum, mit Hilfe eines im Glaubenskrieg neutralen Staates die Zukunft möglichst konfliktfrei zu gestalten und zu einer „neuen Erzählung“ über Österreich zu gelangen, dessen „Geschichte manchmal wie ein einziger lang fortgesetzter Bürgerkrieg erscheint (S. 387). Hämmerle hofft auf ein „drittes Österreich“, auf gesellschaftliche Kräfte, die über den gegnerischen Lagern stehen. „Nur wenn immer mehr solche Bürger die Stimme erheben, die nicht schon von vornherein zu allem und jedem für Argumente eine klare Meinung haben, die noch offen aufgrund von Fakten sind und die einen begründeten Wechsel des Standpunkts nicht als Niederlage empfinden, sondern als Schritt hin zu einem besseren Verständnis der ohnehin komplizierten Wirklichkeit, nur für diesen Fall besteht die Möglichkeit, dass die starren Fronten sich nicht weiter verhärten, sondern aufweichen.“ (S. 393)

Ausblick#

Interessant sind die Überlegungen des Autors, wenn er sich am Schluss seiner ausführlichen Analyse um Lösungen zur Überwindung der immer noch bestehenden oder der neuen Konfliktzonen bemüht. Er ist sich im Klaren, dass es einfache Lösungen nicht gibt. Hämmerle weiß, dass es in der offenen Gesellschaft, die vom liberalen Rechtsstaat geschützt wird, keinen „Masterplan gibt, der zum Frieden führt.“ Vielmehr sind es eine Vielzahl kleiner Schritte und viel Improvisation, mit denen Österreich – und vielleicht die ganze Welt – den Weg in eine friedliche Gesellschaft beschreiten müssen, um zum Ziel zu kommen.

*) Die Sinusmilieus

Redaktion: P. Diem