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Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic, Kerstin Putz (Hg.): Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur#

Bild 'Wien'

Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic, Kerstin Putz (Hg.): Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur. Mit Beiträgen von Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic, Klaus Nüchtern, Evelyne Polt-Heinzl und Kerstin Putz. Begleitbuch zur Ausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek. Folio-Verlag Wien - Bozen 2019. 192 S., ill., € 22,-

Seit 2015 dient das k. k. Hofkammerarchiv in Wien 1, Johannesgasse 6, als Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek. Der Schriftsteller Franz Grillparzer hatte hier als Archivdirektor amtiert. Sein originalgetreu erhaltenes Büro gibt Einblick in den Arbeits- und Schreiballtag des als "österreichischer Nationaldichter" bezeichneten Dramatikers. Die anderen Räumlichkeiten wurden zeitgemäß als Museum umgebaut, der 3. Stock für Sonderausstellungen reserviert. Derzeit ist "Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur" zu sehen. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit nach 1945.

"Je müder ich bin / umso lieber / bin ich in wien" zitiert Generaldirektorin Johanna Rachinger im Vorwort Ernst Jandls "Wien-Haiku", das auch auf dem Cover des Begleitbuchs abgebildet ist. Der durch seine experimentelle Lyrik bekannte Dichter ist in der ersten Abteilung der Schau, "Wienblicke", vertreten. Literaturmuseums-Mitarbeiterin Katharina Manojlovic kommentiert im Katalog seine Werke: "Die meisten in dieser Ausstellung präsentierten Gedichte greifen die Stadt lediglich in Ausschnitten auf. Nicht an ihrer objektivierbaren oder topografisch ausholenden Darstellung ist ihnen gelegen: der urbane Raum erscheint darin als soziales Phänomen…" Jedem Kapitel folgt ein Bildteil mit ausgewählten Exponaten wie Manus- und Typoskripten, Drucken und Fotos. Hier unter anderem ein Bild von den Bauarbeiten der Wiener Internationalen Gartenschau 1974. Der Historiker, Kulturphilosoph und Schriftsteller Friedrich Heer hat der "WIG '74' " ein Gedicht gewidmet. Es beginnt: "Garten / schöner Garten / Erde / blauer Planet / Gartenstadt, Wien" .

"Wien anders sehen" ist nicht nur das Motto der "Wienblicke", sondern der ganzen Ausstellung. So gilt es auch für die "Peripherien", denen sich im Buch Kerstin Putz, Mitarbeiterin des Literaturmuseums, widmet: " … das Suburbane: ein Gewebe aus Vororten und Wohnsiedlungen, aus Trabantenstädten und Einfamilienhäusern, aus Einkaufszentren, Parkplätzen und Gewerbezonen. Dazwischen behaupten sich Reste urbaner Wildnis, das, was man in Wien und anderswo, meist liebevoll, eine 'Gstätten' nennt." Dort hat der Schriftsteller und Architekturkritiker Friedrich Achleitner mit Kollegen "Begehungen" durchgeführt. "Dabei entstand das Wien-Bild des 'g'fäuden Wien'. Das Adjektiv 'g'fäud' meint dabei eine Mischung aus verfault und verfehlt. … Und obwohl Wien eine kleinteilige und überschaubare, weil monozentrische Stadt ist, bietet sie doch Gelegenheit genug, sich in allerlei Randzonen und urbaner Wildnis herumzutreiben. "

"Gehen, Denken, Erzählen" nennt Bernhard Fetz, der Direktor des Literaturarchivs und des Literaturmuseums, seinen Essay. Er greift dabei auf den deutschen Dichter Johann Gottfried Seume zurück. Dieser war vor zwei Jahrhunderten monatelang zu Fuß von Leipzig bis Syrakus unterwegs und meinte, "… dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge." Bernhard Fetz ergänzt: "Dem Schreiben, so viel zumindest lässt sich sagen, scheint die Geschwindigkeit des Gehens angemessen. Das Schreiben wie das Gehen sind in gleichem Maße zielgerichtet und richtungslos." Als typischer Stadtspaziergänger und Entdecker kann René Stangeler, das Alter Ego Heimito von Doderers gelten. Der Literat, Sohn eines Architekten und leitenden Bahnbau-Ingenieurs, pflegte für seine Romane "Baupläne" zu zeichnen. Ein schematischer Gang durch mehrere Kapitel der "Dämonen" und mit bunter Tinte geschriebene Manuskriptseiten zählen hier zu den Illustrationen. Ebenso ein Ort der Handlung in der "Strudlhofstiege", der Julius-Tandler-Platz. Der frühere Althanplatz wurde vom Franz-Josefs-Bahnhof dominiert, bei dem sich das bekannte "Kleiderhaus zum Eisenbahner" befand. Eine Doppelseite mit Schwarz-Weiß-Fotos aus den 1970er-Jahren weckt Erinnerungen. Allerdings stimmt die Bildunterschrift "Klosterneuburger Straße" nicht, denn diese verläuft in einiger Entfernung jenseits der Friedensbrücke im 20. Bezirk.

Doderer und seine "Dämonen" begegnen auch im vierten Kapitel von Schau und Buch, "Tatort Wien". Der Germanist Klaus Nüchtern beschäftigt sich mit "Menschen im Kanal". Am berühmtesten in diesem Genre ist wohl "Der dritte Mann". Die Parallelen der beiden Romane und ihrer Protagonisten sind offenkundig. "Sowohl Lime als auch Meisgeier tauchen in die Unterwelt, um die bestehende Ordnung zu unterlaufen bzw. die unübersichtlichen Verhältnisse opportunistisch für ihre Zwecke zu nützen. … Heimito von Doderer, der sich als Kino-Muffel gerierte, hat den dritten Mann Anfang der 1950er Jahre im Kino gesehen. Reaktionen sind keine überliefert. Rein theoretisch könnte er ihm als Inspirationsquelle gedient haben. … Die umgekehrte Annahme … ist jedenfalls nur eine Anekdote. Sie existiert freilich … "

Die Literaturkritikerin Evelyne Polt-Heinzl widmet ihren Beitrag der "Arbeit am historischen Gedächtnis der Stadt". Das letzte Kapitel, „Vergessenshauptstadt“ (Robert Schindel), enthält Erinnerungsbücher von EmigrantInnen und Überlebenden des Nationalsozialismus. "2002 ehrte die Stadt Wien im Rahmen der Aktion 'Eine Stadt. Ein Buch' Frederic Morton mit einer Sonderausgabe seiner Familiensaga 'Ewigkeitsgasse'. Es ist die Geschichte der Unternehmerfamilie Spiegelglas." Zugleich eine autobiographische Geschichte. Am Firmensitz in Wien-Hernals wurde der Autor 1924 als Fritz Mandelbaum geboren. In einem anderen Werk "entwirft er ein Portrait der Fabrik seines Vaters - im realen wie im übertragenen Sinn als perfekt funktionierende Maschinerie, die mit gleicher Energie am geschäftlichen Erfolg arbeitet wie an der Lebensplanung für den Sohn, beides fand 1938 ein jähes Ende."

hmw