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Zweites Kapitel: Familienbild#

Nach dem extremen Ausgreifen in die Höhen der Variationen der Gesellschafts- und Kunstgeschichte, d.h. im Ermalen der »Leonardo«-Bilder, gelangt Hausner nun mit seinem singulären Familienbild in die Phase der Rück- und der Vorbesinnung. Damit ist der Boden bereitet für den gezielten Vorgriff auf den Adam-Zyklus. Er begibt sich nun in das heikle Unterfangen der Selbstbescheidung, der Reorientierung, der Verortung, der Verankerung und der Integrierung. Und bedient sich Hausner im »Leonardo«-Zyklus noch der Phantastik, des Realismus, der altmeisterlichen Techniken, kurzum: taucht er dabei noch ein in die Virtuosität seiner Malerei, so läßt er nun all dies beiseite und legt in einer nach innen gewendeten Konzentration brillant die Strukturen an Farben und Formen seines Menschenbildes Adam frei. Hausner, der introspektive Realist, der sich ein Leben lang der Entwicklung eines Individuums, eines Zeitgenossen, malerisch widmet und sich dabei mitorientiert an dessen psychischer Selbstorganisation, verläßt nach Abschluß seines »Leonardo« die Phase der »Identität«, um mit seinem Adam in die der »Generativität« - die schöpferische Kraft im Sozialen und im Geistigen - sowie der »Religio« - der Rückbesinnung auf den Ursprung - einzutreten.

Familienroman#

Familienbild
Familienbild, 1985

Bei Hausner ist, zeitlich gesehen, im Anschluß an seine intensive Phase der Beschäftigung mit dem »Leonardo«-Zyklus, in dem seine Eva eine vorrangige wie formal eine vordergründige Rolle spielt, eine auffallende Hinwendung zur eigenen Familiengeschichte zu beobachten. Zwar setzt sich Hausner schon früh mit demjenigen Teil der Familiengeschichte auseinander, der ihn selber betrifft - beispielsweise als Schüler bei einem Wandertag 3.b. (1978) oder in Adam und seine Richter (1965) und Adam objektiv (1976) - aber nun tauchen mehr und mehr auch die übrigen Mitglieder seiner Familiengeschichte auf. Einmal diejenigen der eigenen Herkunftsfamilie, davon kündet das Familienbild (1985), Meine Mutter (1989) und zum anderen die Mitglieder seiner eigenen Familie wie z.B. in Jessica und Tanja (1986).

Zu dieser Entwicklung ließ sich eine Reihe von Gründen anführen. Der erste wäre sicherlich die Beeinflussung durch die Familienkonstellation, quasi durch den »Familienroman« der Psychoanalyse. (Freud, S. Der Familienroman der Neurotiker. Leipzig/Wien, 1909.) In dem Familienbild spielt dieser eine wesentliche Rolle. Aber das wäre zu einseitig betrachtet. Die ödipale Situation Hausners, die er in mehr oder minder ausdrücklicher Weise sich immer ermalt, und von der er bereitwillig Auskunft zu geben pflegt, ist die eine Seite. Die andere Seite ist jedoch die Bedeutung der Familie selbst. Es hat nämlich den Anschein, als ob sich Hausner aus den Beziehungsgeflechten der »Familienbande« heraus so etwas wie einen Kokon spinnt, in dem er seine Phantasie und seine Malerei aufbewahren kann, um sich daraus jeweils als jemand anderer wieder zu entpuppen. Gerade die exponiertesten Künstler aller Richtungen haben immer Zuflucht in diese Art von sozialen Beziehungsgefügen gesucht. Das Ausgesetztsein in positiver wie negativer Art und Weise scheint das Verlangen nach Wärme, Zärtlichkeit und das Bedürfnis nach Absicherung zu bedingen.

Andererseits spielt bei Hausner sicherlich das mit, was er in bezug auf seine Beschäftigung mit sich selbst und der Adam-Gestalt wiederholt betont, nämlich, daß er sich selber der Nächste in dem Sinn sei, als er für das Studium und das Abkonterfeien Adams stets zur Verfügung stehe. Dies treffe auch zu bezüglich der übrigen Familienmitglieder, die ihm als Modelle dienen. Hier zeigt sich eine reale Grundlage für die künstlerische Beschäftigung Hausners. Dies allerdings nur an der Oberfläche. Im tieferen Verständnis enthüllt es eine Ahnung von dem Ende der Zeit, die es gebietet, sich in Schutzvorrichtungen zu begeben, um die großen Prüfungen bestehen zu können. Denn wenn man bedenkt, wie Hausner sich mehr als andere bildende Künstler mit den Konturen der Abgründe menschlicher Natur beschäftigt, indem er als unaufhörlicher Beobachter an deren Einsichten feilt, so scheint es verständlich, daß für das Ertragenkönnen dieser zuweilen auch abstoßenden Ansichten die mitmenschlichen Beziehungen als Ausgleich herangezogen werden.

Seine Familie bildet daher einen Ankerpunkt, eine Festsetzung inmitten solch Ausgesetztseins an Eindrücken und Ansichten. Je mehr Hausner von der extremen menschlichen Natur ermalt, um so mehr scheint es ihm ein Bedürfnis zu sein, auch das Schöne mit ins Bild zu setzen. Dies geschieht beispielsweise dergestalt, daß er die beiden halbwüchsigen Töchter in einer Pose zeitlosen Plaisirs, quasi im »Schatten junger Mädchenblüte«, einbringt: Jessica und Tanja. Der Tradition der Biedermeiermalerei (hier nur scheinbar, im Inhalt; die Malerei ist höchst modern), wo solche bändergeschmückten Mädchen in bunten, duftigen Kleidern, ihr Jungsein förmlich ausstrahlend, zu bewundern sind, hat Hausner als persönlichen Kontrast sein eigenes, besonders radikalisiertes Konterfei gegenübergestellt.

Aber gerade dieser vordergründig schöne Schein der Familienbeziehungen läßt um so stärker auch deren Abgründe ins Bewußtsein rücken. In der heutigen Zeit, in der die Familienbeziehungen mehr als prekär geworden sind, bleiben solche Träume eben Träume; die Wirklichkeit ist davon weit entfernt. Um so mehr dienen solche Bilder der Erinnerung an etwas, das es vielleicht einmal gegeben hat, das heute kaum mehr zu finden ist, aber in Zukunft eventuell in anderer Form einmal wiederkehrt. Hausner ist davon entfernt, inhaltlich zur Problematik der Familienbeziehungen Stellung zu nehmen. Indem er sich quasi »naiv« und »sentimentalisch« diesem Stoff nähert, verwandelt er ihn sich selber und der Malerei an. In ihr nur können solche Vorstellungen unverletzt Gestalt annehmen.

Ausschnitte aus 'Familienbild', 1985

Familienbild

Familienbild

Familienbild

Familienbild

Orientierungen#

In Portugal
In Portugal, 1982

In Portugal heißt ein Bild von 1982. Es zeigt eine Strandlandschaft am Meer. In der Mitte erhebt sich eine Konstruktion wie ein Baumstamm, dem sich ein weiblicher Körper entwindet; über einem schwangeren Leib erheben sich vier Brustpaare. Von dort aus erstrecken sich ausladend jeweils zwei Schmetterlingsflügelpaare nach rechts und nach links (In einer anderen Version heißt ein ähnliches Bild Schmetterlingsbaum, 1978. Dort hangelt sich an dem weiblichen Körper ein pubertie-render Adam mit verstörter Miene und offenem Mund hoch; mit seiner linken ausgestreckten Hand scheint er nach irgend etwas zu greifen, zu verlangen oder von etwas angezogen zu sein). Am unteren linken Bildrand sieht man zwei Männer mit einem Hund am Strand. Es ist ein eigenartiges Bild. Vordergründig sind Symbole des Surrealismus im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne erkennbar: die phallische Symbolik des Baumes und die weiblichen Merkmale des Schmetterlingswesens springen den Betrachter förmlich an. Die feine Malerei des ganzen Bildes reiht sich ein in die Malerei eines Salvador Dali. Die Strandlandschaft in ihrer großzügig angelegten Weite und Tiefe und die »dissipative« Farblichkeit, die nuancenreich vom Braun des Vordergrundes bis zum Blau des Horizontes und von da bis in den dunklen Nachthimmel aufleuchtet, erinnert an Szenen des magischen Realismus.

Dennoch gehört dieses Bild zu den Familienbildnissen. Im Barock, insbesondere in der niederländischen, flämischen Malerei entsteht ein Genre, in dem die Familie sowohl des Malers, die von Kollegen und die der wohlhabenden Bürger abgebildet wird. Die Familienbilder des spanischen Königshofes Goyas, Velasquez, bilden eine Abwechslung von diesen Traditionen, die bis zu Picassos Bildern von Artisten- und Gauklerfamilien seiner frühen Malerei reichen. In der gegenwärtigen Malerei scheint diese Tradition nicht weiter verfolgt zu werden. Anders bei Hausner. Die Familienszenarien sowohl der Familie seiner Eltern als auch der eigenen Familienangehörigen sind ihm bevorzugtes Anschauungsmaterial seiner Psychoarchäologie. An den Entwicklungen dieser Personen liest Hausner Geschichte ab und zwar an den Geschichten seiner selbst und seines Protagonisten Adam. Indem er diese einzelnen Gestalten abbildet, erinnert er sich vergangener Situationen. Er versetzt sich z.B. hinein in die Rolle des kleinen Rudolf Hausner in den 20er Jahren, der in genau auszumachender familiärer, politischer und wirtschaftlicher Situation im damalig nachmonarchistischen Österreich aufwächst. An solchen Gestalten schärft er des weiteren seine Wahrnehmungen. Er malt sich hinein in die kindlichen Spiele und erlebt aufs neue, wie er damals die Welt erfahren lernte. Diese Malerei wird unterstrichen durch die sich entfaltenden »Wahrnehmungsexperimente« des kleinen Jungen bis zum alten Mann. Die Welt wird angeschaut, und sie blickt zurück. In diesen Wahrnehmungskontakten entsteht eine der besonderen Sichtweisen dieser Malerei.

In Portugal
In Portugal, 1982, Ausschnitt

Analogiehaft kann an diesen Gestalten auch das Politische abgelesen werden. Obgleich die Hausnersche Malerei auf den ersten Blick der politischen Aussage entrückt zu sein scheint (Ausnahmen bilden: Aufruf zur Verteidigung der persönlichen Freiheit (1978), Erschrockener Europäer (1979)), sind auf einen zweiten Blick Auswirkungen von politischen Konstellationen sehr wohl zu entziffern. Wie einmal gesagt wurde, bildet das Politische den notwendigen Rahmen dafür, daß ein psychisches Innenleben des Einzelnen überhaupt ausgebildet wird. Genau dies trifft für Hausner zu. Die Gestaltung seines Adam von dem kindlichen Erleben in den 20er bis zu den Ansichten und Ausblicken in den 90er Jahren vollzieht und vollendet sich vor einem sondergleichen Panorama an politischem Geschehen. Und schließlich bilden die Gestalten und Figuren der Familienbilder Hausners soziale Mitteilungen aus. Die Beziehungen der Personen zueinander werden in dieser und durch diese Malerei ausgelotet; dabei verraten etwa die körperliche Nähe oder körperliche Distanz der einzelnen Gestalten untereinander eine wichtige Aussage für z.B. emotionale Stimmungen.

Hausners Familienbilder bilden daher kein eigenes Genre in der erwähnten Tradition und Entwicklung der Malereigeschichte, sondern sie sind wesentliche Ortungen für den Maler selber. Es sind Vergewisserungen seines eigenen Standpunktes oder des Standes der bisherigen Ereignisse. An den Beziehungen Hausners zu seinen Nächsten erschließen sich ihm die Vermessungen der eigenen Erfahrung. An den Wahrnehmungen dieser Mit-Menschen erschließt sich ihm die Reichweite seiner Orientierungsversuche. Hausner, der sich in Inhalt und Gestaltung seiner Malerei zuweilen in schwindeleregenden Höhen bewegt, erzwingt durch solche Verankerungen das notwendige Gegengewicht. Je weiter ihn seine Phantasien tragen, um so mehr bedarf er auf der anderen Seite der unmittelbaren Vergegenwärtigung solch menschlicher Beziehungen, die sich nicht nur durch emotionale Geborgenheit auszeichnen, sondern auch durch Veränderungen, welche psychische Spannung evozieren.

Es gibt indes noch einen weiteren Grund, warum das Abbilden der Familienmitglieder in Hausners Kunst eine wesentliche Rolle spielt. Hausner nimmt diese als »Gegenstände« für seine Malerei, an denen er Entwicklung feststellen kann. Aus der Mimik, der Gestik, der Körperhaltung, der Mode, aus dem Interieur und aus den Orten, an denen sich diese Personen bewegen, entziffert er je die politische, alltägliche und zeitgenössisch unverwechselbareinmalige, historische Entwicklung. In diesem Sinn bietet ihm das Familienbild einen vorrangigen Gegenstand, seine archäologischen Bemühungen abzumalen, die Fundstücke seiner eigenen Entwicklung aus dem Fundus des Vergessens hervorzuholen, um sie sich einzeln unter verschiedenen Beleuchtungen zu betrachten.

»Das Jahrhundert des Kindes«#

In dieser Hinsicht spiegeln Hausners Familienbildnisse die Geschichte der Entwicklung der Familie in diesem Jahrhundert wider. Dabei zeigt sich eine aufschlußreiche Entsprechung der ersten gegenüber der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Die erste ist sozialpsychologisch gesehen geprägt durch die sogenannte Kleinfamilie. Diese von Freud und seiner Psychoanalyse entdeckte Keimzelle für allerlei Arten und Abarten der psychischen Entwicklung stellt dasjenige Gebilde dar, das sich aus der Großfamilie, die in den meisten Gesellschaften bis zum 19. Jahrhundert Norm war, herauskristallisiert. Diese Kleinfamilie mit Mutter, Vater und Kind bietet die Form, an der die Psychologie die Ursachen für die individuellen Entwicklungsverläufe ausmacht. Das »Schicksal« der. Familie mündet in der Aufdeckung der sogenannten ödipalen Situation. (Davon im Zusammenhang mit dem Familienbild von 1985).

Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts wird dann geformt durch das Auseinanderbrechen dieser Kleinfamilie, sowie von der sich daran anschließenden Situation und dem Experimentieren mit familienähnlichen, mit anderen Lebensformen. In diesem Zusammenhang sind die Entdeckungen der Sozialwissenschaften über die sogenannte autoritäre Struktur der Familie zu sehen (wie beispielsweise die »Frankfurter Schule« Adorno, Horkheimer, Marcuse) als den Ursprung von Fehlentwicklung; darin ist auch die Familie, wie sie Wilhelm Reich beschrieb, einzuordnen. Es ist keineswegs auszuschließen, daß das nächste Jahrhundert und Jahrtausend geprägt sein könnten durch andere, gegenwärtig noch kaum vorstellbare Formen des Zusammenlebens, die sich immer mehr von der ursprünglichen Familiensituation entfernen. Dies ist eine historische Entwicklung, die vielerei Ursachen und noch mehr Auswirkungen hat.

Die Hausnerschen Familienbilder spiegeln genau den Bruch in dieser Tradition wider. Zum einen, wie an dem großen Familienbild zu zeigen sein wird, spielt die Herkunft Adams, also auch die Herkunftsfamilie Hausners, zu Beginn des Jahrhunderts darauf an, als sie in einer typischen »Dreieckssituation« der Kleinfamilie angelegt ist: Hier der Vater, dort die Mutter und dazwischen der kleine Junge. Diese dyadische Schicksalsgemeinschaft entfaltet keimhaft die gesamte, insbesondere die psychopolitische Entwicklung des Einzelnen. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts: Das scheinbar noch vorherrschende Geborgenheitsgefühl, die soziale Nähe und Wärme, aus den Verankerungen der Monarchie heraus, damals als die Welt scheinbar noch in Ordnung scheint. Sodann: das Auseinanderbrechen in den 20er Jahren, ein klerikalfaschistisches Regime in den 30er Jahren, das nationalsozialistische bis in die 40er Jahre. Schließlich der Krieg, danach Nachkriegssituation und neuer Umbruch. In dieser Hinsicht bilden die Familienbilder Hausners eine Reibfläche der eigenen Geschichte an der allgemeinen und umgekehrt.

Landschaft
Glückliche Landschaft, 1982, Ausschnitt

Landschaft
An einem schönen Ufer, 1981, Ausschnitt

Landschaft
In Portugal, 1982, Ausschnitt

Hausner hat mit seinen familiären Verortungen nicht erst in den 80er Jahren begonnen, sondern erste Bildnisse wie Rögergasse (ca. 1936), Ansicht des Donaukanals (1938), spiegeln bereits jene Orte, an denen der kleine Rudolf Hausner die Welt sehen und erkennen lernt. Es sind dies die Bilder der Straßenschluchten, in denen er aufwächst, sowie die verschlungenen Pfade des Psychischen, die später dann in seinen wichtigen Bildern der Frühzeit, wie in der Arche des Odysseus (1956) und dem Forum der einwärts gewendeten Optik (1948), zum Ausdruck kommen. Dort sind seine familiären und schicksalhaften Beziehungen und Verstrickungen im einzelnen schon zu entdecken. Diese Frühwerke sind die Vorstufen für die späteren Familienbilder, in denen die ineinander verstrickten Knäuel von Beziehungen sich abzeichnen, die dann immer mehr ins Licht der Farbe und der Öffentlichkeit gezogen werden, um dort jene Klarheit und Eindeutigkeit zu finden, die das herausragende Familienbild charakterisieren.

In den 80er Jahren passiert mit dem »Leonardo«-Zyklus eine extreme Ausweitung, ein ultimativer Ausgriff auf die Inhalte, die Farben und Formen. Wo in den Bildern des »Leonardo«-Zyklus noch die Perspektive und der Fokus ausgerichtet sind auf den jungen Adam und auf die überdimensional mächtig wirkende Figur der Eva, bildet sich im Familienbild von 1985 eine neue Tendenz ab. Sowohl der »Leonardo«-Zyklus als auch das Familienbild stellen Aufgabelungen von zwei Strängen der Entwicklung dar: im »Leonardo« die Hinwendung zur europäischen Kunsttradition, in die Hausner sich einreiht; im Familienbild dagegen gipfelt die Entwicklung zur Introspektion, der Beschäftigung mit der eigenen Herkunft, in dem Vorzeigen der archäologischen Fundstücke des Alltags von 1914 bis zur Gegenwart. Insofern stellen sowohl der »Leonardo«-Zyklus als auch das Familienbild jeweils die End- und die Anfangspunkte einer psychosozialen Entwicklung von 1938-1980 in Form der Ausdifferenzierung dar. An diesen beiden großen Entwicklungs- und Kulminationspunkten läßt sich die vielschichtige Entwicklung ablesen, und es ist gleichzeitig die Perspektive zu erkennen, mit der in der Folge, von 1980 bis zur Gegenwart, die Zentrierung und die Integrierung auf den Adam-Zyklus sich herausbilden.

Das »Familienbild« von 1985#

Meine Mutter
Meine Mutter, 1993

Dieses Bild bedeutet das Schlüsselwerk aus der Epoche Hausners von 1980-1985. Es ist sowohl ein Pendant zum »Leonardo«-Zyklus, als auch eine Ikone einer unverwechselbar einmaligen wie allgemeinen Erfahrung. Der Gestalt nach stellt es eine »Vergangenheit einer Illusion« dar und zwar in mehrfacher Hinsicht. Das Familienbild ist ein Gedenkbild. Einmal in Hinblick auf die geschilderte allgemeine Entwicklung der Familie in diesem Jahrhundert, zum anderen als ein Erinnerungsbild an die Kleinfamilie, an die schicksalhafte Dreieckssituation, die als grundlegend für die Persönlichkeitsentwicklung angesehen und analysiert wurde. Es ist zu betrachten eine in sich geschlossene Ansicht der engen gefühlsmäßigen Verbundenheit auf Gedeih und Verderben zwischen Vater, Mutter und Sohn. Da es andererseits gegen Ende dieses Jahrhunderts diese Situation in dieser Eindeutigkeit und Klarheit nicht mehr zu geben scheint, da sich bereits andere Formen herausbilden, erscheint es schon wie eine Erinnerung an eine vergangene Epoche.

Es ist zudem ein Bild Hausners von dem, was er bis zum Zeitpunkt von 1985 sich von der Seele gemalt hat. Als ein Archäologe seiner eigenen Gefühle, als der Beobachter seiner Entwicklung und als Analysator seiner malerischen Exkursionen, hat er sich unablässig mit seiner eigenen Vergangenheit, d.h. auch mit seinem Eingebundensein in eine Familie, beschäftigt. Die Personen, die Orte, die ihn seit früher Kindheit begleitet und geformt haben, sind eng in seine Malerei eingewebt. Sie stellen die Grundlagen für die Art und Weisen zur Verfügung, wie er die Welt und sich selbst durch seine Malerei kennenlernt.

Meine Mutter
Meine Mutter, 1993, Ausschnitt

Das Familienbild ist schließlich ein Gedenkbild an die eigene Kunst der Reflexion. Denn dieses Bild ist ebenfalls angelegt in einer fast klassisch zu nennenden Komposition. Das Bild ist aufgebaut wie eine Bühne, die sich dem Betrachter darbietet. Man vernimmt aber auch, und das erschließt sich erst dem längeren Hinschauen, einen Abgesang, angereichert durch ein homerisches Gelächter. Hausner ist mit diesem Bild über seine eigene Psychoanalyse hinausgestiegen und hat sich freigemalt von deren Zwängen. Dieses Bild ist aufgeladen mit subtilem Humor, einer abgeklärten Sichtweise, die die Dinge, nun wie aus der Ferne, vor seine Augen heranzoomen. Das Querformat zeigt ein Bild im Bild: eine Leinwand auf Leinwand gemalt. Man sieht im unteren Teil die Aufstellvorrichtung einer Staffelei. Dadurch wird der voyeurhafte Charakter, die Schlüssellochperspektive (Was beflügelt die menschliche Phantasie mehr als das, was die Nachbarn nebenan so alles treiben?) für den Betrachter, noch einmal verdoppelt. Im eigentlichen Bildgeschehen, in der Mitte, wo sich das Familiendrama abspielt, ist eine horizontale Zweiteilung angegeben: einmal der eigentliche und zentrale Boden für das Geschehen der Familiensituation, dahinter wie ein Bühnenprospekt öffnet sich ein Himmel; links wird dieser unterbrochen durch eine Seitenstellage, rechts windet sich das Wohnhaus der Familie im 9. Bezirk empor. Vor dem Hintergrund, wie abgetaucht hinter dem Bühnenboden, dräut, wie der steinerne Gast in »Don Giovanni«, die gipserne Totenmaske des alten Adam. Die Bühne des Bildgeschehens ist vollgeräumt mit Gestalten und Gegenständen. Da sieht man links den Vater, rechts in der Mitte gegen den Hintergrund die Mutter mit dem kleinen Adam, der vor ihr schmachtend am Boden liegt. Dazwischen sind in verschiedenen perspektivischen Verkürzungen und Erweiterungen, wie die vierte Dimension, zugleich angedeutet: Garnspule, eine Streichholzschachtel, eine Säule, ein Rad, ein Maßstab, ein Kegel, ein Dreieck, eine Kugel. Dieses sind die eingemalten archäologischen Dokumente aus Hausners Kindheit, die ihn ein Leben lang begleiten. Sie dienen ihm als die imaginierten Anhaltspunkte für erfahrene Situationen.

Aber auch die Hauptdarsteller Vater, Mutter und der Junge erscheinen wie Gegenstände in puppenhaft regloser Haltung. Der Vater in ein untadelig feines Tuch gehüllt, mit messerscharfen, schnurgeraden Bügelfalten, eleganten Handschuhen in der linken Hand, in der rechten Hut und Gehstock. Eine Fliege unterstreicht ein gutaussehendes Männergesicht aus den 20er Jahren. Ein »Homme de femmes« mit leichtem Lächeln unter dem Schnäuzer. Die Mutter steht steif wie eine Schaufensterfigur mit ihrem puppenhaften Augenaufschlag und einer Noli-me-tangere-Gestik; bekleidet ist sie nur mit einem Dessous, schwarzen Seidenstrümpfen und mit hohen Stöckelschuhen, ansonsten ist sie unbekleidet. In dieser halben, sinnlich um so erregenderen Nacktheit verkörpert sie das Objekt der Begierde für den kleinen Adam, der sie mit seinen Armen an der Hüfte umfängt. Sein Blick und sein Verlangen hängen hingebungsvoll an diesem Körper der begehrten und schönen Mutter.

Jessica und Tanja
Jessica und Tanja, 1986

Zynismus, Humor, Selbstbespiegelung und Selbstironie sind - bei einem ersten Blick - in diesem Bild überdeutlich. Auf einen zweiten Blick hingegen üben diese seltsamen Erscheinungen personaler und objektiver Gegebenheiten einen sinnlichen Sog aus, dem man sich, je länger man hinschaut, nicht entziehen mag. Denn hinter dem Zynismus, hinter dem Humor und hinter der Pose steckt eine scharfsichtige Beobachtung der Zeit und dies in einem so reichlichen Maße, daß es einer mehrbändigen illustrierten Sittengeschichte über die Familie seit Beginn des Jahrhunderts bedürfte, um dieses deutlich werden zu lassen. Das Bild enthält die gedeutete Schilderung einer ganzen Epoche, und dies allein durch die Malerei. Über die verschiedenen, miteinander korrespondierenden und einander ergänzenden Farben und durch die genau kalkulierte Anordnung ergibt sich ein Kaleidoskop der Überraschungen.

Da ist zum einen das Wien der 20er Jahre zu erblicken, das sich angeordnet wie in einer Rumpelkammer der Geschichte aus den Ablagerungen der Erfahrungen zusammensetzt. Vom Ende der Monarchie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gesammelte Trümmer der zerborstenen Illusionen. Traumdeutung auf dem Lusterboden. Die alten Werte sind endgültig dahin, man tut sich indes schwer, sich von ihnen zu verabschieden. Joseph-Roth-Stimmung: ein wehmütiges Beklagen des Endes der vermeintlichen Sicherheit im Rahmen der vergangenen Werte, die durch die untergegangene Monarchie repräsentiert wurden, breiten sich wie ein Schleier über diesem Vorgang auf der Bühne der entledigten Illusionen aus.

Man erblickt aber auch das Ende der ödipalen Situation. (Bollack, J. Das Schicksal des Ödipus, ein Familienschicksal. Poetica, 19., Amsterdam, 1987. Bollack, J. - Der Menschensohn. Freuds Ödipusmythos. Psyche, 47. 1993.) Das gemalte Ende von Freuds Theorie der psychisch engen Beziehungen zwischen Sohn und Mutter und der Distanzierung zum Vater wird hier, durch die kristallenen Farben gebrochen, vorgeführt. Die Haltung der Mutter, eine willenlos hohl hinplazierte Figur, vibriert wie aus einem psychoanalysierten Ibsen-Stück heraus. Die Wahrheit der Psychoanalyse, gegenwärtig mehr und mehr in Frage gestellt, wird hier durch die Malerei den zweifelnden Blicken bloßgelegt. Diese Szenerie ist ein Paradebeispiel der Hausnerschen Kunst, im Prozeß des Malens enthüllt sich die Dramatik des Dargestellten. Indem er mit farbprägnanter, sich selbst gegenüber schonungsloser Offenheit seine Kindheit, seine Wünsche, Projektionen, seine Hoffnungen und Sehnsüchte, die er alle als Kind gelebt hat, ausbreitet, verlieren diese durch die Exaktheit und die Klarheit des schillernden Farbprismas an Energie der Verdrängung. Der Schauer des Dunkels weicht den investigativen Farben.

Die übliche Dunkelheit, die sich - andeutungsweise - über so manch gemalten Szenerien im Zusammenhang mit Psychologie und Psychoanalyse niederläßt, fehlt diesem Bild. Die Vernebelung des Verdrängens ist der Klarheit der Malerei gewichen. Durch die Brillanz des Farbzusammenspiels verflüchtigen sich alle falschen Momente des Verdunkeins, des Vergessens. Wie aus einer gleichzeitigen Multiperspektive heraus - die verschiedenen Personen und Gegenstände sind in mehrfachen Dimensionen angelegt und von unterschiedlichen Beleuchtungswinkeln her farblich abgestuft in Szene gesetzt - ergibt sich die Doppelbödigkeit der Beobachtung einer beobachteten Situation. Es ist, als ob Hausner sich beim Malen selber über die Schulter geschaut hätte. Jetzt ist er frei von den vielfältigen Verstrickungen seiner Kindheit, da er sich mit Brillanz, mit Humor und auch Zynismus von den Gespenstern der seelischen Empfindungen freigemalt hat.

Gleichzeitig ergeben sich neue Verbindungen vom Anfang bis zur Gegenwart. Das Gesicht des alten Adam taucht ja schemenhaft im Hintergrund auf. Es handelt sich um eine Szenerie, in dem der Anfang mit dem Ende korrespondiert; und in dem die Kindheit und das Alter in eins gesponnen sind. In dieser Hinsicht ist es eine Projektion in die Vergangenheit aus dem Blickwinkel eines gealterten Mannes, der sich geschlossenen Auges erinnert, was auf der Bühne seines eigenen Lebens so alles vor sich gegangen ist. Danach kann er getrost hinter die Bühne abtauchen, kann einen Abgang planen, da alle die erlebten Gespenster durch die Malerei fein säuberlich getrennt in das Licht der Öffentlichkeit gemalt sind. Dadurch haben sich das Unheimliche und das Heimliche verflüchtigt.

Verankerungen#

Jessica
Jessica und Tanja, 1986, Ausschnitt
Tanja
Jessica und Tanja, 1986, Ausschnitt

Auch in Jessica und Tanja (1986) geht es um eine mehrfache Perspektive. Ein Kubus ist angedeutet, in dem das Gesicht des alten Adam aufblitzt. Darauf balancieren in graziler Leichtigkeit die beiden Töchter des Malers. Es ist, wie erwähnt, eine Art Reprise »Im Schatten junger Mädchenblüte«. Es handelt sich wiederum um einen farbräumlichen Bildaufbau, mit dem Blick in ein Spannungsfeld, in dem sich multiperspektiv eine Szene anbietet: Der alte Adam ist in den Mittelpunkt gerückt, und die Jugend postiert darüber. Es ist ein Ausblick in die Zukunft des Malers mit Hilfe der ihm nahestehenden Modelle aus dem unmittelbaren Umfeld seiner Familie.

Dieser alte Adam stellt ein Understatement dar, denn es handelt sich dabei um einen der nachdrücklichsten Köpfe, die Hausner überhaupt gemalt hat. Selten hat er sich so schonungslos offen in Pose gestellt: ein alter Mann, mit einem leicht verkniffenen Mund, der trotz seines Alters, mit seinem hellen Blick, der Betrachtung standhält. Er weiß um seine eigene Vergänglichkeit; er steht vor dem Meer, und er ist sich bewußt, daß er in das Meer des Vergessens eintauchen wird, aus dem er phylogenetisch einst erstanden ist. Es ist dieses Wissen um die Vergänglichkeit, das ihm Hausner mit unnachahmlicher, präziser Prägnanz ins Gesicht eingegraben hat. Dies wird aufgewogen durch die grazil tänzerische Nähe der eigenen Töchter. Einzig in der Malerei, in der Tiefe eines roten Zimmers, das wie bei Strindberg eine wichtige Rolle spielt, läuft dieses Drama ab, was sich daraus entwickelt, ist offen. In dieser Hinsicht ist Jessica und Tanja ein Bild des Übergangs, da aus der privaten Sphäre heraus sich der Blick zur Gänze öffnet auf das Drama des entschwindenden Selbst. Der Blick dieses alten Adam ist fixiert auf sich selbst. Wie in einen Spiegel blickt er den Betrachter an, der ihm nichts anderes anbieten kann, als zurückzublicken, um diesem neugierig gebannten Blick einen Gegenpart zu bieten.

Dieses besondere Bild des alten Adam ist verwandt einer Schlüsselszene aus der Filmgeschichte, nämlich der Schlußsequenz von Stanley Kubricks »2001«. Es geht darin um das Ende einer »Odyssee im Weltraum«, wie dieser grandiose Film auch heißt, als der altgewordene Pilot des Raumschiffes sich durch den Verlust der Kontrolle über den Computer sich im Weltraum zu verlieren anschickt. In einer einmalig spannenden und bildlich unvergleichlich umgesetzten Filmsequenz sieht man, wie der alte Mann in einem von unten hell erleuchteten Raum sitzt, in marmorner, kalter Eleganz und sich an einem Mahl labt. Dabei fällt durch eine unachtsame Bewegung ein Glas Rotwein um. In diesem Moment blickt er um sich und gewahrt sein eigenes Bild: ein uralter Körper, der gerade stirbt, in einem Bett. Die letzten Atemzüge sind alles, was zu hören ist, das schon mumifiziert zerfurchte Gesicht bewegt sich nicht mehr. In diese Schlußsequenz hinein wird dann langsam und unmerklich das Bild eines Fötus, des Anfangs, eingeblendet. Der Zyklus der ewigen Wiederkehr als Bild. Daraus der Pfeil der Zeit. So blickt in diesem kleinen, aber vielschichtigen Bild Jessica und Tanja auch Adam auf sich selbst - und zurück. Dergestalt bildet er ein Verbindungsglied zwischen der bisherigen Epoche, wo noch einmal all die vielen Mitspieler und die unzähligen Gegenstände im einzelnen vorgestellt werden, und von wo aus sich dann das eigentliche Drama, nämlich die Entwicklung Adams in den Mittelpunkt der Malerei, anschließt.

Kopf Adam
Jessica und Tanja, 1986, Ausschnitt



Inhaltsübersicht#


© Walter Schurian, Hausner- Neue Bilder - 1982-1994, Edition Volker Huber