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Ursula Butz: Habsburg als Touristenmagnet#

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Ursula Butz: Habsburg als Touristenmagnet. Monarchie und Fremdenverkehr in den Ostalpen 1820–1910.Böhlau Verlag Wien Köln Weimar. 204 S., ill., € 40,-

Eine modernes Panoptikum in der Wiener Innenstadt verheißt "Sisi’s Amazing Journey" und eine "Habsburger-Show". Bad Ischl, die Sommerresidenz Kaiser Franz Josephs, hat sich erfolgreich als Kulturhauptstadt Europas 2024 beworben. Im Schloss Schönbrunn können Kinder "kaiserlich Geburtstag feiern". Die Attraktivität der Habsburger als Touristenmagnet scheint ungebrochen.

Schon vor 200 Jahren beflügelten die Herrscher den lokalen Fremdenverkehr. Die Schweizer Historikerin Ursula Butz hat die Entwicklung von Bad Ischl, Meran und Reichenau an der Rax (inklusive Semmering) von 1820 bis 1910 erforscht. Dabei hat sie herausgefunden, dass sich durch die kaiserlichen Besuche Ortsbilder, Infrastruktur und Fremdenverkehr in den drei Kurorten unterschiedlich entwickelten. Andererseits veränderte sich das Reiseverhalten der österreichischen Gesellschaft. Die seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Europa aufkommende Alpenbegeisterung, begünstigt von der Aufklärung und den bürgerlichen Freiheitsidealen, erfasste auch die österreichische Monarchie: Am Übergang zum 19. Jahrhundert waren die Habsburger in den zu ihrem Kaiserreich gehörenden Ostalpen zunehmend präsent. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Besuche in den Alpen der Verwaltung und der Kontrolle dienten, standen ab Mitte des 19. Jahrhunderts Erholung und Entspannung im Vordergrund.

Die Archivarin geht in ihren Recherchen systematisch vor. Zunächst erläutert sie die Adelsgesellschaft im Wandel und charakterisiert die Mitglieder der Herrscherfamilie mit ihren Vorlieben der Freizeitgestaltung. 1863 meinte Erzherzog Maximilian, er müsse sich Mühe geben, eine Leidenschaft für das Gebirge zu entwickeln. Der Kaiserbruder war eher den Meereslandschaften zugetan. Als Oberkommandant der Kriegsmarine ließ er sich bei Triest Schloss Miramare bauen. Er besuchte zwar Meran und Umgebung, konnte aber den erwarteten Enthusiasmus für die Alpen nicht aufbringen. Ganz anders sein zwei Jahre älterer Bruder Franz Joseph. Mit ihm reisten Inhaber der Hofämter als Entourage in die Berge, und viele Angehörige der "ersten Gesellschaft" folgten freiwillig. Dazu kamen Nichtadelige, die durch Nobilitierung in die "zweite Gesellschaft" aufgerückt waren und sich dem aristokratischen Lebensstil anpassen wollten.

Über Habsburger in Ischl, Meran und Reichenau schreibt die Autorin, dass die hohen Herrschaften wegen der Kurangebote nach Ischl (ab 1822) und Meran (ab ca. 1840) kamen. Für die Aufenthalte in Reichenau (ab 1842) und Semmering (ab ca. 1890) waren dagegen sowohl deren günstige Lage im oder am Rande des Gebirges als auch die gute Anbindung ans Eisenbahnnetz maßgebend. Dort fanden sich nicht nur die exklusive Klientel der Grandhotels ein, sondern auch zahlreiche Tagesausflügler. Auf dem Semmering baute kein Habsburger seine Sommerresidenz, und Reichenau wandelte sich zur bürgerlichen Sommerfrische.

Im vierten Kapitel behandelt die Autorin den Aufschwung der Kurorte: Infrastruktur und mondänes Leben. Dafür erstellte sie eine qualitative Auswertung der Kur- und Fremdenlisten. Diese zeigte, dass Habsburger-Aufenthalte in vielen Bereichen des Tourismus als "Beschleunigungsfaktor" wirkten. So erhielt Ischl 1827 ein Theater, Reichenau wurde 1887 an das Telefonnetz von Wien angeschlossen. Meran verdankte dem Aufenthalt Kaiserin Elisabeths den Bau eines "richtigen" Kurhauses (1871). Der aristokratische Lebensstil prägte die Orte - was sich in den neu entstandenen Villenvierteln und den inoffiziellen Kleiderordnungen widerspiegelte. Gegen das Jahrhundertende stieg der Anteil von Gästen aus dem niederen Adel und Bürgertum, wie die grafischen Darstellungen deutlich zeigen.

Schließlich fasst der Abschnitt Monarchie und Tourismus die Ergebnisse zusammen. Verkehrsverbindungen, Gastgewerbe, Kurhäuser, Unterhaltungsbetriebe und andere touristische Einrichtungen profitierten ebenso von Aufenthalten der kaiserlichen Familie wie die Herausgeber von Reiseführern und Zeitungen. Das Kaiserhaus engagierte sich in den Fallbeispielorten, um sein Image zu pflegen. Sich volksnah, mitfühlend und freundlich zu geben, gelang im öffentlichen Raum in entspannter Atmosphäre besonders leicht. Von der Berichterstattung über solche Anlässe profitierten sowohl die Habsburger als auch die Fallbeispielorte - eine Win-win-Situation. … Insgesamt betrachtet war der Monarchieeffekt in Ischl am stärksten. … Vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Ort jährlich von rund 25.000 Personen besucht. … Ohne die kaiserliche Sommerresidenz und die Person Franz Josephs in Ischl wäre eine solche Entwicklung sehr unwahrscheinlich gewesen.

Es ist der Autorin gelungen, aus Archivalien, Publikationen und Massenquellen, wie Kur- und Fremdenlisten, hochinteressanten Lesestoff zu kreieren. Beispielhaft zeichnet sie ein spannendes Zeitbild und beleuchtet eine spezielle Alltagskultur, ohne den Boden der historischen Tatsachen zu verlassen oder in Fachjargon abzugleiten.

hmw