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Thomas Hofmann: Es geschah im Industrieviertel#

Bild 'Hofmann'

Thomas Hofmann: Es geschah im Industrieviertel. Neuigkeiten und Bilder von damals. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach. 124 S., ill., € 19,90

Das Industrieviertel reicht von den östlichen Ausläufern der Alpen bis zur Pannonischen Tiefebene. "Was gemeinsam ist: dass nichts gemeinsam ist" , schreibt Thomas Jorda treffend in seinem Vorwort. Wenn Thomas Hofmann, Bibliotheks- und Archivleiter der Geologischen Bundesanstalt, ein weiteres Buch seiner Reihe "Es geschah…" diesem "Universalviertel" widmet, kann er wieder aus dem Vollen schöpfen. Als bewährte Quellen stehen alte Zeitungen, historische Fotos und Ansichtskarten zur Verfügung. Schauplätze sind u. a. Wiener Neustadt, Baden und Klosterneuburg, der Semmering, Neunkirchen, Mödling, Bruck an der Leitha und Carnuntum. Die handelnden Personen entstammen allen sozialen Schichten: Adel, bürgerliche Kurgäste, Bauern und Arbeiter.

Das erste Kapitel nennt der Autor "Imperiale Herrscher und lokale Größen". 1854 fuhr der Kaiser erstmals mit der Bahn über den Semmering, ein halbes Jahrhundert später brachte ihn der Zug nach Deutsch-Altenburg, wo er das Museum Carnuntinum eröffnete. 1910 besuchte Franz Joseph den "Wettbewerb der Aviatiker" bei Wiener Neustadt. Von der Hofloge aus bewunderte er den "Eindecker Etrichs mit dem Piloten Illner, der die kühnsten Evolutionen vollführte." Abends "verließ der Kaiser mit dem Ausdrucke besonderer Befriedigung über das Gesehene das Flugfeld, worauf die Wettflüge fortgesetzt wurden." Eine Chromolithographie zeigt das Panorama Wiener Neustadts mit Aeroplanen und dem 1909 Flugfeld, dem ersten Österreichs. Wortreich schildert das Badener Bezirks-Blatt am 31. Jänner 1889 die Tragödie von Mayerling. "Die Aufregung in der Stadt ist eine enorme und noch jetzt zur Mitternachtsstunde begegnet man lebhaft das sensationelle Ereigniß besprechende Personen in den Straßen". Der Reporter vergisst nicht zu erwähnen, dass das Badener Theater nach dem Tod von Kronprinz Rudolf bis auf weiteres geschlossen blieb.

"Aus der Welt der Arbeit" schildert Elend und Widerstand der Industriearbeiter. 1918 kam es in der k.u.k. Munitionsfabrik Wöllersdorf zu einer folgenschweren Explosion. 300 Arbeiterinnen starben, der Brand dauerte Stunden. Die Arbeiter-Zeitung, die ausführlich berichten wollte, wurde zensuriert und konnte erst später erscheinen. "Wenn der Kaiser auf die 'Berichte', die amtlich veröffentlicht werden, angewiesen wäre, so wie die Bevölkerung, würde er über die traurige Sache wenig erfahren." Die Arbeit in den Fabriken war menschenunwürdig. In der größten Spinnerei Österreichs, der 1801 gegründeten Baumwollspinnerei in Pottendorf, streikten 1931 rund 500 Arbeiter, die danach entlassen wurden. Die Betriebsleitung erwog die Schließung der Fabrik. Auch in Neunkirchen bestand eine Spinnerei, in der es 1920 zu Ausschreitungen kam. Mehrere hundert Arbeiter versammelten sich vor der Wohnung des Direktors, eines Schweizers, beschimpften und misshandelten ihn schwer. Als er bereits ohnmächtig war, wollten sie ihn hängen. Sie zerstörten Büros und verlangten, dass der Direktor Neunkirchen verlasse, andernfalls könne die Ruhe in der Stadt nicht garantiert werden. Der österreichische Staatskanzler musste sich beim Schweizer Gesandten entschuldigen.

"Von Räubern und Mördern" handelt das nächste Kapitel. 1919 entwendete eine gut organisierte Bande in der Hainburger Tabakfabrik große Mengen Rauchwaren, die sie in Wien verkaufte. Wie die "Wiener Zeitung" berichtete, wurden die Täter zu einem Jahr bzw. acht Monaten schweren Kerkers verurteilt. 1898 ereignete sich in Perchtoldsdorf ein blutiger Überfall. Ein abgewiesener Liebhaber engagierte fünf Ortsburschen, um sich an einer Familie zu rächen. "Das Mädchen fand jedoch an dem für sie bestimmten Bräutigam keinen Gefallen und schenkte ihre Neigung dem Bruder des Fuhrwerksbesitzers …" Die Täter schlugen zwei Männer nieder, bedrohten eine Frau mit dem Messer und verletzten eine 85-jährige Greisin. Welche Strafe sie erhielten, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

"Elementarereignisse und Naturgewalten" setzten den Bewohnern des Industrieviertels ebenfalls zu. Das südliche Wiener Becken von Schwadorf über Wiener Neustadt bis Seebenstein ist bekannt für zahlreiche, teils heftige Erdbeben. Das Schwadorfer Beben am 8. Oktober 1927 war das stärkste des 20. Jahrhunderts in Österreich. Großen Schaden verursachte auch das Jahrhunderthochwasser der Donau anno 1899. In Klosterneuburg barst der Eisenbahndamm und brachte 18 Gärtnerfamilien in der Schüttau um ihre Existenz. Auf einer Kontrollfahrt kenterte das Boot des Stromaufsehers. Seine Begleiter konnten sich teils retten, teils halfen ihnen die Pioniere. Der des Schwimmens unkundige Stromaufseher, ein vierfacher Familienvater, ertrank. Eine Ansichtskarte zeigt die Überschwemmung in Klosterneuburg-Kierling, bei dem das Wasser bis zur halben Höhe des Erdgeschoßes der Häuser steht und die Bewohner in Booten durch die Straßen fahren.

"Sommerfrischler, Kurgäste und Bergtouristen" wussten die landschaftlichen Reize des Viertels unter dem Wienerwald seit langem zu schätzen. Zu ihnen zählte Ferdinand Raimund ebenso wie Ludwig van Beethoven, der zeitweise in Baden lebte. In der Zwischenkriegszeit pries ein Artikel die Kurstadt: "In Baden finden wir nun den glücklichen Zusammenklang von Sonnenwirkung, subalpiner Luft, von warmen Bädern, vom Schwefel und einem prachtvollen Panorama." Apropos Panorama: Auf den Schneeberg ratterte schon 1901 eine Zahnradbahn. Wenige Schritte von der Bergstation steht eine Kirche zum Gedenken an Kaiserin Elisabeth. Der Semmering konnte seit 1912 mit einer Schisprungschanze aufwarten, die bis 1967 bestand. Seit 1926 brachte eine Seilbahn Touristen in weniger als zehn Minuten auf die Rax. Das letzte Kapitel "Freud und Leid im Alltag" enthält Berichte über Festtagsfreuden wie das Klosterneuburger Fasselrutschen anno 1883, ein Jubiläum des Wallfahrtsortes Maria Ellend oder die Eröffnung der Schulhäuser in Berndorf, 1909. Das Leid dokumentiert ein Artikel des "Neuen Wiener Journal" aus dem Jahr 1935. An einem unbeschrankten Bahnübergang erfasste ein Zug einen Autobus, der mit Wallfahrern zur Hohen Wand unterwegs war. Sechs Personen kamen ums Leben, 24 wurden teils schwer verletzt. Der Alltag spiegelt sich in einem Beitrag über den Gumpoldskirchener Weinbau aus dem Jahr 1896 und den Wiener Neustädter Kanal. 1911 hatte er seine Funktion als Verkehrsader zwischen Wien und der Adria längst eingebüßt. Damals schrieb die Badener Zeitung: "Dieses Stück Vergangenheit, welches dem Dampfe weichen musste, wird sich in der nervös hastenden, im Zeichen des Automobils und der Luftschiffahrt stehenden Gegenwart recht ruhig und idyllisch ausnehmen."